Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Feuer unterm Dach bei Rolls-Royce Power Systems
Aufsichtsratsmitglied des Friedrichshafener Motorenbauers greift Vorstand wegen Verstößen gegen Arbeitszeitgesetz an
- Unruhe beim Friedrichshafener Motorenbauer Rolls-Royce Power Systems (RRPS): Aufsichtsratsmitglied und Betriebsratschef Thomas Bittelmeyer geht auf Konfrontationskurs mit Vorstandschef Andreas Schell. Offenkundig wurden die Differenzen auf einer Betriebsversammlung am 23. März, als der Arbeitnehmervertreter nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“aus Belegschaftskreisen Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz thematisiert und die Unternehmensführung um Vorstandschef Andreas Schell massiv angegriffen hat.
Wie Betriebsratschef Bittelmeyer bei der Versammlung vor eineinhalb Wochen nach Aussage mehrerer Mitarbeiter erklärte, sollen Angestellte regelmäßig und über lange Zeiträume die gesetzlich zulässige Arbeitszeit pro Tag überschritten haben – und zwar mit dem Wissen der Chefs, die die Mehrarbeit zum Teil angeordnet hätten. Der Arbeitnehmervertreter habe in seinem Vortrag ausgeführt, dass die Arbeitszeitüberschreitungen in einigen Bereichen die Regel geworden seien. Bittelmeyer habe gefordert, die Gesetzesverstöße
abzustellen, und habe gedroht, dass das Unternehmen ansonsten ein Problem bekomme.
Das Unternehmen wehrt sich gegen den pauschalen Angriff Bittelmeyers. Die Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz haben nach Angaben von RRPS keineswegs System und seien Einzelfälle.
Thomas Bittelmeyer bestätigt auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“die Äußerungen. „Wir haben als Betriebsrat die Vorkommnisse untersucht, und ich habe die Verstöße bei unserer Compliance-Abteilung angezeigt“, sagt Bittelmeyer. Die Mitarbeiter dieses Bereichs sind im Unternehmen dafür zuständig, dass die Beschäftigten alle gültigen Gesetze und Richtlinien einhalten.
„Mehrere zufällige Überprüfungen haben ergeben, dass es diverse
Mitarbeiter gibt, die extrem häufig gegen die maximale Arbeitszeit von zehn Stunden täglich verstoßen“, erläutert Bittelmeyer. Dazu komme, dass die betroffenen Mitarbeiter auch nicht die minimale Ruhezeit von elf Stunden zwischen Arbeitsende und erneutem Arbeitsbeginn eingehalten hätten. Die Mitarbeiter kommen nach Angaben von Thomas Bittelmeyer aus unterschiedlichen Bereichen des Unternehmens, das mit seiner Marke MTU eine Tochter des britischen Triebwerksbauers Rolls-Royce ist. Beschäftigte aus Fertigung und Produktion seien allerdings nicht betroffen.
Einzelne Mitarbeiter kommen nach Angaben Bittelmeyers auf eine jährliche Anzahl von Verstößen, die im dreistelligen Bereich liegt. Für alle Beschäftigten der 8850-köpfigen Belegschaft mit Ausnahme von etwa 15 Top-Führungskräften und den drei Vorstandsmitgliedern gelten gesetzlich festgelegte Arbeits- und Ruhezeiten. Wie viele Beschäftigte insgesamt betroffen sind, ist unklar.
Im Kern bestätigt das Unternehmen die Vorfälle. „Mit der pandemiebedingten Krisensituation haben sich die Arbeitsanforderungen in einigen Bereichen des Unternehmens erhöht. Gleichzeitig stellt die zunehmende Virtualität des Arbeitsalltags andere Anforderungen an die Organisation von Arbeit, die mitunter nicht mit den herkömmlichen Modellen übereinstimmen. Somit haben wir gerade keine vollständige Passung zwischen den Arbeitszeitmodellen und der neuen Arbeitswelt“, sagte ein Sprecher auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. „Das führt besonders im Mobile Office dazu, dass Arbeitszeiten ausgeweitet oder Pausen- und Ruhezeiten nicht mehr eindeutig eingehalten wurden und sich hier neue Gewohnheiten etabliert haben.“Zudem führe die Kombination aus mobilem Arbeiten und privaten Verpflichtungen wie Homeschooling derzeit im Arbeitsalltag zu einer weiteren Aufweichung von Arbeitsund Ruhezeiten. Das Unternehmen habe das Thema erkannt und eine Auswertung über Abweichungen von den gesetzlichen Vorgaben über alle Bereiche vorgenommen. Derzeit werde vom Vorstand und der Personalabteilung ein Projekt erarbeitet, „wie man dieser Entwicklung entgegentreten und möglicher Überlastung der Mitarbeiter vorbeugen kann, aber auch, wie man durch die Erfahrungen mit der Pandemie
andere Beweglichkeit in die Arbeitszeiten bekommen kann“.
Der Betriebsratschef weist die Aussage von RRPS zurück, dass die Missstände auf die Umstände der Pandemie zurückzuführen sind. „Das ist falsch, das hat nicht mit Corona begonnen, und das hat nichts mit der Pandemie zu tun“, sagt Bittelmeyer. Der Betriebsrat habe die Arbeitszeiten von Mitte 2019 bis Mitte 2020 geprüft. „Wann das alles begonnen hat, wissen wir nicht. Klar ist aber, dass es 2019 noch kein Corona gegeben hat.“Insgesamt gründet sich laut Bittelmeyer die Entwicklung darauf, dass immer weniger Personen immer mehr Arbeit verrichten müssen.
Der Betriebsrat erwartet nun, dass die Compliance-Abteilung die Vorfälle aufarbeitet und entsprechend reagiert. Nach Angaben von RRPS wurden „die vorliegenden Einzelfälle – wie bei solchen Hinweisen üblich – von der Compliance-Abteilung des Rolls-Royce-Konzerns überprüft und das Thema nach Abschluss der Prüfung beigelegt“. Für das Unternehmen scheint die Überprüfung damit beendet, das vom Unternehmen angekündigte Projekt zur Neuordnung der Arbeitsorganisation steht allerdings noch aus.