Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Gejagt, gefoltert, getötet
In Ghana werden Frauen als „Hexen“verfolgt – Eine Ausstellung im Ulmer Stadthaus und ein Buch zeigen ihre Gesichter und erzählen ihre Geschichten
- Die Hochphase der Hexenverfolgung ist jetzt. Zwar werden Schauergeschichten über Frauen, die der Hexerei bezichtigt und deshalb getötet wurden, meist im Europa des Mittelalters verortet. Doch das stimmt nicht. Weltweit starben seit 1960 mehr Frauen, denen magische Fähigkeiten unterstellt wurden, als insgesamt zu den Zeiten, da der Hexenwahn auf dem alten Kontinent grassierte. Besonders gefährdet sind Frauen im subsaharischen Afrika und in Südostasien.
Über diese erschreckenden Tatsache und die Hintergründe will das Ulmer Stadthaus in seiner Ausstellung „Witches in Exile – Die ,Hexen’ von Ghana“aufklären. Gezeigt werden eindrückliche Porträts der Fotografin Ann-Christine Woehrl. Mehrere Male bereiste sie Westafrika, um mit Frauen ins Gespräch zu kommen, die als „Hexen“verfolgt wurden – und es teilweise noch werden. Woehrl näherte sich den Frauen als Künstlerin, nicht als Reporterin oder Sozialwissenschaftlerin. Entstanden sind Fotografien, die gebrochene Frauen zeigen, teils voller Melancholie, in jedem Fall anrührend.
Die eine Antwort auf die Frage, warum noch im 21. Jahrhundert Frauen als „Hexen“verfolgt werden, gebe es nicht, sagt Ethnologe Felix Riedel. Er war zu Gast, als Ann-Christine Woehrl das Stadthaus anlässlich eines Podiumsgesprächs besuchte. Dabei stellte sie ihr neues Buch der Öffentlichkeit vor: eine Monografie über ihr Fotoprojekt rund um die verfolgten Frauen. Ebenfalls auf dem Podium war die ghanaisch-amerikanische Anwältin Maakor Quarmyne. Sie ist die Hauptautorin von „Witches in Exile“.
Auch Felix Riedel ist ein Experte auf dem Gebiet. Er hat Ghana schon mehrere Male bereist und sprach nach eigener Auskunft mit mehr als 160 Opfern. Sein Fazit: Die Frauen, die dort wegen „Hexerei“verfolgt werden, hätten einfach oft „Pech“. Das Thema, so Riedel, sei „reichlich komplex“. Es ließe sich kein Muster feststellen, das Aufschluss darüber gebe, welche Frauen besonders gefährdet sind, an den Pranger gestellt zu werden. Es könne jüngere Frauen ebenso treffen wie hochbetagte. Im vergangenen Jahr sorgte ein Fall einer fast 100-Jährigen, die totgeprügelt wurde, für einen Aufschrei.
Jene Frauen, deren Bilder in Woehrls Buch gezeigt werden, hatten sogar noch „Glück“. Denn sie wurden nicht getötet und verbrachten oder verbringen ihren Alltag in Nordghana in sogenannten Hexencamps. Das sind mehr oder weniger geschützte Einrichtungen, in denen die Frauen unter sich sind. Daher auch der Auses stellungstitel „Witches in Exile“– „Hexen im Exil“.
Auf den ersten Blick mag es verwundern, dass Frauen in Ghana der Hexerei bezichtigt werden. Denn eigentlich hat die Regierung der Verfolgung offiziell den Kampf angesagt, das Land ist christlich geprägt. Wobei
mit dem Einfluss der Kirchen so eine Sache sei, sagt Riedel. Er berichtet von evangelikalen Pastoren, „religiösen Eiferern“, die umherzögen und sprichwörtlich Jagd auf „Hexen“machten. Durchaus in Absprache mit den Führern eines Dorfes könne es dann zu gezielten Lynchmorden kommen. Die zweite Art der Hexenverfolgung, die Riedel ausgemacht hat, sei die „spontane Hexenjagd“, bei der der Volksmob eine Schuldige ausfindig machen wolle für Dinge, die in Schieflage geraten sind.
Als Auslöser der allermeisten Hexenjagden in Ghana sieht Riedel eine plötzliche Erkrankung oder den Tod eines Menschen. Meist seien es dann Angehörige, die die Schuld am schlechten Zustand der geliebten Person bei jemandem suchten, der sich räumlich in der Nähe des Erkrankten aufgehalten habe, kurz bevor die Krankheit ausbrach. Andererseits und paradoxerweise, so Riedel, gingen viele Ghanaer sehr reflektiert mit ihrem Glauben an die Hexerei um. Nicht wenigen sei durchaus bewusst, dass an dem ganzen Hokuspokus in Wahrheit nichts dran sei. Und dennoch beteiligen sie sich an der Jagd.
Im Europa des Mittelalters fanden auch im süddeutschen Raum zahlreiche Hexenprozesse statt. Doch wer glaubt, dieser Kult sei in unseren Breiten durch die Aufklärung, eine Art geistige Weiterentwicklung, gar eine Einsicht abgeschafft worden, der irre, betont Riedel. Erst das profane Verbot der Folter habe die Hexenverfolgung hierzulande beendet. Aus einem einfachen Grund: Es konnten nun keine „Geständnisse“mehr erpresst werden, die in der Regel die Grundlage für Hinrichtungen waren.
Obwohl in Ghana auch Männer als befähigt gelten, magische Macht zu besitzen, müssen sich diese meist keine Sorgen um Leib und Leben machen. Denn im Unterschied zu Frauen, so der Glaube, würden Männer ihre Kräfte ausschließlich für „die gute Sache“einsetzen.
Was Riedels Ansicht nach bei der ghanaischen Bevölkerung durchaus fruchte ist der Appell an den gesunden Menschenverstand. Das Argument, dass „Hexen“sich selbst angesichts des Todes nicht helfen könnten, und das, obwohl sie doch angeblich andere Menschen mit Hexerei töten, überzeuge so manchen. Aufklärung sei hier die einzige Lösung.
Dauer der Schau: bis 5. September, Öffnungszeiten: Mo.-Mi., Fr.+Sa. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr, So. 11-18 Uhr. Der Eintritt ist frei. Am 4. September gibt es um 15 Uhr noch eine Führung. Anmeldung unter: https://stadthaus.ulm.de oder per Telefon 0731/161 7700.
Infos zum Buch: Ann-Christine Woehrl: Witches in Exile (Deutsch, Englisch), Kehrer Verlag 2021, 104 Seiten, 70 Farbabbildungen, 45 Euro.