Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Alles dicht – oder lieber nicht?
Söder will harte Umsetzung der Notbremse – Kretschmann lässt Sonderregeln zu
(dpa/lsw/lby) - Der politische Aufwand war gewaltig, das Ergebnis der jüngsten Bund-LänderBesprechungen überschaubar. Angesichts immer schneller steigender Corona-Infektionszahlen ist eine Debatte über eine mögliche vorgezogene Bund-Länder-Runde und einen härteren Lockdown entbrannt. Die nächste Konferenz ist erst nach Ostern für den 12. April geplant.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kritisiert die Corona-Politik seiner Kollegen. „Einige Länder haben den Ernst der Lage leider noch nicht verstanden“, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“. Zur zuletzt aufgekommenen Debatte um mögliche neue Gespräche zwischen Bund und Ländern zu Corona-Maßnahmen erklärte er: „Es braucht nicht ständig neue Gespräche, sondern die konsequente Umsetzung der Notbremse.“
Söder forderte, dass die Notbremse überall in Deutschland bei einer Inzidenz über 100 automatisch greifen müsse. „Der Flickenteppich in der Corona-Bekämpfung muss beendet werden, dazu gehören Ausgangsbeschränkungen wie in Bayern und Baden-Württemberg“, betonte er. Im Südwesten gelten in Gebieten über einer Inzidenz von 100 Ausgangsbeschränkungen von 21 Uhr bis 5 Uhr.
Noch am Mittwoch hatte Söder in einer Regierungserklärung den Plan für die Modellregionen erklärt. Demnach sollen vorsichtige Lockerungen von Corona-Schutzmaßnahmen ermöglicht werden. Infrage kommen Städte, die eine Sieben-Tage-Inzidenz pro 100 000 Einwohner zwischen 100 und 150 haben. Insgesamt soll es acht Modellregionen geben: Neben München und Nürnberg hat sich auch Lindau beworben.
Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Dietmar Bartsch, lehnt ein Vorziehen der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ebenfalls ab. „Eine erneute MPK klingt für viele Menschen inzwischen wie eine Bedrohung“, sagte Bartsch den Zeitungen der FunkeMediengruppe. In Richtung Bundesregierung kritisierte er: „Bei Themen wie der Zulassung und Vorbestellung von Sputnik-V oder dem Impfen durch Hausärzte wird kostbare Zeit vertrödelt.“
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hingegen stellte für Anfang der Woche weitere Gespräche zwischen Bund und Ländern über einen harten Lockdown am Montag oder Dienstag in Aussicht, allerdings nicht unbedingt im großen Format. „Wir müssen das auch mit anderen Ländern vorbesprechen, mit dem Bundeskanzleramt“, sagte Kretschmann am Samstagabend in Stuttgart und weiter: „Die Zahlen steigen und mir brennt der Kittel.“Zum Herunterfahren des gesamten gesellschaftlichen Lebens sagte er: „Aus pandemischer Sicht wäre das am besten.“
Allerdings müsse man genau abwägen, ob es sinnvoll und machbar sei, alles zuzumachen.
Kretschmann betonte zudem, es würden keine Verzögerungen bei der Notbremse mehr zugelassen. „Das wird strikt durchgesetzt“, sagte er der dpa. In der Regierung wächst dem Vernehmen nach der Ärger über Stadt- und Landkreise, die die Notbremse zunächst nicht konsequent anwenden, obwohl sie den Grenzwert schon mehr als drei Tage lang überschritten haben. Zum Beispiel hatte Stuttgart erklärt, erst die neue Corona-Verordnung abwarten und frühestens am Dienstag die Notbremse ziehen zu wollen. Die Landeshauptstadt liegt seit Mittwoch über der Inzidenz von 100.
Zwar pocht Kretschmann auf die konsequente Umsetzung der Notbremse, gleichwohl lockerte seine Landesregierung am Sonntag die Regeln für private Zusammenkünfte in Gebieten mit hohen Infektionszahlen – im Gegensatz zum Nachbar Bayern. Treffen von zwei Haushalten mit bis zu fünf Personen sind von diesem Montag an auch in Gegenden mit mehr als 100 Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner erlaubt. Zuletzt hatte es geheißen, dies sei eine Sonderregelung für die Osterfeiertage.
Auch der baden-württembergische Regierungschef kündigte an, neben Tübingen weitere Modellprojekte für Lockerungen zulassen zu wollen. Mit Blick auf die steigenden Infektionszahlen sagte Kretschmann aber, man müsse noch warten, bis die ersten wissenschaftlichen Ergebnisse aus Tübingen vorlägen. Grundsätzlich sei das aber seine Linie: „Sehr hart sein, dort aber, wo man sich freitesten kann, auch lockern.“
Nachdem Bund und Länder am vergangenen Mittwoch kurzfristig die sogenannte Osterruhe wieder kassiert haben, bleibt von den angedachten Verschärfungen zunächst nur die Maskenpflicht für Mitfahrende im Auto übrig. Demnach müssen künftig Menschen, die bei anderen im Auto mitfahren, eine medizinische Maske tragen – solange sie nicht zu einem Haushalt gehören. Paare, die nicht zusammenleben, gelten als ein Haushalt. Darüber hinaus müssen die Buchhändler ab Montag ihre Läden wieder für den normalen Publikumsverkehr schließen.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hatte einen raschen neuen Corona-Gipfel gefordert. „Ohne einen scharfen Lockdown wird es nicht gehen“, sagte er dem „Tagesspiegel“am Samstag und verteidigte seine Forderung nach bundesweiten Ausgangssperren. „Ausgangsbeschränkungen ab 20 Uhr für zwei Wochen würden wirken – wir haben es in Frankreich, Großbritannien und Portugal gesehen.“Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte am Samstag: „Wenn wir die Zahlen nehmen, auch die Entwicklungen heute, brauchen wir eigentlich noch mal zehn bis 14 Tage mindestens richtiges Runterfahren unserer Kontakte, unserer Mobilität.“
Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) sprach sich ebenfalls für ein härteres Vorgehen aus. „Wenn jetzt parallel zum Impfen die Infektionszahlen wieder rasant steigen, wächst die Gefahr, dass die nächste Virusmutation immun wird gegen den Impfstoff“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Im Falle einer solchen Mutation „stünden wir wieder mit leeren Händen da“, so Braun weiter. Dann bräuchte es neue Impfstoffe. Er forderte unter anderem regionale Ausgangsbeschränkungen.
Künftig sollen für die Verhängung von Corona-Schutzmaßnahmen neben dem Sieben-Tage-Inzidenzwert auch die Zahl der Geimpften und der R-Wert berücksichtigt werden müssen. Der R-Wert gibt an, wie viele weitere Menschen ein Infizierter durchschnittlich ansteckt. Eine entsprechende Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes beschloss der Bundestag bereits Anfang des Monats, am Freitag billigte dies auch der Bundesrat.