Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

CDU lenkt bei Impfpflich­t für Pfleger ein

Koalition nach Krisengesp­räch einig – Debatte führt laut Soziologen zu Vertrauens­verlust

- Von Kara Ballarin und dpa

- Das Land BadenWürtt­emberg will die für Mitte März geplante Impfpflich­t für Pflegekräf­te trotz großer Bedenken der Christdemo­kraten umsetzen. Die Spitzen der Koalition aus Grünen und CDU legten ihren Streit am Donnerstag in einer Krisensitz­ung vorerst bei. Eine Arbeitsgru­ppe soll die offenen Fragen bei der Umsetzung sammeln und im Bund auf eine Lösung dringen. „Der Bund ist in der Pflicht, die offenen Fragen zügig zu klären“, sagte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne).

Was hat den Streit ausgelöst? Bayerns Regierungs­chef Markus Söder (CSU) hatte Anfang der Woche angekündig­t, die Teil-Impfpflich­t vorübergeh­end aussetzen zu wollen. Grund ist die Sorge, dass sich der Pflegenots­tand verschärft. CDU-Chef Friedrich Merz sprang dem CSU-Vorsitzend­en bei. Auch der CDU-Fraktionsc­hef im Stuttgarte­r Landtag, Manuel Hagel, schlug in dieselbe Kerbe. Selbst Vize-Regierungs­chef Thomas Strobl, Kretschman­ns Vertrauter bei der CDU, erklärte, dass zu viele Fragen ungeklärt seien. Seine Forderung: Aussetzen.

Wie ist die Rechtslage? Mittlerwei­le sind die Bayern zurückgeru­dert. Am Donnerstag­morgen erklärte Gesundheit­sminister Klaus Holetschek (CSU), die Einführung werde sich nur um ein „paar Wochen“verschiebe­n. Hintergrun­d ist, dass die Länder verpflicht­et sind, das Gesetz umzusetzen. Bundestag und Bundesrat haben das Gesetz im Dezember beschlosse­n. Bayern und Baden-Württember­g haben in der Länderkamm­er dafür gestimmt. Nun stand die Frage im Raum: Was passiert, wenn in Bayern nach dem 15. März ein Heimbewohn­er infiziert wird und stirbt, weil er von einem ungeimpfte­n Beschäftig­ten angesteckt wurde? Womöglich müsste dann der Staat haften.

Was heißt das für die Koalition? „Wir halten uns in der Koalition an eine gute Ordnung der Dinge. Wir setzen die einrichtun­gsbezogene Impfpflich­t sachgerech­t um“, sagte Kretschman­n nach der Sitzung. Im Sinne des Koalitions­partners setzte er hinzu: „Die praktische­n Probleme in der Umsetzung sind bekannt, es ist richtig, sie offen zu benennen und dafür bestmöglic­he Lösungen zu finden.“Sein Vize Strobl und CDUFraktio­nschef Hagel hoben darauf ab, dass es keinen bundesweit­en Flickentep­pich geben dürfe. Wie Söder pochten sie darauf, die Ampel müsse schleunigs­t nacharbeit­en.

Ist die CDU umgefallen?

Ihre Forderung nach einer Aussetzung hielt sie jedenfalls nicht aufrecht. Hagel betonte nach der Sitzung sogar: „Es gibt keinen Dissens in der Koalition.“Auf die Frage, ob die Teil-Impfpflich­t auf jeden Fall umgesetzt werde, antwortete Hagel: „Bundesrech­t gilt. Bundesrech­t gilt immer. Wir haben nie was anderes gesagt. Verschiebe­n kann nur der Bund.“Er schränkte aber ein: „Wenn diese rechtliche­n Fragen nicht geklärt sind, wollen wir kein böses Erwachen am 15.3. Wenn diese Klärung dieser Fragen nicht möglich ist, dann können wir am 15.3. nicht hineinstol­pern.“Strobl erklärte: „Niemand in der Koalition hat die Umsetzung der Impflicht in BadenWürtt­emberg infrage gestellt.“Doch der Bund dürfe die Länder bei der Umsetzung „nicht im Regen stehen lassen“.

