Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Einfamilienhäuser sind im Hafen kaum noch möglich
Nach 13 Jahren als Regionalverbandsdirektor geht Wilfried Franke in den Ruhestand – eine Bilanz
- Wie viele Flächen brauchen wir künftig für Wohnbau, Gewerbe und Straßenbau? Und welche Flächen sind dem Naturschutz vorbehalten? Diese Fragen hat der Regionalverband Bodensee-Oberschwaben mit der Aufstellung eines neuen Regionalplans in den vergangenen Jahren für die Landkreise Sigmaringen, Ravensburg und Bodensee beantwortet. Der scheidende Verbandsdirektor Wilfried Franke (66) spricht im Interview über diesen Prozess und zieht Bilanz nach 13 Jahren an der Spitze des Verbands.
Herr Franke, jahrelang haben Sie eher im stillen Kämmerlein gewirkt, was den neuen Regionalplan betrifft. Warum gerieten Sie in den letzten Monaten ihrer Amtszeit plötzlich so in den Fokus des öffentlichen Interesses samt Demos und persönlichen Anfeindungen?
Ich habe mich das auch schon gefragt. Sechs Jahre lang waren wir im Verfahren, einen neuen Regionalplan aufzustellen. Es gab große Anhörungsrunden, 600 Träger öffentlicher Belange mit 87 Kommunen waren beteiligt. Es wurden 26 Sitzungen absolviert und erst in den letzten zwei oder drei kochte das alles hoch. Ich kann es mir nicht erklären, warum zunächst alles gesamtgesellschaftlich akzeptiert war und sich dann so zugespitzt hat. Vermutlich wurde die ganze Tragweite des Plans erst in der Zusammenschau deutlich: Flächen für Wohnen, Gewerbe, Rohstoffabbau und Straßen – in keinem anderen Plan sehen Sie die in Summe.
Die Sitzung, in der der Regionalplan verabschiedet wurde, musste unter Polizeischutz stattfinden. Das war sicher ein Novum ...
Ja, aber vieles war plötzlich neu. Etwa, dass irgendwelche Kletterer nach einer Demo aufs Dach des Regionalverbandes gestiegen sind und ein riesiges Transparent angebracht haben. 60 bis 70 Dachplatten gingen am historischen Gebäude kaputt, 4500 Euro Schaden, rechtlich war das Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung. Dann wurde ein gefälschtes Pamphlet mit überzeichneten Inhalten in unserem Namen in Umlauf gebracht. Einige haben diese Fakenews als bare Münze genommen und uns wüst beschimpft. Das war deutlich unter der Gürtellinie. Polizei und Staatsanwaltschaft, sowie ein privater Sicherheitsdienst, haben uns dann bei den abschließenden Sitzungen in Horgenzell und Pfullendorf unterstützt. Trotz der Kontrollen haben es zwei Damen geschafft, während der Sitzung dem Vorsitzenden Erde aus dem Altdorfer vor die Füße zu kippen. Dazu gab es ein Klimacamp und drei nackt protestierende Damen. Nach der Sitzung wurden uns zweimal die Türschlösser im Regionalverbandsgebäude mit Sekundenkleber verschlossen und die Wände mit Anarchozeichen beschmiert.
Es gab Baumbesetzungen, der Regionalplan wurde als Klimahöllenplan bezeichnet. Ist es nicht das Recht der jungen Leute, zu protestieren?
Ich kann das voll verstehen. Ich habe mich Jahrzehnte gefragt, wo die kritische Jugend eigentlich ist. Leider verfällt man in Deutschland oft von einem Extrem ins andere. In fünfeinhalb Jahren Verfahren tut sich nichts und im letzten halben Jahr kommt der Aufstand. Man sollte ordentlich miteinander umgehen, bei Hausfriedensbruch und Urkundenfälschung hört der Spaß auf. Der Begriff Klimahöllenplan wird den vielfältigen Aufgaben unserer Gesellschaft nicht gerecht.
Man kann als junger Mensch fordern, dass man alles dem Klimaschutz unterordnet. Aber man muss dann erstmal die gesetzlichen Grundlagen dafür schaffen. Unsere Rahmenbedingungen sind bestimmt vom Landesentwicklungsplan aus dem Jahr 2002.
320 Hektar für Wohnbau, 800 Hektar für Gewerbe, warum
wollen Sie so große Flächen versiegeln?
Wir haben einen staatlichen Auftrag, der resultiert aus dem Landesplanungsgesetz. Wir müssen abschätzen, wie sich diese Region in den nächsten 15 bis 20 Jahren entwickelt. Wir gehen davon aus, dass sowohl Wirtschaft als auch die Bevölkerung wachsen werden. Das birgt natürlich Sprengstoff. Wenn eine Region stagniert, braucht sie groß keine Flächen auszuweisen. Wir glauben, dass wir zusammen mit unseren Büros die richtigen Zahlen ermittelt haben.
Sie haben auch den Auftrag, Flächen zu schützen ...
Ja, 57 Prozent aller Flächen im Verbandsgebiet sind unter Freiraumschutz. Das sind regionale Grünzüge und Vorranggebiete für Naturschutz. Hier geht baulich sowieso nichts mehr. Erstmalig haben wir jetzt auch die für den Klimaschutz enorm wichtigen Durchlüftungsachsen im Plan.
Warum ist im Regionalplan keine Rede von Windkraftanlagen?
Die Bereiche Windkraft und Photovoltaikanlagen wurden zunächst ausgeklammert. Es muss dafür noch ein Teilregionalplan Erneuerbare Energien erstellt werden. Da wird es auch wieder heftig zur Sache gehen. Das Land will 1000 neue Anlagen. In der Region Bodensee-Oberschwaben haben wir in den vergangenen 20 Jahren gerade mal sechs Anlagen zustande gebracht. Wenn die Windkraftanlagen gleichmäßig verteilt werden, bräuchten wir 80 Stück. Wenn man die Windhöffigkeit miteinbezieht, wären es immer noch 40 für die Region. Jeder kann sich ausrechnen, welches Konfliktpotenzial hier drin steckt.
Geht es hier darum, dass niemand die Anlagen vor der Haustür haben will?
Nicht nur. Es geht auch um Fläche. Die Anlagen sollen ja überwiegend in den Wald kommen. Wir reden da von einem halben Hektar Wald pro Anlage, der gefällt werden müsste. Ohne die Zufahrtswege. Und wenn man die Proteste im Altdorfer Wald sieht, geht es ja um jeden Baum.
Ein Vorwurf an Sie lautet, dass Sie ständig neue Straßen planen ... Wir planen keinen Quadratmeter neue Straße. Wir sind aber gezwungen, das, was der Bundestag mit dem Bundesverkehrswegeplan festgelegt hat, in unseren Plan zu übernehmen. Für den Lückenschluss der B30 zwischen Ravensburg und Friedrichshafen müssen wir für die geplante Ostumfahrung Meckenbeuren einen Strich in die Karte zeichnen. Im ganzen Verbandsgebiet plant der Bund zwölf Maßnahmen, die sind Gesetz. Ein weiteres Beispiel ist die B1-Vorzugsvariante der B 31-neu zwischen Immenstaad und Meersburg.
Wie soll diese Trasse eigentlich ans nachgeordnete Straßennetz angebunden werden?
Die spannende Frage ist dabei, wie kommt der Verkehr aus dem Salemer Tal nach Friedrichshafen, jetzt wo die Trasse weiter südlich verläuft als im Planfall 7.5. Ursprünglich waren ja Ortsumfahrungen von Neufrach, Bermatingen, Markdorf und Kluftern geplant, um den Verkehr zum Eichenmühleknoten bei Efrizweiler zu bringen. Die Umfahrungen Kluftern und Bermatingen sind gestrichen, Neufrach liegt auf Eis, Markdorf ist planfestgestellt. Das ist ein Torso, die meisten Fragen sind offen.
Braucht man Ihrer Meinung nach eigentlich noch die Ortsumfahrung Markdorf?
Diese Umfahrung hat jetzt eine völlig andere Funktion als bei der Planung. Sie war damals Teil des genannten Konzepts. Jetzt geht es nur noch um eine örtliche Verbesserung.
Wie soll nach dem Regionalplan künftig mit Flächen umgegangen werden?
Eins ist klar, vieles wächst bei uns, die Wirtschaft, die Bevölkerung, die Mobilität, aber die Fläche nicht. Deshalb müssen die Potenziale im jetzigen Regionalplan sehr sorgfältig genutzt werden. Zum Beispiel durch verdichtetes Bauen. Wir haben das für die ausgewiesenen Wohnungsbauschwerpunkte erstmals vorgeschrieben. Das wird bislang zu wenig zur Kenntnis genommen. Im Gewerbesektor muss man sich von der eingeschossigen Bauweise verabschieden man muss sich mehr zusammenfinden, Flächen können nicht mehr fürs Parken versiegelt werden. Wir haben das in der Hand.
Sie schreiben für Oberzentren wie Ravensburg oder Friedrichshafen 95 Einwohner pro Hektar Neubaugebiet vor, wie wird sich das auswirken?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass man mit dieser Vorgabe hier noch in größerem Stil Ein- und Zweifamilienhäuser bauen kann. Kleinere Städte, das fängt schon beim Unterzentrum Sigmaringen an, haben solche Dichtewerte noch nie ansatzweise erreicht. Eins ist dabei auch klar, durch die knappen Flächen werden die Preise für Wohnungen nicht fallen.
Warum rechnen Sie mit einem Zuzug von 29 000 Menschen in die Region in den nächsten 15 bis 20 Jahren?
Es kommen zum einen Menschen hierher, die hier einen Job finden und zum anderen die, die in der Rente auf Berge und Bodensee schauen wollen. Und Sie können es in Europa niemandem verbieten, in die attraktive Region Bodensee-Oberschwaben zu kommen. Vielleicht entspannt sich die Situation auch in 15 bis 20 Jahren. Ich erinnere mich an die Diskussion über den demografischen Wandel. Vor ein paar Jahren dachte man, wir sterben bald aus. Es ist aber bislang nicht so schlimm gekommen, wir haben heute drei Millionen Menschen mehr in Deutschland. Dank Zuwanderung und einer höheren Geburtenrate.
118 Hektar an Potenzialfläche für Gewerbe enthält der Regionalplan für den Bodenseekreis. Warum haben Sie auch sehr umstrittene Flächen ausgewiesen?
Im gewerblichen Bereich hatten wir große Probleme, im Bodenseekreis überhaupt noch Standorte zu finden. Es gibt dort keine weißen Flächen mehr. Die Erweiterungen von Überlingen Andelshofen und Salem waren und sind umstritten, aber das wars dann im westlichen Bodenseekreis. In Tettnang und Meckenbeuren liefen die Erweiterungen relativ ruhig ab. Dazu kommt Hirschlatt, obwohl vom Häfler Gemeinderat abgelehnt, aber Friedrichshafen kann als gewerbliches Zentrum nicht mit 1,4 Hektar Potenzialfläche in die nächsten 20 Jahre gehen.
Das wars mit der gewerblichen Entwicklung am See?
Ja. Wenn die rechtlichen Grundlagen gleich bleiben und wir weiter alle Belange berücksichtigen, vom Landschaftsschutz bis zu Emissionsabständen, dann sehe ich hier ein Ende der gewerblichen Flächenpotenziale im Bodenseekreis.
Werden Unternehmen deshalb die Region verlassen?
Es gibt in der Region ein Gefälle. Nicht überall ist es so eng wie im Bodenseekreis. Hier sind nur noch in fünf von 23 Gemeinden größere Gewerbestandorte möglich, auch das haben – glaube ich – noch nicht alle realisiert. Dafür haben wir im Landkreis Sigmaringen noch größeres Potenzial. Kein Unternehmen muss nach China oder Brasilien abwandern.
Die Kommunen können sich künftig nicht mehr über Entwicklung von Bauland oder Ansiedlung von Gewerbe finanzieren ...
Ja, das wurde in den Gesprächen bei der Aufstellung des Regionalplans deutlich. Das Ende der Flächenentwicklung hat natürlich Auswirkungen auf die Finanzierung des Haushalts von Kommunen. Einige müssen sich da ganz neu aufstellen.
Sie geben nicht nur das Amt des Verbandsdirektors auf, sondern auch die Geschäftsführerposten bei den Interessenverbänden Südbahn und Bodenseegürtelbahn und der ReKo GmbH sowie den Aufsichtsrat bei der Bodensee-Oberschwabenbahn (BOB) und den Posten als Kurator der Heinz-Sielmann-Stiftung. Da wird es Ihnen bestimmt bald langweilig ...
Ich hatte immer drei wichtige Säulen in meinem Leben: den Beruf, die Familie und den Sport. Die letzten beiden bleiben, ich habe keine Sorge, dass mir langweilig wird. Ich möchte jetzt ein Leben ohne Terminkalender führen und auf jeden Fall ein bisschen mehr reisen.