Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Kraftlos und inkompetent
Die Szenen auf dem Kabuler Flughafen sind kaum in Worte zu fassen. Tausende versuchen alles, um wegzukommen. Es gibt Bilder, die zeigen, wie Menschen aus hundert Metern Höhe aus den Radkästen von Transportmaschinen in den Tod stürzen. Das Versagen des Westens stinkt seit Tagen zum Himmel und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass in naher Zukunft die Gegebenheiten noch unbarmherziger, noch brutaler werden. „Wir werden ein Desaster erleben, das wir selbst verursacht haben“, sagt fernab jeden Wahlkampfgeplänkels der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter.
Es ist ein Wunschtraum zu hoffen, dass die in afghanischen Städten festsitzenden Taliban-Gegner in Sicherheit gebracht werden können. Vor Wochen hat Außenpolitiker Norbert Röttgen wiederholt vor der Katastrophe gewarnt, die dann kommen sollte. Doch nicht einmal in seiner christdemokratischen Partei fand er Gehör. Jetzt twitterte er frustriert, dass auch Nichtstun Verantwortung begründe, der Deutschland nicht gerecht geworden sei.
Fakt ist, der übereilte US-Abzug war eine fürchterliche Fehlentscheidung und das Abnicken durch die Nato-Partner ein Beleg für Inkompetenz und Kraftlosigkeit. Im Mai flog die Bundeswehr über 20 000 Liter Bier und Wein aus. Was für Prioritäten. Die offensichtliche Fehleinschätzung der Lage vor Ort ist das Armutszeichen aller westlichen Geheimdienste. Diese Berichte sind gemeinsam mit Einschätzungen der Botschaften die Grundlagen für Regierungsentscheidungen. Noch im Juni sagte Außenminister Heiko Maas (SPD), aufgrund dieser Informationen gehe er nicht davon aus, dass die Taliban das Zepter übernehmen würden. Entweder sind die Nachrichtendienste durch die Reihe unfähig oder böswillig. Rücktritte oder Rausschmisse sollten die Folge sein. Aber auch die politische Verantwortung muss übernommen werden. Vielleicht hilft dabei ja auch eine Abwahl. Bis dahin bleibt nur die Hoffnung, dass militärische Profis Wege finden, so viele Menschen wie nur eben möglich außer Landes zu bringen.