Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
„Die Industrie will Tierversuche nicht“
Der Konstanzer Forscher Thomas Hartung sieht Kosmetika-Hersteller im Dilemma
- Europäische Behörden zwingen Hersteller von Kosmetikprodukten geradezu zu Tierversuchen – selbst wenn die Firmen das gar nicht wollen. Das sagt der Professor für Umweltgesundheit und -technik Thomas Hartung, Co-Direktor des Europäisches Zentrums für Alternativmethoden zu Tierversuchen in Konstanz, im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“– und erläutert, wie man dieses Dilemma auflösen kann.
Herr Hartung, eigentlich sind Tierversuche für Kosmetika laut EUKosmetikverordnung seit 2013 verboten. Halten sich denn alle an dieses Verbot?
Tierversuche sind verboten für kosmetische Inhaltsstoffe und Kosmetikprodukte. Daran hält sich die Industrie soweit sie kann, aber es gibt Gesetzgebungen, die das Gegenteil von ihnen verlangen – und die sind oft stärker.
Nämlich welche?
Die Chemikalienverordnung REACH schreibt oft vor, dass bestimmte Tests durchgeführt werden müssen, obwohl laut EU-Kosmetikverordnung eigentlich alle Kosmetika ausgenommen sind und nicht unter diese Gesetzgebung fallen. Es gibt jede Menge Chemikalien, die in vielen Produkten wie Lebensmitteln und Haushaltsreinigern enthalten sind und alle getestet werden müssen. Das war die erste große Überraschung für uns: Wir haben 3206 Chemikalien gefunden, die mit Tierversuchen registriert wurden – und gleichzeitig aber auch in Kosmetika vorkommen. Dann haben wir noch 419 Substanzen gefunden, die ausdrücklich nur für Kosmetika eingesetzt werden. Und trotzdem mussten auch diese mit Tierversuchen registriert werden. 63 dieser Substanzen enthalten die Ergebnisse von Tierversuchen, die nach Inkrafttreten der Verbote durchgeführt wurden.
Womit begründet die Europäische Chemikalienagentur ECHA die Notwendigkeit von Tierversuchen für gewisse Kosmetika?
Die ECHA sagt, das Ganze sei notwendig für die Arbeitssicherheit der Arbeiterinnen und Arbeiter, die große Mengen der chemischen Substanzen verarbeiten. Hier ist es so, dass die ECHA sich sehr wenig hat einfallen lassen, um die Notwendigkeiten der Kosmetikregulation zu prüfen und anzupassen. Es hat im letzten August einige Schlagzeilen gegeben, weil der deutsche Duft- und Inhaltsstoffhersteller Symrise seine Kosmetika nicht in Tierversuchen testen wollte, dies von der ECHA abgelehnt wurde und Symrise damit gezwungen wird, weiter an Tieren zu testen, obwohl sie bereits Alternativmethoden gefunden haben. Das war der Startpunkt, dass wir uns gefragt haben, ob das ein Einzelfall ist oder wir nur nichts davon hören, dass die ECHA Unternehmen quasi zu Tierversuchen zwingt. Über das Ausmaß waren wir völlig überrascht.
Ist der politische Wille da, den Widerspruch zwischen den konkurrierenden Verordnungen aufzulösen?
Man muss sich klarmachen, dass die Chemikaliengesetzgebung REACH die erste ihrer Art weltweit war. Es hat sich noch nie ein Land oder eine Region aufgerafft, ihre alten Chemikalien systematisch durchzugehen. Es sind andere gefolgt und mittlerweile gibt es Gesetzgebungen, aber die sind alle noch in den Startlöchern. REACH ist da vermutlich ganz weit vorne und beinhaltet viele gute Sachen, aber man muss lernen und sich anpassen. Wenn es der Wunsch der Politiker und auch der Mehrheit der europäischen Bevölkerung ist, dass Kosmetika nicht an Tieren getestet werden, dann muss das entsprechend umgesetzt werden, dass es letztlich nicht der Willkür der Chemikalienagentur überlassen bleibt, ob die Kosmetikinhaltsstoffe an Tieren getestet werden oder nicht.
Und so lange kann die Regulierungsbehörde ECHA nichts tun?
Ich bin der Ansicht, dass man den Ermessensspielraum ausnutzen muss und auch die Art der Gefährdung, die von solchen Substanzen ausgeht, einschätzen kann. Es ist eben so, dass es hierbei nicht um neu entwickelte Substanzen geht, sondern um Chemikalien, die oft über Jahrzehnte schon in Produkten drin sind. Da kann man es insbesondere den Firmen überlassen, zu sagen, wir haben so viel Erfahrung damit, wir können hier Ersatzmethoden verwenden, um das mögliche Restrisiko zu kontrollieren und müssen nicht einen 50 Jahre und älteren Test an Tieren ansetzen, der uns keine neuen Informationen liefern wird. Das Interessante war ja auch, dass aus diesen 63 Substanzen, die dann an Tieren getestet wurden, keinerlei regulatorische Konsequenz gezogen wurde. Es wurde nichts gefunden, was man anschließend vom Markt hätte nehmen oder in seiner Benutzung hätte einschränken müssen.
Das heißt, die Tierversuche wären in diesen Fällen eigentlich vermeidbar gewesen?
Aus meiner Sicht hätte man dort Strategien wählen können, die nicht tierverbrauchend sind, die Unternehmen nicht ins Dilemma bringen, einer von zwei Gesetzgebungen widersprechen zu müssen und hätte hier trotzdem dasselbe hohe Maß an Sicherheit gewährleisten können, das wir für Chemikalien in Europa haben wollen.
Ihr Institut schafft nun eine Aktionsplattform für tierversuchsfreie Kosmetikprodukte. Wie soll die aussehen?
Uns ist klar geworden, dass die Erkenntnisse der Studie viele Leute enttäuschen wird. Viele Leute bauen darauf, europäische Kosmetika zu kaufen, die frei von Tierversuchen sind. Wir möchten klarmachen, dass eigentlich viele Beteiligte, vor allem auch die Industrie, auf der Seite des Tierschutzes und der Verbraucherorganisationen sind und die Tierversuche eigentlich nicht wollen. Deshalb war die Idee, miteinander zu reden und einen Aktionsplan aufzusetzen, wie die Gesetzgebung geändert werden muss. Wir haben am 20. August das erste Telefongespräch geführt, bei dem wir große Kosmetikhersteller wie Unilever oder Procter & Gamble und verschiedene Tierschutzorganisationen dabeihatten und das Interesse war sehr groß. Dennoch wird es jetzt eine Zeit lang dauern, bis man alle Beteiligten zusammengeführt und eine gemeinsame Strategie erarbeitet hat.