Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Ferienflüge statt Businessclass
Wegen des einbrechenden Geschäfts mit Unternehmen fliegt die Lufthansa künftig verstärkt touristische Ziele an
- Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen. So schrauben Lufthansa-Monteure derzeit an Passagiersitzen, um sie aus einigen Fliegern herauszuwerfen. Während nämlich in normalen Zeiten die Hälfte der gesamten Lufthansa-Luftfracht im Bauch der Passagiermaschinen mitfliegt – die sogenannte Belly-Fracht – fehlt dieser Bauchraum nun. Denn noch immer parkt ein Großteil der LufthansaFlotte krisenbedingt auf den Landebahnen vor allem des Frankfurter Flughafens. Da zudem das Frachtaufkommen mit anziehendem Handel weltweit hoch ist, baut die Lufthansa die derzeit nicht genutzten Passagierflieger kurzerhand und für die nächste Zeit zu Frachtmaschinen um.
Die fliegen fortan dann unter dem sinnigen Namen „Prachter“um die Welt. „Bei den Prachtern sehen wir in den nächsten Wochen aufgrund der enormen Luftfracht-Nachfrage Chancen, noch mehr einzusetzen“, sagte Lufthansa-Chef Carsten Spohr am vergangenen Donnerstag in einer Pressekonferenz anlässlich der Quartalszahlen seines Konzerns. Und auch in diese Zahlen hat sich die Ausnahmesituation natürlich eingeschrieben – und zwar tiefrot.
So lag das Minus der Kranich-Gesellschaft in den ersten drei Monaten des Jahres bei unter dem Strich noch gut einer Milliarde Euro; die Zahl der Fluggäste liegt um 86 Prozent unter dem Vorjahreswert. Die Umsätze bewegen sich nur noch rund 60 Prozent niedriger. Und das liegt eben unter anderem auch an einem guten Abschneiden der Frachtsparte: Die startete zu Jahresbeginn mit einem operativen Rekordgewinn von 314 Millionen Euro und landete damit wieder in der Gewinnzone.
Trotz dieser punktuellen Lichtblicke für den Konzern ist die Durststrecke allerdings lange nicht vorbei. So hat der Konzern seine erst kürzlich reduzierte Prognose noch einmal gesenkt: Statt im Gesamtjahr 2021 bis zur Hälfte seiner Jahreskapazität von 2019 erreichen zu können, erwartet man in Frankfurt nur noch etwa 40 Prozent. Um das zu erreichen und den Wegfall von Geschäftsreisen zu kompensieren, konzentriert sich die Lufthansa verstärkt auf touristische Ziele.
Denn eines der Probleme der Lufthansa ist es, dass in der Krise Unternehmen
gesehen haben, wie vergleichsweise einfach es ist auf viele Geschäftsreisen zu verzichten. Das ist deswegen ein Problem weil die Umsätze der Lufthansa bislang zur Hälfte aus Premiumangeboten kamen – also aus Erster-Klasse- und Businessflügen. Was sich nach der Krise aber als Erstes erholen dürfte, ist die Ferienfliegerei. „Je länger die Krise dauert, desto größer wird die Sehnsucht der Menschen, wieder zu reisen. Wir wissen, dass die Buchungen überall dort nach oben schnellen, wo Restriktionen fallen und das Reisen wieder ermöglicht wird. Angesichts der absehbaren großen Impffortschritte gehen wir ab dem Sommer von einer stark steigenden Nachfrage aus“, sagte Spohr. Das habe man auch sehen können, als die Reisewarnungen für Mallorca vor wenigen Wochen aufgehoben wurden und die Buchungszahlen Luftsprünge machten.
