Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
NS-Ordensburg als Millionengrab
Die Sanierung einer Kaserne in Sonthofen ist zum Aufreger geworden. Weil ihre Gemäuer eine spezielle Nazi-Vergangenheit haben, ist das Ganze besonders sensibel.
SONTHOFEN - Der Ort des Ärgernisses liegt oberhalb von Sonthofen: die ehemalige NS-Ordensburg und heutige Bundeswehrkaserne, schon von Weitem durch ihren markanten 42 Meter hohen Turmkoloss aus braunen Zeiten sichtbar. Aber die Nazi-Vergangenheit bietet aktuell nur eine Kulisse für diverse Aufgeregtheiten. Sie drehen sich um mögliche Planlosigkeit und Misswirtschaft beim deutschen Militär. So schimpft etwa Christian Wilhelm, Bürgermeister der Oberallgäuer Kreisstadt und den Freien Wählern zugehörig: „Der Abzug des Brandschutzzentrums der Bundeswehr betrifft Sonthofen in besonderem Maße.“
Das Seltsame dabei: Diese zentrale Einrichtung des deutschen Militärs ist erst vor zehn Jahren in einem Seitenbereich der weit gestreckten Kaserne eingerichtet worden. Drei Millionen Euro schlugen dafür zu Buche – eventuell für die Katz verbaut, wie jüngst bekannt wurde.
Wobei diese Kosten in der immensen Summe für die Sanierung und Umstrukturierung in der gesamten Kaserne verschwinden. Knapp 300 Millionen Euro sollen verbaut werden – inzwischen dreimal so viel, wie 2010 beim Anrücken der ersten Handwerkerkolonnen vorgesehen war. Die Kostenexplosion verbindet sich mit irrelevant gewordenen Fristen zur Fertigstellung des Ganzen. 2014 war anfangs genannt worden. Dann 2018. Jetzt wird von 2023 ausgegangen, teilweise auch von 2024.
Kann man dem neuen Datum trauen? Gute Frage. Bei einem Blick auf die 30 Hektar große Kaserne von einem angrenzenden Hügel aus, bietet sich das selbe Bild wie seit Jahren: Baustellen an vielen Ecken, Kräne, Container fürs Entrümpeln leer stehender Gebäude, ein Container als provisorisches Wachquartier, davor eine riesige Bautafel. Das Bild vermittelt alles andere als ein zügiges Fortschreiten der Bauarbeiten, selbst wenn die Bundeswehr im Amtsdeutsch vermeldet, es seien bereits „75 Prozent baulich realisiert“. Beobachter vor Ort witzeln eher über „eine Fertigstellung am
Sankt-Nimmerleins-Tag“. Mancher wittert zudem „ein schwarzes Loch für Steuergelder“.
An den Haaren herbeigezogen sind solche Spekulationen nicht. Die Bundeswehr hat in jüngerer Vergangenheit immer mal wieder ein ungeschicktes Händchen im Umgang mit diversen Kasernen gehabt. Die Schlüsseljahre sind dabei 2010 und 2011. Das Verteidigungsministerium unter dem CDU-Politiker Thomas de Maizière verkündete seinerzeit die lang geplante Bundeswehrreform inklusive zahlreicher Standortschließungen. Rasch wurden finanzielle Wunderlichkeiten registriert. So senkte sich der militärische Daumen für die GrafStauffenbergkaserne in Sigmaringen: Schließung – ungeachtet davon, dass laut internen Informationen zuvor noch 28 Millionen Euro in deren Infrastruktur geflossen waren. Die Geldverschwendung konnte aber locker gesteigert werden. Als Beispiel dient die Otto-Lilienthal-Kaserne im mittelfränkischen Roth. Wie der Bund der Steuerzahler in seinem Schwarzbuch 2013 registriert hat, verbaute die Bundeswehr dort rund 35,5 Millionen Euro fürs Stationieren von Kampfhubschraubern. Doch die Maschinen kamen woanders hin. Das Geld war verplempert.
Auch die Entwicklungen in Sonthofen sind mit der Bundeswehrreform von 2010 verknüpft. Kritische Geister vor Ort legen den Finger in die Wunde. Darunter sind ehemalige Soldaten. Sie wollen aber lieber nicht mit Namen in der Öffentlichkeit auftauchen. Die Welt des Oberallgäus ist klein. Man möchte wegen unliebsame Äußerungen im Zweifelsfall nicht von Bundeswehr- oder Reservistenstammtischen davongejagt werden, heißt es.
