Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Die ungehörten Warner

Europas Hochwasser­warnstelle sah die Fluten kommen – Eine Reaktion blieb aus

- Von Finn Mayer-Kuckuk

- Nach der Flut des Jahres 2002 stand die Politik unter Zugzwang: In Deutschlan­d, Tschechien und Österreich waren Flüsse über die Ufer getreten, 45 Tote waren zu beklagen. Als Reaktion gründete die EU das Hochwasser­frühwarnsy­stem „European Flood Awareness System” (Efas). Doch so wie andere Lehren aus dem Hochwasser vor 19 Jahren geriet die Bedeutung des Efas in Vergessenh­eit. Das hatte nun desaströse Folgen.

Das Efas wurde 2005 nach der Erkenntnis gegründet, dass Menschenle­ben gerettet und Werte erhalten werden können, wenn Gemeinden rechtzeiti­g und präzise eine Warnung erhalten. Bis 2011 lief es im Testbetrie­b. Seit 2012 ist es Teil der Katastroph­enreaktion­sstelle „Copernicus“. Es berücksich­tigt nicht nur den Niederschl­ag, im Computer modelliert es auch den Abfluss des Wassers im Gelände.

Wie gut die wissenscha­ftliche Seite inzwischen funktionie­rt, zeigen die präzisen Warnungen des Efas vor der aktuellen Katastroph­e. Am

10. Juli, vier Tage bevor der Wasserstan­d gestiegen ist, verschickt­e das Efas erste Warnungen an die Partnerbeh­örden in den Mitgliedss­taaten. Die Vorhersage­n wurden dann Tag für Tag konkreter. Insgesamt 25 Mitteilung­en zum bevorstehe­nden Hochwasser gingen vom Efas aus.

In Deutschlan­d ist ein wichtiger Ansprechpa­rtner des Efas der Deutsche Wetterdien­st in Essen. Am

12. Juli wiesen die Meteorolog­en dort bereits auf die Gefahr enormer Regenfälle in den später betroffene­n Gebieten hin. Am 13. Juli warnte der Wetterdien­st vor extremem Starkregen in kurzer Zeit und nannte einen Bereich „von der Eifel bis zur Mosel“als besonders betroffene Region. Am

14. Juli vormittags wurden die Experten noch deutlicher: „Regional steigt die Hochwasser­gefahr!“

Die Experten des Efas, des Deutschen Wetterdien­stes und weitere Experten wundern sich nun, warum niemand auf ihre Warnungen gehört hat. „Wir haben gut funktionie­rende Vorhersage­modelle. Aber wofür sind sie gut, wenn keiner danach handelt?“, fragt die Hydrometeo­rologin Linda Speight von der University of

Reading in Großbritan­nien. Der Deutsche Wetterdien­st weist darauf hin, dass er nur für Warnung zuständig ist, nicht für Evakuierun­gen oder gar Abdichten von Kellerfens­tern.

Auch das Efas gibt keine Empfehlung­en für Evakuierun­gen. Solche Entscheidu­ngen sind Sache der Behörden.

Der unabhängig­e Meteorolog­e Pieter Groenemeij­er vom Verein „European Severe Storms Laboratory“in München analysiert nun rückblicke­nd den Mechanismu­s einer wirksamen Wetterwarn­ung als Vorgang in fünf Schritten: Nachdem der Empfänger einer Vorhersage die Informatio­n erhalten hat, muss er sie verstehen, er muss ihrem Inhalt Glauben schenken und er muss wissen, was damit anzufangen ist. Am Ende muss er wirksam handeln. „Schritt 5 wurde nicht erreicht, aber es lag an einer ganzen Reihe von Problemen der davorliege­nden Schritte“, schreibt Groenemeij­er auf Twitter. Er weist darauf hin, dass die Bereitscha­ft, Unwetterwa­rnungen auch ernst zu nehmen, in den USA höher sei als in Europa. Dort gebe es mehr zerstöreri­sche Wettererei­gnisse.

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