Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Verloren im All
Industrie fordert Programm zum Aufbau einer Kleinsatelliten-Produktion – Sonst verpasse Europa den Anschluss
- Sie sind kartongroß, sehr gefragt und für die Zukunft von Deutschlands Industrie wichtig: Kleinsatelliten. Um die Massenfertigung voranzubringen, soll die Bundesregierung ein Förderprogramm auflegen und die Produktion mit 250 Millionen Euro unterstützen, fordern der Industrieverband BDI und Ingenieursverband VDI in einem Positionspapier. Das Ziel: die Bundesrepublik im internationalen Wettbewerb wieder etwas nach vorne zu bringen.
„Kleinsatelliten sind die Grundlage für viele innovative New-SpaceGeschäftsmodelle“, sagt Matthias Wachter, beim BDI für Raumfahrt zuständig. New Space fasst das kommerzielle Geschäft im All zusammen. Der technische Fortschritt und immer neue Ideen eröffnen Möglichkeiten, wie sich das All nutzen lässt.
In den vergangenen Jahren sind Satelliten immer kleiner geworden. Technik, die vor 15 Jahren noch die Größe eines Kleinwagens hatte, passt jetzt in einen Schuhkarton. Auch daran, solche Satelliten schnell, günstig, präzise und in Massen ins All zu befördern, wird gearbeitet. Allein in Deutschland entwickeln drei Unternehmen kleine Raketen, sogenannte Microlauncher, die das ermöglichen sollen.
Der Markt ist riesig. Von den rund 15 200 Satelliten, die vermutlich bis 2030 ins All geschossen werden, sind mehr als 90 Prozent Kleinsatelliten, Durchschnittsgewicht 180 Kilogramm. Allein den Produktionswert dieser Satelliten schätzt die Beratungsfirma Euroconsult auf rund 30 Milliarden Euro. Sie werden zum überwiegenden Teil in sogenannten Konstellationen eingesetzt werden – Satellitenschwärme in bis zu 1400 Kilometern Höhe, der sogenannten niedrigen Erdumlaufbahn (englisch „Low Earth Orbit“– Leo).
Solche Schwärme sind wichtig für Branchen wie Autoindustrie, Energie, Landwirtschaft, Logistik und Luftfahrt. Die Satelliten können präzise Wettervorhersagen liefern, Informationen über die Standorte von Schiffen sammeln und Daten generieren, die Waldbrände früh erkennen lassen. Die Technik ist in der Lage, Infrastruktur wie Pipelines und Stromnetze zu überwachen. Die Schwärme können Maschinen der Industrie 4.0 weltweit vernetzen. Und: Ohne diese Satelliten wird autonomes Fahren wohl ausgebremst, weil hochpräzise Navigationsdaten fehlen. Starlink, eine Tochter des US-Raketenbauers Space X Elon Musk, dem Gründer des Elektroautobauers Tesla, baut mit einem Satellitennetz ein stabiles Internetangebot weltweit auf, das auch entlegene Regionen versorgen soll. Mehr als 1200 Kleinstsatelliten sind bereits im All. Behörden im Ahrtal, in dem das Hochwasser im Juni die Infrastruktur zerstört hat, greifen bereits auf dieses System zurück, bis Funkmasten wieder aufgestellt, Kabel wieder verlegt sind. Auch die Europäische Union plant eine eigene Breitband-Internet-Konstellation, hängt aber etwas hinterher. Eine Machbarkeitsstudie läuft bereits, zwei weitere sind in Planung.
60 Prozent solcher Satelliten kommen derzeit aus den USA. Deutschland hat einen Weltmarktanteil von drei Prozent und ist in Europa führend. Branchenexperten sehen die Gefahr, dass Deutschland abgehängt werde. In diesem Fall seien deutsche und europäische Unternehmen
auf Technik aus den USA oder China angewiesen, könnten aber wenig mitreden. Und: „Es geht nicht nur um die Hardware, es geht auch darum, wer den Zugriff auf die Daten hat“, sagt ein Manager eines New-Space-Unternehmens. Der Datenzugriff ginge den Europäern verloren – ähnlich wie heute bei Social Media (Facebook), Internetsuche (Google) oder im Onlinehandel (Amazon).
Größter deutscher Satellitenbauer ist OHB in Bremen. Der Konzern stellt unter anderem 34 Satelliten der ersten Generation für das europäische Navigationssystem Galileo her, klassische Satelliten, jeder wiegt 730 Kilogramm und wird einzeln angefertigt. So war es bisher auch bei den deutschen Kleinsatellitenentwicklern. Um die enorme Nachfrage bedienen zu können, müssen sie von Hand- auf Massenfertigung umstellen. Der Berliner Satellitenbauer BST hat sich deshalb 2020 mit dem indischen Auftragsfertiger Azista zusammengetan, weil entsprechende Fabriken in Deutschland noch fehlen.
Hier soll die Bundesregierung einhaken. BDI und VDI schlagen zum Beispiel vor, eine hochautomatisierte Fabrik für Kleinsatelliten zu unterstützen. Vorbild ist die Fertigung von Batteriezellen, die das Bundeswirtschaftsministerium fördert. Außerdem sollte der Staat nicht selbst Technologie entwickeln, sondern Ankeraufträge an kommerzielle Unternehmen vergeben. Die beiden Verbände regen zudem einen Technologiewettbewerb an, wie er bereits für die deutschen Raketenbauer läuft.
Neben den 50 Millionen Euro jährlich über fünf Jahre fordern die Verbände auch, das nationale Raumfahrtbudget aufzustocken. Derzeit beläuft es sich auf 315 Millionen Euro jährlich, ist aber über mehrere Jahre weitgehend verplant, etwa für den deutschen Anteil an der Weltraumstation ISS. Orientieren soll sich die Bundesregierung an Frankreich, das 750 Millionen Euro jährlich für die Branche ausgibt.
Die Weltraumsparte des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns Airbus, zweitgrößter deutscher Satellitenbauer, fertigt neben großen Forschungssatelliten auch Kleinsatelliten in Masse – allerdings im USamerikanischen Florida. Entwickelt wurde die Pilotproduktion im südwest-französischen Toulouse. Dann entstand nach diesem Vorbild die US-Fabrik. Airbus stellt dort insgesamt 648 Stelliten für das Konsortium Oneweb her, das wie Starlink ein flächendeckendes Breitbandnetz aus dem All anbieten will. 200 dieser Geräte umrunden die Erde bereits.
In Deutschland wird aber klassisch einzeln von Hand montiert. In Immenstaad am Bodensee baut Airbus Space Telekommunikationssatelliten mit einem Gewicht von mehreren Tonnen. Dabei sind auch sechs Satelliten der zweiten Generation für das Galileo-System. Für eine Massenfertigung von Satelliten mit einem Gewicht zwischen 150 und 250 Kilogramm fehlen derzeit die Aufträge.