Zusammengefasst könnte gesagt werden: Beschaulichkeit geht vor. Und normalerweise herrscht in Sonthofen auch relative Ruhe. Größter Aufreger in jüngerer Zeit dürfte der Zwangsabstieg des ansonsten renommierten Eishockeyteams des ERC Sonthofen in die unterste Liga gewesen sein. Die Spielbetriebsgesellschaft der Oberliga-Mannschaft hatte Insolvenz anmelden müssen. Dass nun plötzlich Umstände der alten Nazi-Liegenschaft
Sonthofens Bürgermeister
Christian Wilhelm zum Aufreger mutieren, hat mit Überlegungen im fernen Bonn zu tun. Dort am Rhein wirtschaftet unter anderem das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr. Fürs Brandschutzzentrum in der Kaserne hält die Behörde es offenbar fürs Beste, alles wieder aufzulösen. Entsprechende Informationen werden seit dem Spätherbst gestreut.
„Insgesamt wird eine Straffung der Führungs-, Steuerungs- sowie Unterstützungsprozesse erforderlich sein“, erklärt ein Sprecher des besagten Bundesamtes. Es habe sich gezeigt, „dass in Teilen eine strukturelle Neuausrichtung erforderlich ist, wobei ein Erhalt von Dienstposten am Standort Sonthofen – zumindest temporär - möglich erscheint“. Ein schwacher Trost, wie Bürgermeister Christian Wilhelm meint. Er geht davon aus, dass letztlich doch alle Posten verschwinden werden – insgesamt rund 130. „Für Sonthofen“, trauert das Stadtoberhaupt, „bedeutet die Verlegung des Brandschutzzentrums einen weiteren Verlust in der Kaufkraft und auch im gesellschaftlichen Leben.“
Als Ortsfremder könnte man nun einwenden, dass sich die Zahl von 130 Dienstposten in Grenzen hält. Immerhin bringt alleine die Stadt rund 22 000 Einwohner zusammen. Eine gewichtige Rolle scheint aber die Strahlkraft des Zentrums zu spielen. Es ist für die Steuerung von 3600 Feuerwehrbeamten in ganz Deutschland zuständig – praktisch die Feuerwehr der Bundeswehr. Sie wird vor allem für Bereiche benötigt, in die das Militär fremde Einblicke vermeiden möchte. Ihre
Leute verteilen sich auf 58 Feuerwachen und vier Koordinierungsstellen in Ulm, Köln, Hamburg und Burg.
Mit anderen Worten: Das Brandschutzzentrum macht was her. Bürgermeister Wilhelm weist zudem auf ein geballtes fachliches Wissen hin, das dem Allgäu bei einem Abzug verloren gehen würde. Markus Adler, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Sonthofen, ließ örtliche Medien wissen: „Das wird uns schon wehtun.“Zumal seine Truppe auch noch Mitstreiter aus Reihen der Bundeswehr verlieren würde.
Selbst regionale Bundestagsabgeordnete haben sich eingeschaltet, um für den Erhalt des Brandschutzzentrums zu werben. Stephan Thomae von den Liberalen möchte „die Sinnhaftigkeit von möglichen strukturellen Änderungen“hinterfragen.
Aber das besagte Bundeswehramt will nicht mehr groß herumreden, wie es verlautbart. Dies dürfte in Sonthofen auch tiefenpsychologisch an einem Trauma rühren: den Umstrukturierungen durch die Bundeswehrreform.
Wie andere ehemalige Militärstandorte fühlt sich die Kommune wegen des bereits eingetretenen Verlustes von Soldaten gebeutelt. Der Bürgermeister klagt: „Wir mussten einen eklatanten Kaufkraftverlust verzeichnen, vor allem die Gastronomie und das Nachtleben haben sehr gelitten und sich bis heute nicht erholt. Aber auch im gesellschaftlichen Leben haben wir große Einschnitte hinnehmen müssen.“
Gefühlt war Sonthofen seit einer Ewigkeit Garnisonsstadt. Im Dritten Reich entstanden direkt beim Ort die Grünten- und die Jägerkaserne. Beide fallen künftig weg. Bleibt die NS-Ordensburg. Sie war ab 1934 gebaut worden, um als nationalsozialistische Eliteschule zu dienen. Unter anderem wurde hier der kürzlich verstorbene Schauspieler Hardy Krüger gedrillt. 1956 zog die frisch gegründete Bundeswehr ein. Um den historischen Bruch deutlich zu machen, bekam die Ordensburg den Namen Generaloberst-BeckKaserne. Der Wehrmachtsoffizier hatte sich 1944 an Stauffenbergs Umsturzversuch beteiligt und war kurz darauf vom Hitler-Regime hingerichtet worden.
Unten in den Gassen von Sonthofen wird lieber von „der Burg“gesprochen. Sie steht als Denkmal unter Ensembleschutz. Lange Jahre dienten ihre Räumlichkeiten als Quartier der Feldjägerschule, das heißt, als Ausbildungsstätte der Militärpolizei. Ebenso gab es Kurse für den Stabsdienst. Nebenbei trainierten dort Bundeswehrsportler. Seit 2009 alles vorbei, gestrichen wegen alternativer Bundeswehrvorstellungen. Die Feldjäger sind nach Hannover verlegt worden. Die Sportler harren in der vor der Auflösung stehenden Grüntenkaserne einem ungewissen Schicksal entgegen.
