Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Handbuch für hungrige Naturburschen
Er hat sich wirklich mächtig Zeit gelassen, aber jetzt ist er endlich da: der Frühling. Umso mehr zieht es uns hinaus in eine Welt, die vor 15 Monaten noch eine komplett andere war. Den unwiderstehliche Drang nach Freiheit und Abenteuer verspürten viele naturhungrige Büromenschen aber schon vor der Pandemie. Der Koch, Autor, Kletterer, Weltenbummler und bekennende Naturbursche Markus Sämmer hat diese Sehnsucht bereits in seinen Werken „The Great Outdoors“und „The Great Outdoors – Winter Cooking“zwischen zwei Buchdeckel geklemmt. Und nun ist der dritte Band der Reihe erschienen, nämlich „The Great Outdoors – Hello Nature“.
Darin wirbt Sämmer für „kulinarische Abenteuer vor der Haustür“, vom Gemüsegarten bis zum eigenen Bienenvolk. „Natur statt Supermarkt“lautet das Credo – und wer möchte da nicht gleich mit nackten Füßen und Holzfällerhemd das nächstgelegene Gebüsch nach Essbarem durchforsten? Die leicht pastellige Instagram-Ästhetik des Buches sowie die griffige Haptik des dicken Papiers wecken genau dieses Gefühl.
In verschiedenen Reportagen singt der Autor das Hohelied der Selbstversorgung, erzählt von Gemüseund Obstgärten. Natürlich fehlt auch ein Exkurs in die Kräuterwelt am Wegesrand nicht. Außerdem geht’s noch um Bienen und Blumen, Pilze, Hühner, das Jagen und Fischen. Ach ja, gewurstet wird auch noch. Es geht also irgendwie um alles in dem Buch, und um noch ein bisschen mehr. Und offensichtlich auch um den hübsch anzusehenden Sämmer selbst, wie er im Fischerboot sitzt, wie er durch den Wald pirscht, wie er imkert, dass es nur so brummt, wie er einen Dackel im Arm hält.
Seine Textbeiträge sind hübsch verständlich geschrieben. Natürlich spürt der Leser das naturburschige Sendungsbewusstsein von Sämmer, was ja nicht schadet. Dass es aber trotzdem keine gute Idee ist, wegen „Hello Nature“gleich den Kühlschrank auf den Wertstoffhof zu fahren und dem Supermarkt für alle Zeit zu entsagen, wird spätestens bei den 85 Rezepten klar, die den wirklich schön gestalteten Band durchziehen. Da wird schnell deutlich, dass der geneigte Stadtmensch sich schwer tut, die eine oder andere Zutat flugs anzubauen oder im Wald aus dem Boden zu rupfen.
Zum Glück gibt es regionale Anbieter, wie Sämmer vielfach betont. Und darin liegt eine der Stärken des Buches, dass es auch darum geht, solche Erzeuger ins Zentrum des Interesses zu rücken. Ganz konkret zum Beispiel Alexander Eisenmann-Mittenzwei vom Hofgut Ratzenberg bei Lindenberg im Allgäu. Er gibt dem Kapitel über maßvollen und nachhaltigen Fleischkonsum ein glaubwürdiges Gesicht.
Und die Rezepte selbst? Sagen wir mal so: Der Innovationsgrad schwankt. Die Biederkeit von Käsekuchen und Eierschecke vom Blech hat mit Natur im rustikalen Sinne des Bandes wenig zu tun. Darüber hinaus findet sich von der Zubereitung von Wildschwein-Bratwurst und Hamburger bis zu Gulasch und Brathering ein maskulines Programm, das anschaulich erklärt ist und mit interessanten Ansätzen, wie regionales Essen internationales Flair bekommt, zum Nachkochen reizt. Dieser Crossover-Ansatz macht es aber stellenweise auch etwas beliebig. Trotzdem: Als Geschenk von und für Naturburschen, und solche, die sich dafür halten, sicher eine hübsche Idee. Es ist ja auch bald Vatertag.
Markus Sämmer: The Great Outdoors – Hello Nature. Dorling Kindersley, 2021. 272 Seiten, 34 Euro.