Im Interview mit der „Bild am Sonntag“sagte Spohr, Lufthansa und Tochter Eurowings wollen in diesem Sommer mehr als 100 Urlaubsziele anfliegen. Das sei ein absoluter Rekord in der Unternehmensgeschichte. Um auf diesem Weg mehr Geld zu verdienen, soll es in den Flugzeugen künftig kleinere Businessclass-Abteile geben. Stattdessen soll der Raum für Premium-Economy-Abteile sich vergrößern. Allerdings haben dieses Problem auch andere Fluglinien bereits erkannt und steuern um. Die Konkurrenz wird also hart sein. Und darüber können sich am Ende vermutlich die Verbraucher am meisten freuen, wenn die Fluggesellschaften einen Preiskampf in den Lüften austragen.
Um die Krise finanziell besser meistern zu können, will sich der MDax-Konzern auf der Hauptversammlung am Dienstag einen Vorratsbeschluss bei seinen Aktionären für eine Kapitalerhöhung holen. „Der Beschluss soll uns in die Lage versetzen, flexibel eine Kapitalerhöhung durchzuführen, damit wir unsere Bilanzkennzahlen wieder stärken und zu alter finanzieller Stabilität zurückkehren zu können“, sagte Spohr. Dabei sei klar ist, dass man den Großteil der Erlöse für die Rückführung der staatlichen Stabilisierungsmaßnahmen nutzen werde. „Denn – und das haben wir immer wieder betont – wir finanzieren uns lieber am Kapitalmarkt als beim Steuerzahler.“So sollen die Anteilseigner
grundsätzlich einer Erhöhung des Grundkapitals um 5,5 Milliarden Euro zustimmen. Fünf Jahre lang soll das Management diese Ermächtigung nutzen können. Die Regierungen Deutschlands, Österreichs, der Schweiz und Belgiens hatten die Airline mit einem insgesamt neun Milliarden Euro schweren Hilfspaket gestützt. Seither ist die Bundesrepublik mit gut 20 Prozent der größte Einzelaktionär der Lufthansa.
Bei einem anderen Großaktionär jedenfalls stößt der Vorschlag auf Kritik. „Wegen der schwachen Historie bei der Krisenbewältigung sind wir nicht bereit, dem Management einen Blankoscheck auszustellen“, sagte Fondsmanager Michael Gierse von Union Investment. „Deshalb stimmen wir gegen den völlig überdimensionierten Kapitalvorratsbeschluss“.
Lufthansa reagiert bislang vor allem mit einem radikalen Sparprogramm auf die Krise, hat das Catering-Geschäft in Europa verkauft sowie die Airlines Germanwings und Sun-Express Deutschland geschlossen. Die Zahl der weltweit Beschäftigten schrumpfte von 140 000 auf zuletzt 111 000 – jeder fünfte Beschäftigte hat den Konzern also verlassen oder verlassen müssen; in Deutschland sind bislang 8000 Beschäftigte gegangen. „Die Maßnahmen sind so radikal, weil sie in so kurzer Zeit geschehen“, sagte Luftfahrtexperte Cord Schellenberg der „Schwäbischen Zeitung“.
Und ein Ende des Kahlschlages ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Allein in Deutschland will der Konzern weitere 10000 Vollzeitstellen in diesem und im nächsten Jahr abbauen. Nach Auslaufen der Kurzarbeit sind dann auch Entlassungen nicht ausgeschlossen. Spohr verwies darauf, dass Verträge mit Piloten der Lufthansa und dem Bodenpersonal in Deutschland im ersten Quartal nächsten Jahres ausliefen. „Bis dahin brauchen wir Vereinbarungen, um Entlassungen zu verhindern.“
Mit solchen Ankündigungen dürften weitere Auseinandersetzungen mit Arbeitnehmervertretern programmiert sein. An diesem Dienstag aber gilt es für Carsten Spohr, auf die Einwände und Kritik seitens der Eigentümer seines Konzerns zu reagieren – und da vielleicht doch etwas diplomatischer zu sein. Zumal die Aktionäre auch in diesem Jahr keine Dividende erhalten werden.