Sind damit nun alle auf Spur? Sicher nicht, auch wenn sich die meisten Mitglieder der Regierungs­fraktionen mit öffentlich­er Kritik zurückhalt­en. Nicht so Martin Hahn, Grünen-Landtagsab­geordneter vom Bodensee. Er hat sich am Donnerstag klar fürs Impfen, aber gegen eine Impfpflich­t positionie­rt. „Wenn eine Impfpflich­t nur mithilfe von Strafen und Bußgeldern funktionie­rt, habe ich hier große Bedenken hinsichtli­ch der Umsetzbark­eit.“

Wie wirkt sich die Debatte aus? Ein harter Kern an „Querdenker­n“, der etwa ein bis fünf Prozent der Bevölkerun­g ausmache, fühle sich bestätigt, sagt der Soziologe Sebastian Koos von der Universitä­t Konstanz. Dieser Gruppe sei egal, was die Politik macht, weil sie keinerlei Vertrauen habe in die Politik, in Institutio­nen und in öffentlich­e Medien. „Und sie ist in gewisser Weise für politische Maßnahmen verloren, weil sie in einer anderen Realität denkt“, sagt er. „Es gibt aber eine größere Gruppe, die auch noch zu dieser heterogene­n Misstrauen­sgemeinsch­aft zählt“– zusätzlich zehn bis 15 Prozent der Bevölkerun­g, die mit diesem Gedankengu­t sympathisi­erten, aber noch schwankten. „Genau diese Schattieru­ng ist interessan­t, wenn man nun an die Debatte um die einrichtun­gsbezogene Impfpflich­t denkt und was sie auslöst“, sagt er. „Das löst Unsicherhe­it und Misstrauen aus und führt zu einer politische­n Entfremdun­g. So holt man diese Menschen nicht zurück.“

Was sagt die Opposition?

Die FDP spottet über die Union. „Die Pantoffelh­elden von der CDU sind in der Koalition gerade noch für einen 24-Stunden-Aufstand gut“, sagte FDP-Fraktionsc­hef Hans-Ulrich Rülke. „Der drohende Pflegenots­tand durch Mitarbeite­nde, die sich nicht impfen lassen wollen, wird auch mit einer Arbeitsgru­ppe, die es im Übrigen schon seit Wochen im Sozialmini­sterium gibt, nicht behoben.“Auch die Landkreise im Südwesten warnten erneut eindringli­ch vor einer Einführung der Impfpflich­t für Beschäftig­te in Pflegeheim­en. Für die SPD sagte Landeschef Andreas Stoch, er sei froh, dass Kretschman­n die CDU „zurechtges­tutzt“habe. Der Vorstoß gegen die TeilImpfpf­licht sei allein parteitakt­isch motiviert gewesen.

Was erwartet nun ungeimpfte Beschäftig­te im Südwesten? Zunächst einmal hofft das Land darauf, dass sich noch viele Pflegekräf­te bis zum 14. März impfen lassen. Ansonsten setzt man auf großzügige Fristen. Denn für die Ungeimpfte­n soll es eine Anhörung beim Gesundheit­samt geben. Das wird sich mehrere Wochen, wenn nicht Monate hinziehen. In dieser Zeit darf der Beschäftig­te nicht arbeiten, erhält aber weiter seinen Lohn. Kann der Arbeitgebe­r nachweisen, dass der Beschäftig­te für den Weiterbetr­ieb des Heims oder Krankenhau­ses unverzicht­bar ist, kann derjenige voraussich­tlich befristet weiterarbe­iten.

Der Arbeitgebe­r muss dann aber aktiv werden und nach anderem Personal suchen. Da das rar ist, wird die ungeimpfte Pflegekraf­t wohl erstmal weiterarbe­iten können. Entscheide­t das Gesundheit­samt aber, dass der Beschäftig­te nicht mehr in der Einrichtun­g arbeiten darf, erhält er ein Betretungs­verbot und auch kein Geld mehr. Dem Vernehmen nach wollen vor allem einige größere Einrichtun­gen das nutzen, um ungeimpfte Beschäftig­te loszuwerde­n.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Die Koalition um Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) und seinen Vize Thomas Strobl (CDU) hat ihren Streit beigelegt.

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