Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Klimawandel macht Versicherern und Kunden zu schaffen
Die Flutkatastrophe an Ahr und Mosel hat gezeigt, was auf die Branche in den nächsten Jahren zukommen könnte
- Noch sind nicht alle Schäden erfasst, die das Hochwasser im Ahrtal, im Moselgebiet und an der Erft hinterlassen haben. Bisher, so schätzte es Mitte Juli noch die Finanzaufsicht BaFin, sind es bis zu 5,7 Milliarden Euro. Eines steht jetzt schon fest: Es wird für die deutsche Versicherungswirtschaft die bisher teuerste Naturkatastrophe. Der Klimawandel wird für die Branche also richtig kostspielig – denn mit ähnlichen Schäden dürfte künftig häufiger zu rechnen sein.
„Wenn es nicht gelingt, die Erderwärmung unter dem 2-Grad-Ziel des Pariser Klimagipfels zu halten, dann werden wir etwa die Versicherung von Naturgefahren nicht in der bestehenden Form fortführen können“, warnte Jörg Asmussen, Geschäftsführer des Branchenverbands GdV schon zu Jahresbeginn in einem Interview. Damals ahnte er noch nicht, welche Schäden das Jahr für seine Branche bringen würden. Vor wenigen Tagen rechnete er nun vor, 2021 dürfte wegen Stürmen, Überschwemmungen, Starkregen und Hagel zum schadenträchtigsten Jahr seit 2002 werden.
Etliche Versicherer haben in den vergangenen Tagen und Wochen eine erste Bilanz der Verwüstungen durch das Unwetter Bernd gezogen. Für den zur Sparkassen-Finanzgruppe
gehörenden Versicherer Provinzial, der in den Flutgebieten viele Gebäudeund Hausratdeckungen gezeichnet hat, ist es der teuerste Schaden seiner Firmengeschichte. Bis vergangenen Freitag hätten die Kunden mehr als 36 000 Schäden mit einem Volumen von 1,02 Milliarden Euro gemeldet. Letztlich könnte sich die Rechnung auf bis zu 1,5 Milliarden Euro belaufen, heißt es bei der Provinzial.
Die Allianz rechnet mit einem Schaden vom mehr als 500 Millionen Euro und die Gothaer prognostizierte am Dienstag ein Gesamtvolumen von „400 bis 450 Millionen Euro“. Es sei der größte Schaden, den die Gothaer in den letzten Jahrzehnten zu verzeichnen hatte, bestätige eine Unternehmenssprecherin der „Schwäbischen Zeitung“. Zum Vergleich: Das Schadenvolumen bei den letzten großen Unwetterereignissen – etwa dem Hochwasser an Elbe und Oder – lag für die Gothaer nur bei etwa einem Viertel dieser Summe. Die Schätzungen kommen kurz bevor sich der Bundestag am Mittwoch in einer Sondersitzung mit dem geplanten Hilfsfonds in Höhe von 30 Milliarden Euro beschäftigt.
Die Branche, vor allem die Rückversicherer, haben die Klimarisiken zwar schon länger im Blick. Aber nun zeigt sich, wie groß der Handlungsbedarf ist, denn die Risiken steigen in mehrfacher Hinsicht. Zum einen eben durch die extremen Wetterlagen
und – dadurch ausgelöst – die immer höheren Schäden. Dass kleine Flüsse wie Ahr oder Kyll einen Pegelstand von acht oder neun Metern erreichen könnten, damit hätten die Bewohner sicher nie gerechnet.
Deshalb gilt es nun die Modelle zur Risikoberechnung zu überprüfen. Darauf weist auch die Deutsche Aktuar-Vereinigung hin: Schwanken die Schäden – eben abhängig von den Wetterlagen – dann müsse die Branche auch dauerhaft mehr Kapital vorhalten, damit sie ihrer Aufgabe gerecht werden kann. Dennoch bestehe die Gefahr, dass Extremszenarien die deutsche Versicherungswirtschaft in ihren Grundfesten erschüttern könnten.
Ein solcher Auslöser könnte das Erreichen der „Kipp-Punkte“im System des Erdklimas sein, von denen an eine Entwicklung nicht mehr zu stoppen ist. Auf einer Tagung der Versicherung Generali sagte Markus Hofer, Leiter der Schadensabteilung der Versicherung für Deutschland, noch könne man die Ereignisse zwar einschätzen, weil sich die Veränderungen durch den Klimawandel schon seit Längerem andeuteten. Doch die Frequenz der Ereignisse werde zunehmen: „Von Mai bis September haben wir mit solchen extremen Wetterereignissen zu tun, jedes Jahr.“Auch der Bericht des Weltklimarats IPCC vor wenigen Wochen dürfte die Branche aufgeschreckt haben. Denn der prognostizierte, dass die Erde sich schon 2030 und damit zehn Jahre früher als noch 2018 gedacht, um 1,5 Grad erwärmen werde.
Der Klimawandel werde die Wahrscheinlichkeit extremer Regenfälle und damit von Hochwasserkatastrophen erhöhen, warnte zuletzt am Dienstag ein internationales Team von Wissenschaftlern unter anderem des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Unter den derzeitigen Klimabedingungen sei zu erwarten, dass eine bestimmte Region in Westeuropa etwa einmal in 400 Jahren von einem solch verheerenden Ereignis heimgesucht werde, heißt es in der Untersuchung. Mit weiter steigenden Temperaturen werde derart extremer Starkregen häufiger. Werde es nochmals 0,8 Grad wärmer, erhöhe sich die Häufigkeit auf alle 300 Jahre, auch die Intensität des Starkregens steige weiter.
Für die Versicherungskunden bedeutet das: Die Prämien dürften steigen. In den letzten Wochen wurde zudem die Frage nach einer Pflichtversicherung diskutiert. Markus Hofer von Generali schlägt eine Alternative vor: Wer künftig eine Gebäudeversicherung abschließe, der könnte damit eine automatische Abdeckung erhalten. Abwählen könne man die dann nur über ein bewusstes Abwählen („Opt out“), So könne man das Ziel einer höheren Abdeckung erreichen.