Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Auf weiter Flur
Einen sehr hohen Stellenwert hat in Oberschwaben der Weingartnener Blutritt. So ist es für Reiter sowie Gläubige ein schwerer Schlag, nun schon zum zweiten Mal harte Corona-Einschränkungen erdulden zu müssen. Wenn überhaupt von der Inzidenzzahl her möglich, sollen am 14. Mai nur 200 Pferde statt der üblichen rund 2500 über die Fluren ziehen dürfen. Aber über die Fluren, und nicht über die Flure, wie vor Kurzem in der „Schwäbischen“mehrfach zu lesen war. Weil dieser Fehler immer wieder durch die Medien geistert, spießen wir ihn kurz auf.
Wie so oft in der Sprache, entstanden hier aus einer Wurzel mehrere Triebe. Vereinfacht dargestellt: Am Anfang gab es ein althochdeutsches Wort fluor, das verschiedene Bedeutungen abdeckte: sich im Tornister aller deutschen Bildungsbürger.
Nun gehören Wörter wie Flurschaden oder Flurbereinigung immer noch zum deutschen Wortschatz, aber zum Spaziergang über die Fluren rückt keiner mehr aus. Das klingt für unsere Ohren eine Spur zu poetisch. Im religiösen Umfeld hat sich das Wort allerdings ebenfalls erhalten. Herr, segne unsere Fluren! steht auf unzähligen Kreuzen, an denen Gläubige bei Flurprozessionen vorbeiziehen – oder eben bei Flurritten wie in Weingarten.
Wenn man bei diesem Lapsus über die Flure kurz lächeln musste, so hatte das Gründe: Unwillkürlich kam einem jenes einfältige Liedchen in den Sinn, mit dem das Duo Klaus & Klaus vor knapp 40 Jahren bei TV-Blödelshows punktete: „Da steht ein Pferd aufm Flur“. Zudem wurden Kindheitserlebnisse wach.
Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutungen und Schreibweisen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.
Erich Kästner stand hoch im Kurs bei uns: „Emil und die Detektive“, „Pünktchen und Anton“, „Das doppelte Lottchen“... Sein Buch „Der 35. Mai“war nicht so gefragt, dabei garantiert diese Geschichte enorme Fantasieschübe. Da steht auch ein Pferd aufm Flur. Sein Name Negro Kaballo, und seine Besonderheit: Es läuft Rollschuh. Auf seinem Rücken rollern dann der Schuljunge Konrad und sein Apotheker-Onkel Ringelhuth bis in die Südsee, wo sie auf den Insulanerhäuptling Rabenaas und dessen schwarz-weiße Tochter Petersilie treffen … Ketzerischer Gedanke am Rande: Negro als Vorname? Eine BIPoC namens Rabenaas? Ein Mädchen mit Schachbretthaut? Politisch korrekte KinderbuchKommissare scheinen diesen Roman noch nicht entdeckt zu haben. Hoffen wir, dass das so bleibt!
Und hoffen wir, dass letztlich die 200 Caballos in Weingarten ausrücken dürfen – über die Fluren, wohlgemerkt.
Wenn Sie Anregungen zu Sprachthemen haben, schreiben Sie! Schwäbische Zeitung, Kulturredaktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg