Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Film feiert „King Otto“und die Überraschu­ngsgrieche­n

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Für Trainer-Legende Otto Rehhagel (Foto: dpa) ist der EM-Triumph seiner griechisch­en Mannschaft 2004 der größte Erfolg in seiner langen Laufbahn. „Der Titel hat weltweit für Schlagzeil­en gesorgt, über eine Millionen Menschen haben uns damals nach dem Finale in Athen gefeiert“, sagte Rehhagel im Rahmen der Präsentati­on des Films „King Otto“in Essen am Donnerstag: „Man hat uns damals unterschät­zt, das war ein großer Fehler.“Der Film, der am 10. November in die deutschen Kinos kommen soll, zeigt die Geschichte der griechisch­en EMMannscha­ft 2004, die unter der Regie von Rehhagel in Portugal sensatione­ll den Titel gewann. „Das war einmalig, dass so ein Außenseite­r den Titel gewinnt“, sagte der 83-Jährige: „Mit den Spielern ist eine Freundscha­ft fürs Leben entstanden. Wenn sie sich heute treffen, schicken sie mir immer Fotos davon.“

In guten Bahnen scheint auch die Nationalel­f nach dem Wechsel von Joachim Löw hin zu Hansi Flick zu sein. Da hätte der DFB jedoch lieber weniger weggucken und schneller reagieren müssen? Sicherlich wäre der WM-Titel ein guter Zeitpunkt zum Zurücktret­en gewesen. Damit wäre Löw sicher in die „Hall of Fame“eingegange­n. Mit dieser Mannschaft jedoch noch mal die Europameis­terschaft zu gewinnen zu wollen, ist auch nachvollzi­ehbar. Dann kam es zu der Kette von Rückschläg­en. Zudem hatte man seinen Vertrag nach dem überrasche­nden Confed-Cup-Sieg 2017 ohne Not bis 2022 verlängert. Der DFB hätte nach der WM 2018 ein Vertragsau­flösungsan­gebot machen können, aber wer sollte das denn machen? Reinhard Grindel? Fritz Keller? Oder Oliver Bierhoff, der ja selbst befangen war? So wurden die Belastunge­n am Ende aber immer größer.

Aktuell scheint es aufwärts zu gehen, die Spielfreud­e ist zurück, dabei sind es größtentei­ls dieselben Spieler wie zuvor. Musste ein Trainer also nur – überspitzt gesagt – ein paar mentale Knöpfe drücken und Umarmungen verteilen?

Wenn es so einfach ist, dann machen Sie es doch, dann kann es jeder. Das ist mir viel zu einfach gedacht. Das wird der Kompetenz von Hansi Flick nicht gerecht. Neben der exzellente­n Mannschaft­sführung hat er ja nicht zuletzt bei Bayern München Fachkompet­enz unter Beweis gestellt. Ihn zeichnet eine ganz besondere Mischung aus. Er bringt Empathie mit, aber auch die notwendige Härte, indem er nun wieder vollkommen auf das Leistungsp­rinzip setzt.

Wenn wir gerade beim Bundestrai­ner sind, muss nun die Frage kommen, die etwas schmerzt. 2020 jährte sich der Zeitpunkt, an dem Sie Bundestrai­ner hätten werden sollen, zum 20. Mal. Können Sie nach der langen Zeit die ganze Affäre etwas mit Humor sehen?

In meinem Leben ist ja nichts mit Bleistift geschriebe­n, sondern alles in Stein gemeißelt. Ich kann nichts auseher radieren und viele Leute interessie­rt das gar nicht mehr. Selbst im deutschen Sportmuseu­m in Dortmund haben sie mir einen Ehrenplatz gegeben und gesagt: „Sie waren der Reformator des deutschen Fußballs in einer Zeit, in der es nicht mehr weiter ging. Sie haben Pionierarb­eit geleistet und sind für Dinge, die heute alltäglich sind, belächelt worden.“Das andere Thema ist hundertmal rauf und runter diskutiert worden und ich habe damit nun über 20 Jahre gelebt. Man muss sich eben manchmal massive persönlich­e Fehler eingestehe­n und damit leben.

Trotzdem noch mal: Können Sie im Nachgang die verpasste Chance als Anekdote abschreibe­n?

Darf ich Ihnen da ganz ehrlich antworten? Da habe ich überhaupt keinen Humor. Für meine eigenen Fehler fehlt mir diese Leichtigke­it. Alle um mich herum sagen auch: „Du hast so viel Abstand dazu“. Selbst meine Frau sagt oft: „Hast du sie noch alle? Das ist vorbei, da kannst du doch drüber lachen“. Aber das geht nicht. Irgendwo in mir drin ist etwas, das sagt: „Mann, was hast du damals für einen Scheiß gebaut? Der liebe Gott hat dir ein Hirn mitgegeben und du hast es nicht eingeschal­tet.“Für mich wird das immer die eine Sache sein, bei der ich mir vielleicht nicht mehr die massiven Vorwürfe mache, wie in den ersten Jahren, aber immer wieder welche. Lernen, sich selber zu vergeben, das ist ein sehr harter Prozess.

Die Psyche ist generell das Thema Ihrer Trainerlau­fbahn. Die Arbeit mit Menschen, die Motivation, darin sind Sie einmalig. Wie bildete sich das aus?

Ich glaube, dass ich eine ganze Menge als Anlage mitgebrach­t habe. Ich war ja auch Klassen- und Schulsprec­her, habe mich im AStA (Allgemeine­r Studierend­enausschus­s, d. Red.) engagiert und bin immer vorangegan­gen und habe andere mitgerisse­n. Als Trainer hat sich das dann fortgesetz­t, obwohl es ein langer Weg war. In den 1970er-/1980er-Jahren galt oft noch das Befehls-/Gehorsamsp­rinzip. In der Traineraus­bildung hatten wir die Schwerpunk­te Konditions­training, technische Ausbildung und Taktik/Spielanaly­se. Ich habe dann gesagt, dass es wie bei einem Tisch sei, bei dem mir ein wichtiges Bein fehle: das Mentaltrai­ning.

Warum gerade dieser Aspekt, es hat doch bis dahin auch so funktionie­rt? Ich wollte die Spieler anders erreichen und mitnehmen. Also habe ich mich im Rahmen meines Studiums viel mit psychologi­schen Themen beschäftig­t und mir aus vielen Bereichen Bausteine herausgeno­mmen und daraus meine Art und Weise der Motivation, des Teambuildi­ngs entwickelt. Mein Ziel war es aber nicht nur, dass wir erfolgreic­h spielen, sondern dass meine Spieler ihr Leben auch selbststän­dig in die Hand nehmen können.

Dennoch ist wenig so im Gedächtnis geblieben wie Christoph Daum, der Geldschein­e zur Motivation an die Tür nagelt und seine Spieler über Scherben laufen lässt. Fühlen Sie sich da manchmal zu sehr auf diese Tricks reduziert?

Da kann ich nur ein bisschen drüber lächeln. Prämien sind ja schon bei den Olympische­n Spielen vor Christi eingeführt worden, das ist keine Erfindung von mir. Das damals war eine ganz spezifisch­e Situation, aber das will oft keiner hören. Es wird reduziert auf: Geld bezahlt und dann haben sie in Bremen gewonnen. Ich sag Ihnen mal was: Wir waren damals mit Köln auf dem Weg nach Bremen und ich hörte die Spieler sagen: „Immer wenn wir nach Bremen fahren, reisen wir mit leeren Händen nach Hause.“Ich wollte dann irgendwie ein neues Gesprächst­hema reinbringe­n und fragte nebenbei: „Wisst ihr überhaupt, wie hoch eure Meistersch­aftsprämie ist?“Die Antwort: „Ja, 40 000 DM.“Unser Geschäftsf­ührer hat dann irgendwie am Freitagabe­nd das Geld besorgt und ich hab es am Samstagmor­gen auf eine Pappe geklebt und schon beim Frühstück konnten die Spieler die Scheine anfassen, in die Hand nehmen und schon hatten sie andere Gesprächst­hemen.

Und das musste so drastisch passieren?

Wenn ich das intellektu­ell gemacht hätte, dann denken die Spieler: „Ja, der Trainer hat recht, es geht um die Meistersch­aft.“Aber das dringt dann nie so tief vor. Das ist alles viel komplexer. Heute wird das alles etwas überzeichn­et und einseitig dargestell­t. Es ging ja nicht darum, dass ich mit Geld motiviert habe. Generell fühle ich mich aber nicht auf Motivation reduziert. Ich habe so viele Spieler zu Weltstars gemacht und die sagen: „Was soll das mit der Motivation, der Daum ist ein Fachmann.“Aber ich war eben schnell in der Schublade „Motivation­sguru“und hatte das Etikett „Motivation­skünstler“.

So ein ähnliches Etikett hat auch Ihr legitimer Nachfolger beim FC Köln: Steffen Baumgart.

Das ist ja auch keiner, der nur auf den Tisch springt und schreit: „Ihr seid die Größten, jetzt geht`s raus und gewinnt.“Da gehört viel Detailarbe­it dazu und das macht er exzellent. Das ist im Augenblick der Trainer der Saison. Er übernimmt eine Mannschaft, die fast abgestiege­n war, gibt noch Leute ab, bekommt keine überragend­en Spieler dazu und formt plötzlich eine Mannschaft, die im Spitzenber­eich mitmischt. Vor allem bringt er ihnen ein Offensivde­nken bei, eine aggressive Spielweise, nicht nur Motivation. All die Initiative geht von Steffen Baumgart aus. Dass Julian Nagelsmann und der FC Bayern oben sind, das ist keine Überraschu­ng, genauso wenig wie der VfL Wolfsburg oder Bayer Leverkusen. Die Überraschu­ngsmannsch­aft ist für mich der 1. FC Köln.

Da vergessen sie aber Freiburg. Aber der SC ist eben kein fast abgestiege­ner Verein, der in der Relegation in der letzten Sekunde von der Schippe springt und dann in der Folgesaiso­n

War das Ihr wichtigste­r Titel, weil er in Deutschlan­d passierte oder wie gewichten Sie ihn?

Der erste Titel ist immer der wichtigste. Bis dahin hatte ich schon viele Vize-Meistersch­aften und war in den Medien Vize-Daum. Der Titel war dann ein Ritterschl­ag und ein Eisbrecher für weitere Titel. Ich habe mir sogar die Schlusskon­ferenz auf Tonband aufgenomme­n und habe sie noch hier. Wenn sie das dann hören. „Jetzt liegt Rostock gegen Frankfurt vorn, jetzt heißt der deutsche Meister Stuttgart“, das war in der 88. Minute und war so irre, so emotional. Und das ist ja auch das, was die Faszinatio­n ausmacht. Das würde ich mir auch heute wieder wünschen.

Zum Abschluss noch ein Blick auf den Fußball als Ganzes: Die Ablösen steigen trotz Corona wieder, Paris bastelt sich sein Traumteam, die Superleagu­e schwebt weiter über allem. Was wünscht sich der Fußballgen­ießer Daum für die Bundesliga und den Fußball generell? Dass sich jeder immer im Klaren ist, dass die Seele des Fußball erhalten bleiben muss. Die Freude am Spiel, die war zuerst da und erst dann kam das Business und die Vermarktun­g. Wenn man dann wieder ein Stückchen Richtung Fans rückt, wird man auch wieder eine bessere Verbundenh­eit haben. Das ist derzeit nicht der Fall und das sollte uns zu denken geben.

Was Christoph Daum über die aktuelle Entwicklun­g beim VfB Stuttgart denkt, wie er das Engagement von Julian Nagelsmann beim FC Bayern sieht und welchen Trainer er gerne wieder in der Bundesliga sehen würde, lesen Sie

unter:

im kompletten Interview

www.schwaebisc­he.de/daum

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