Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Ängstliche Ruhe in Kabul
Kämpfer patroullieren auf Straßen – In den Provinzen öffnen manche Geschäfte wieder
(AFP) - „Es ist wie eine Apokalypse“, sagt die junge Afghanin. Zum ersten Mal, seit die Taliban die Macht übernommen haben, hat sich die 20-jährige Frauenrechtsaktivistin zusammen mit ihrer Mutter aus dem Haus gewagt. Sie traut ihren Augen kaum: Statt geschäftiges Leben herrscht gespenstische Stille auf den Straßen von Kabul, Kämpfer patrouillieren in den Vierteln. „Die Leute gehen fast nicht mehr raus und wenn, dann wollen sie so schnell wie möglich wieder nach Hause“, sagt die junge Afghanin, die anonym bleiben möchte.
Vor dem 15. August hat sie ihre Tage an der Universität und mit ihrer Arbeit in einer Bank verbracht. Doch die Taliban erlaubten Frauen das Studium nur, wenn sie von den Männern getrennt unterrichtet würden, sagt sie. „Eine dumme Entscheidung, denn es gibt nicht genügend Professorinnen.“Auch in der Bank ist sie als Frau nun unerwünscht. In den vergangenen Jahren kleideten sich viele Afghaninnen in der Hauptstadt westlich. Doch seit die Taliban zurück sind, ist die Nachfrage nach Burkas, den Ganzkörperschleiern, sprunghaft gestiegen. Plakate mit Frauen haben die neuen Herrscher abgerissen. „Bis auf die, die zu weit oben hingen“, sagt die Frauenrechtlerin. Manche Schönheits- und Friseursalons sind weiterhin geöffnet. „Ich würde mir wünschen, dass die Taliban dort hingingen, sie sehen aus wie Monster“, scherzt sie bitter.
Noch haben die Taliban weder eine Regierung gebildet noch Gesetze erlassen. Keiner weiß genau, was jetzt noch erlaubt und was verboten ist. Die Angst unter den Menschen sei groß, sagt ein Banker aus Kabul, der seinen Namen ebenfalls nicht nennen möchte. Das spiele den Taliban in die Hände. „Sie haben keine Armee, um die Leute zu kontrollieren. Aber die Angst kontrolliert alle“, sagt er.
In Chost im Südosten des Landes geben sich die neuen Machthaber versöhnlicher – vielleicht, weil die Stadt weit konservativer ist als Kabul. „Nach ein paar Tagen hat sich die Lage wieder normalisiert. Viele Geschäfte und kleine Unternehmen haben wieder geöffnet“, berichtet ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation aus Chost. „Jungen und Mädchen gehen wie früher zur Schule.“
Auf dem Marktplatz im nordafghanischen Kundus verkünden Taliban-Milizionäre über Lautsprecher neue Vorschriften. Kämpfe haben die Stadt verwüstet. Gebäude wurden zerstört, Lager geplündert. „Manche haben mit dem Wiederaufbau ihrer Geschäfte begonnen“, sagt ein Unternehmer. Viele Wohnhäuser lägen hingegen weiter in Trümmern. Weil die Bewohner geflohen sind, oder weil es schlicht an Geld fehlt.