Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Alarm in der Hosentasche
Warn-Apps zeigen auch nahendes Hochwasser an
Die Einschätzungen dazu gehen weit auseinander und reichen von „Unsere Warninfrastruktur hat geklappt“(Armin Schuster, Chef des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe) bis zu „Erhebliches Systemversagen“(Michael Theurer, FDP-Fraktionsvize im Bundestag). Nach Einschätzung des Präsidenten der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes, Dirk Aschenbrenner, hat der Katastrophenschutz in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zwar insgesamt funktioniert – „und er funktioniert immer noch“. Er sehe aber Defizite bei der Art und Weise, wie die Bevölkerung gewarnt worden sei, sagte er der „Schwäbischen Zeitung“. Die digitalen Warn-Apps könnten nur eine Zusatzinformation geben. Gerade wenn die Notsituation wie jetzt beim Hochwasser mitten in der Nacht entstehe, müssten Sirenen die Menschen auf die drohende Gefahr hinweisen. „Sie sind das beste Weckmittel“, betonte Aschenbrenner.
Sind Informationen aus dem europäischen Meldesystem Efas im Behördendickicht verschwunden?
Das behauptet die Mitentwicklerin des europäischen Hochwasser-Meldesystems, die Britin Hannah Cloke. Bereits vier Tage vor Beginn der Überschwemmungen habe das europäische Meldesystem Alarm geschlagen und „Warnungen an die deutsche und belgische Regierung“übermittelt, sagte die Professorin für Hydrologie der britischen Zeitung „The Times“. Daraufhin hätten die
- Über Kilometer hinweg ist das laute Heulen der Sirenen noch bis vor drei Jahrzehnten regelmäßig zu hören gewesen, wenn die Feuerwehr vor Ort alarmiert wurde oder wenn die Bevölkerung vor einer Gefahr gewarnt werden musste. Heute kann fast jeder Mensch seine eigene Sirene immer in der Hosentasche haben: Warn-Apps wie „Nina“oder „Katwarn“lassen Meldungen von Polizei oder Feuerwehr in Sekundenschnelle auf dem Smartphone aufblinken.
Eine der derzeit bekanntesten und am meisten verbreiteten Apps ist „Nina“vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). „Nina“ist deutschlandweit
Menschen in den betroffenen Gebieten Warnungen erhalten sollen. Dabei sei aber offenbar „etwas schiefgegangen“.
Dagegen berichteten Einwohner in vom Hochwasser betroffenen Orten, dass sie sehr wohl rechtzeitig über die Nina-Warn-App des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe gewarnt wurden, mit dem Hinweis: „Gehen Sie nicht in Keller oder Tiefgaragen, fahren sie nicht mit dem Pkw durch überflutete Bereiche.“Die Bundestags-FDP fordert nun eine Sondersitzung des Innenausschusses, bei der das Thema Warnhinweise aufgearbeitet werden solle.
Muss das System von Alarmsirenen ausgebaut werden?
Zwar nutzen neun Millionen Menschen die Nina-Warnapp des Bunaktiv und bietet zusätzlich zu den Warnmeldungen auch Empfehlungen, wie man sich in einer Gefahrensituation verhalten sollte – etwa, was bei Hochwasser zu beachten ist und wie sich Schäden vermeiden lassen.
Nutzer können in der App bestimmte Orte auswählen, für die sie Warnmeldungen bekommen möchten. Dies kann unabhängig vom eigenen Wohnort erfolgen – beispielsweise, wenn man auch Meldungen bekommen möchte, die weiter entfernt lebende Verwandte betreffen könnten.
Sowohl „Nina“als auch „Katwarn“sind mit dem satellitengestützten, bundesweiten Warnsystem „MoWaS“vernetzt. Beide Apps werden außerdem vom Deutschen Wetterdienst mit Wetterwarnungen gespeist. desamts. Dennoch sagte Behördenchef Schuster, die Fixierung auf digitale Warnapps sei ein Fehler gewesen. Man solle „die guten alten Sirenen“wieder installieren. Diese waren nach dem Ende des Kalten Krieges zum Teil abgebaut worden.
Zurzeit läuft ein Wiederaufbauprogramm für Alarmsirenen, das der Bund mit 88 Millionen Euro bezuschusst. Bei einer deutschlandweit durchgeführten Übung im September vergangenen Jahres hatte ein Großteil der Anlagen nicht funktioniert. Eine weitere Übung ist für 2022 vorgesehen.
Soll der Katastrophenschutz zentralisiert werden?
FDP-Politiker Stephan Thomae fordert, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zu einer „bundesweiten Zentralstelle Einziger Unterschied der Apps: „Katwarn“bietet zusätzlich zu den ortsbezogenen Warnmeldungen auch sogenannte Themenwarnungen an. Beispielsweise wird bei Musikfestivals oder Stadtfesten auf gesperrte Ausgänge oder einen Massenandrang hingewiesen.
Zudem ist „Katwarn“das nationale Warnsystem in Österreich. Das deutsche und das österreichische System sind dabei ebenfalls gekoppelt, sodass Nutzer beispielsweise in Lindau auch relevante Warnmeldungen aus Vorarlberg bekommen können.
Mehr Informationen zu Warn-Apps unter
bei besonders schweren Unglücksfällen“umzugestalten. Verbandschef Aschenbrenner möchte dagegen, dass der Katastrophenschutz Sache der Bundesländer bleibt. „Aber wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir Einsätze besser steuern können, wenn sie mehrere Bundesländer betreffen“, sagte er.
Hätten durch ein besseres Warnsystem Todesfälle vermieden werden können?
Das ist schwer zu sagen. Bei der Überschwemmung eines Behindertenwohnheims im rheinland-pfälzischen Sinzig schliefen die zwölf Todesopfer im Erdgeschoss, was ihnen zum Verhängnis wurde. Ob Warnhinweise nicht rechtzeitig an die Heimleitung gelangten oder Hinweise ignoriert wurden, muss noch geklärt werden.
Klaus Schmid, der Bürgermeister des vor fünf Jahren von einer Flut heimgesuchten Ortes Simbach am Inn, sagte, er tue sich mit Schuldzuweisungen schwer. „Irgendwo ist immer der Glaube da, dass es nicht so schlimm kommt“, betonte er.
Welche Konsequenzen deuten sich an?
Zum einen dürfte bei der Installierung von Warnsirenen mehr Tempo gemacht werden. Zum andern fordert Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU), dass an den Hochschulen mehr Forschung zu Extremwetterereignissen betrieben wird. Verbandschef Aschenbrenner wünscht sich, dass die Feuerwehren bei Katastropheneinsätzen künftig präzisere Lagebilder bekommen. In einem noch zu gründenden „Forschungsund Transferzentrum für Krisenmanagement“sollten Daten etwa von Meteorologen und Hydrologen zusammengeführt werden, um zu klareren Prognosen zu kommen.