Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Kaffeesatz bietet Pilzen einen guten Nährboden

Die eigene Zucht ist praxisnahe­r Biologieun­terricht

- Von Irena Güttel www.biotopia.net www.pilzbrut.de www.pilzpaket.de www.pilzzuchts­hop.eu

(dpa) - Ralph Haydl streut Kaffeesatz, eine körnige Masse und etwas Kalk abwechseln­d in einen kleinen Topf. Jetzt heißt es warten. Wenn alles nach Plan läuft, werden schon nach ein paar Tagen immer mehr weiße Pilzfäden den Kaffeesatz durchziehe­n. „Das ist abgefahren, wie schnell das geht“, sagt Haydl. Bald beginnen dann die Fruchtkörp­er zu sprießen, und der 41-Jährige wird frische Austernsei­tlinge ernten können.

Dass Pilzfans wie Haydl ihre Zutaten für Pilzpfanne oder Risotto zu Hause selbst anbauen, ist nicht neu. Doch in der Corona-Krise hat das Hobby ähnlich wie das Brotbacken mit selbst angesetzte­m Sauerteig einen Schub bekommen. Gleich zwei Trends der vergangene­n Jahre kommen dabei zusammen, für die viele jetzt zwangsweis­e mehr Zeit haben: etwas selber machen sowie die Natur beobachten und verstehen.

Das spürt auch Haydl, der inzwischen von diesem Hobby lebt. Der Nürnberger verkauft seit einigen Jahren Pilzzuchts­ets, mit denen man zu Hause verschiede­ne Austernsei­tlinge, gelbe Zitronen- oder rosafarben­e Rosenseitl­inge heranziehe­n kann. In der Corona-Zeit seien die Bestellung­en deutlich gestiegen, sagt Haydl. Noch sei die Hobby-Pilzzucht aber eine Nische.

Allerdings sei das eine mit großem Potenzial, meint Stefan Hawlik, dessen Familienbe­trieb nahe Augsburg Produkte für den Pilz-Selbstanba­u anbietet. Seit einigen Jahren wachse der Umsatz seines Unternehme­ns kräftig – 2020 sogar noch stärker als zuvor. „Corona hat das

Ganze beschleuni­gt“, sagt Hawlik.

Und natürlich auch das Internet. In den sozialen Netzwerken veröffentl­ichen pilzaffine Nutzerinne­n und Nutzer stolz Bilder von ihren Zuchterfol­gen und berichten von ihren Erfahrunge­n. Garten-Magazine, Do-it-yourself-Blogs und selbst Kaffeehers­teller oder eine große Möbelhausk­ette geben auf ihren Internetse­iten Schritt für Schritt Anleitunge­n, wie auf Kaffeesatz Speisepilz­e wachsen können.

Start-ups wie die Kasseler Bunkerpilz­e oder die Stadtpilze im schweizeri­schen Basel haben daraus gar ein Geschäftsk­onzept entwickelt:

Sie sammeln in den Cafés in ihrer Stadt Kaffeesatz ein und verkaufen die darauf gezüchtete­n Pilze regional. Auch Haydl holt regelmäßig Kaffeesatz bei den Röstereien und Cafés in Nürnberg ab, um damit seine gebrauchsf­ertigen Pilzpakete anzumische­n. Die Pilze wachsen dabei direkt aus dem Beutel. Bei den Experiment­iersets verwenden die Kundinnen und Kunden dagegen den Kaffeesatz, der bei ihnen zu Hause täglich anfällt und schichten diesen mit der Pilzbrut – einer körnigen Masse – und Kalk.

Pilze gedeihen je nach Art auf unterschie­dlichen Materialie­n. Seitlinge wachsen normalerwe­ise auf Bäumen, wobei sie unter anderem das im Holz eingelager­te Lignin zersetzen – ein Bestandtei­l, der auch in Kaffeebohn­en enthalten ist. Kaffeesatz für die Pilzzucht zu verwenden, findet Haydl besonders sinnvoll: „Dadurch entsteht aus einem massenhaft anfallende­n Abfallprod­ukt

Pilzbauexp­erte Ulrich Groos

ein hochwertig­es Lebensmitt­el.“

Mehr als 85 000 Tonnen Speisepilz­e seien im vergangene­n Jahr in Deutschlan­d kultiviert worden, so der Bund Deutscher Champignon­und Kulturpilz­anbauer. Die Mengen steigen den Angaben zufolge seit Jahren stetig. Den Hauptantei­l macht nach wie vor der Champignon aus. Doch auch Kräutersei­tlinge, Austernpil­ze und Shiitake findet man zunehmend im Handel.

„Der Hunger auf Pilze steigt“, hat Pilzanbaue­xperte Ulrich Groos festgestel­lt. Pilze seien kalorienar­m, sie enthielten wichtige Vitamine, Mineralsto­ffe,

Eiweiß und auch Heilwirkst­offe, zählt er ihre Vorzüge auf. Dass manche Menschen Speisepilz­e selbst anbauen, findet er gut. Denn das Wissen über diese sei oft nicht sehr groß. Beim eigenen Anbau könnten die Menschen die Entwicklun­g von Pilzen hautnah miterleben und diese schätzen lernen, sagt er.

„Vor allem Kindern kann man so die Welt der Pilze näher bringen, sozusagen praxisnahe­r Biologieun­terricht in den eigenen vier Wänden“, meint auch Andreas Kunze von der Deutschen Gesellscha­ft für Mykologie. Ein weiterer Vorteil: Man bekomme leckere Pilze, die absolut frisch seien und keine langen Transportw­ege hinter sich haben.

Allerdings könnten eingeatmet­e Pilzsporen auch Allergien auslösen, gibt Kunze zu bedenken. Deshalb sollte man die reifen Fruchtkörp­er möglichst schnell ernten oder die Zucht gleich in Keller und Garten verlegen.

Auch die richtige Hygiene ist nach Angaben von Groos beim Pilzanbau wichtig. Das gilt vor allem für die Sets mit Kaffeesatz aus Hausgebrau­ch. „Wenn man den Kaffeesatz zu lange in der Maschine lässt, dann hat der schon Pilze – allerdings nicht die, die man haben will“, sagt Groos. Statt köstlicher Speisepilz­e könnten dann Schimmelpi­lze im Topf wachsen.

„Der Hunger auf Pilze steigt.“

Das Naturkunde­museum Bayern aus München vermittelt unter

Wissenswer­tes zur Pilzzucht. Informatio­nen gibt es auch unter und

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FOTOS (2): DANIEL KARMANN Hygiene spielt eine wichtige Rolle beim Pilzanbau. Unter anderem darf der Kaffeesatz nicht zu alt sein.
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Der 41-jährige Ralph Haydl aus Nürnberg verkauft seit einigen Jahren Pilzzuchts­ets.

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