Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Neu-Ulmer Großangriff
Der TTC holt Hao Shuai an Bord und ist nun Mitfavorit auf die Tischtennis-Titel
- Eigentlich war die Karriere von Hao Shuai bereits vor 15 Jahren beendet. Wenn ein Chinese in einem WM-Viertelfinale im Tischtennis zu Hause in Schanghai 3:0 und 10:7 vorne liegt und noch verliert wie der damals 22-Jährige aus Tianjin gegen den Dänen Michael Maze, dann war es das mit seiner Nationalkarriere – zumindest im Einzel. Er wird auf ewig in die Schublade „zeigt in wichtigen Situationen Nerven“gesteckt und von Jüngeren ersetzt. Tatsächlich bekam Hao Shuai 2007 noch eine Chance, schied wieder im Viertelfinale aus und durfte sich fortan mit Doppel und Mixed trösten, wo er immerhin vier WMMedaillen gewann. Und heute, im reifen Alter von 37, gehört er noch immer zu jenen Exportschlagern, mit denen sich jede Mannschaft der Welt außerhalb des Reichs der Mitte brüstet. Denn im Tischtennis gilt: Auch einer aus Chinas C- oder Z-Kader ist ein potenzieller Weltklassespieler.
Insofern war die Freude riesig, als der TTC Neu-Ulm am Mittwoch nach 15 Monaten Gesprächen, Vorverträgen, Visum- und Quarantänedebatten endlich Vollzug melden konnte mit seinem lang angekündigten ersten Topstar aus Asien. Hao Shuai ist endlich an Bord, und er wird den 17 Monate jungen Club, der mit 10:0 Punkten fulminant in seine zweite Bundesliga-Saison gestartet ist, mit relativer Sicherheit noch mal verstärken – und zwar mindestens bis Saisonende, so lange läuft sein Arbeitsvisum. Ob er bereits am Sonntag im Duell in Bergneustadt spielt, ist die Frage, ziemlich sicher aber am Mittwoch im Spitzenspiel gegen Rekordmeister Borussia Düsseldorf, der die Tabelle mit 14:0 Zählern anführt.
„Mittwochabend gab es das erste Kennenlernen, ein Abendessen mit der Mannschaft. Unser Trainer Dmitrij Mazunov wird noch mit Hao reden und das Training abwarten, aber wenn die Form stimmt, wird er auch spielen“, sagt Sportdirektorin Nadine Berti. Und damit aus dem TTC einen echten Titelkandidaten machen, auch wenn man das beim Newcomer im deutschen Tischtennis nicht gerne hört. Die Zahlen allerdings sprechen für sich: Bereits Neuzugang und ExEuropameister Emmanuel Lebesson, der bisher eine 6:2-Bilanz spielte, hat aus dem TTC im Konzert mit dem weiterhin konstant starken Tiago Apolonia (5:1) ein Spitzenteam geformt, und der 18-jährige Russe Vladimir Sidorenko (2:3) zeigte, dass trotz seiner Jugend Verlass auf ihn ist. Nur der gleichaltrige Singener Kay Stumper kassierte nach seinem EuropeYouth-Top-10-Sieg in Berlin Mitte Oktober einen Rückschlag, infizierte sich im Konzert mit anderen Spielern mit dem Coronavirus und musste mit einer Lungenentzündung sogar ins Krankenhaus. Inzwischen trainiert er wieder, noch aber ist er ohne Einsatz – und das dürfte auch schwer werden angesichts der Konkurrenz: „Lebesson spielt wirklich extrem stark, und für Vladimir freut es mich sehr, dass er sich so durchsetzt“, sagt Berti. Dennoch sei die Tabelle eine Momentaufnahme: „Noch haben wir nicht gegen die starken Teams gespielt, unser Ziel bleibt ein guter Mittelfeldplatz.“
Den aber würden die Neu-Ulmer, die in Pfaffenhofen eine neue Halle gefunden haben, in die potenziell 500 Zuschauer passen, nach Corona-Regeln aber nur 60, wohl auch ohne Hao Shuai gut erreichen. Mit ihm sind sie nicht arg viel schwächer besetzt als Düsseldorf, Bertis klarem Titelfavoriten, Nachbar Ochsenhausen oder Meister Saarbrücken, der allerdings in der Krise steckt und sich gerade von Erfolgstrainer Slobodan Grujic trennte. Acht (Minus)Punkte liegen die Neu-Ulmer bereits vor Saarbrücken, alles andere als der Play-off-Einzug wäre deshalb mutmaßlich eine Enttäuschung für Investor und Präsident Florian Ebner, dessen Traum von vollen Hallen derzeit aufgrund höherer Macht noch warten muss. Auch seinen zweiten, den Einzug ins Pokal-Final-Four zu Hause in Neu-Ulm, hat der TTC knapp verpasst.
Bliebe die Bundesliga. „Ein schönes Kaliber“habe der TTC da an Land gezogen, hätten andere Clubs ihr zugeflüstert, berichtet Berti, tatsächlich darf man Hao Shuai zutrauen, jeden Spieler der Liga schlagen zu können. In Chinas Superliga 2018/19 zeigte der Linkshänder, dass er nach wie vor zur Weltspitze gehört. Seit seiner Ankunft am 21. November trainierte er bereits am Bundesleistungszentrum in Düsseldorf mit Dimitiij Ovtcharov, dem Ex-Teamkollegen aus Orenburg, der einen Sparringspartner für die Turniere in China brauchte und auch künftig auf die Dienste von Hao setzen wird. Das wichtigste für die Ulmer allerdings ist: Hao Shuai scheint ein außerordentliches Arbeitsethos zu besitzen. „Ich habe mich nie beschwert oder bereut, mich für Tischtennis entschieden zu haben“, sagte er einmal. „Der Sport hat mir sehr viele Dinge gegeben, einen Sinn für Verantwortung und eine Mission. Es hat mir einen bestimmten Kampfeswillen gegeben, den andere Personen vielleicht nicht verstehen können.“