Zeitweise hatte das Militär sogar mit dem Gedanken gespielt, den Nazi-Bau nach dem Soldatenabzug gleich mit aufzugeben. Es schwang bereits die Erkenntnis mit, dass die Sanierung richtig Geld kosten würde. Eine zivile Nutzung war im Gespräch, etwa ein Luxushotel mit Supergolfplatz. Aber ehemaliger Nazi-Grund in den Händen diffuser Investoren? In diese Gefahr wollte sich das Verteidigungsministerium nicht begeben. Als Lösung wurde der Einzug der ABC-Abwehrschule in die Gemäuer präsentiert.
ABC steht dabei nicht fürs Alphabet, sondern für atomare, biologische und chemische Waffen. Gegen Folgen ihres Einsatzes will man sich schützen. Dies wird in dieser Einrichtung gelehrt. Praktischerweise sitzt die Schule bereits in Sonthofen – und zwar in der künftig wegfallenden Jägerkaserne. Es wäre damit ein Umzug der kurzen Wege.
Als nicht weniger sinnvoll wurde einst der Gedanke betrachtet, das 2012 neu aufgestellte Brandschutzzentrum ebenso auf „die Burg“zu verlagern. Immerhin müssen die meisten militärischen Feuerwehrler eine Ausbildung in der ABC-Abwehrschule durchlaufen. Die regionale CSU-Bundestagsabgeordnete Mechthilde Wittmann freut sich über die Verknüpfung: „Nur so können Synergien optimal genutzt werden.“Dies habe sich bewährt.
Dabei hat es bisher nicht geklappt, Brandschutzzentrum und ABC-Abwehrschule tatsächlich zu vereinen. Die Spezialisten für unkonventionelle Kampfmittel werkeln nach wie vor in der Jägerkaserne. Dies liegt an der Endlossanierung der einstigen NS-Ordensburg. Offenbar sind bei den Arbeiten gleich mehrere Probleme zusammengekommen. Einige führen zurück in die Nazi-Zeit. Große Teile der Ordensburg wurden weit hinab in die Tiefe bis zu tragenden Schichten gebaut. Weshalb die Kanalisation extrem weit unten liegt. Für heutige Ansprüche musste sie komplett neu installiert werden. Des Weiteren hat der Denkmalschutz das Militär wohl auf dem linken Fuß erwischt. Bei jedem fühlbaren Eingriff braucht es von dieser Seite ein Okay. So gestaltete sich etwa der Erhalt von Decken aus den 1930erJahren aufwendig.
Zu guter Letzt überlegte sich die Bundeswehr nach Beginn der Bauarbeiten einiges anders. Es blieb nicht nur beim Aufhübschen des Bestehenden. Weiteres kam auf die Wunschliste: ein Hörsaal, Labore, technischen Ausbildungsbereiche. 2014 ließ das damit beauftragte Staatliche Bauamt Kempten süffisant durchblicken, eine Neuplanung sei „dazwischengekommen“. Sie habe erhebliche Verzögerungen mit sich gebracht.
Von örtlichen Spöttern ist überliefert, dass sie der Bundeswehr „eine Goldrand-Lösung“vorhielten. Diese bestritt wiederum, überbordende Vorstellungen gehabt zu haben. Aktuell betont das Militär bei Anfragen zur Kostensteigerung und Bauverzögerungen „konjunkturbedingte Risiken“im Baugewerbe. Gemeint sind damit aktuell steigende Preise, Engpässe beim Material und die Knappheit an Arbeitskräften. Ob vielleicht wegen des Abzugs der Brandschutzleute auf „der Burg“einmal mehr umgeplant werden muss, liegt im Unklaren. Dafür steigert sich die Anspannung in der Stadt. Sie würde gerne die Flächen der Jäger- und Grüntenkaserne verwerten, sei es für Wohnbau oder Gewerbeansiedlung. Schon 2014 hatte die Bundeswehr alles freigeben wollen, weil ja in jenem Jahr mit dem Neubezug der Ordensburg gerechnet worden war. Wie beschrieben, sind die Pläne Makulatur geworden.
Die Freigabe der beiden Kasernen und das Sanieren des NaziErbes sind nach wie vor miteinander verknüpft. Weshalb die Stadt Sonthofen mit ihren Plänen in der Luft hängt. Bürgermeister Wilhelm will jedoch keine weitere Missstimmung aufkommen lassen. Er betont, Sonthofen sei weiterhin „positiv gegenüber der Bundeswehr eingestellt“. Offen bleibt, ob der Kommunalpolitiker damit vielleicht auch nur die örtlichen Soldaten meint.
„Der Abzug des Brandschutzzentrums der Bundeswehr
betrifft Sonthofen in besonderem
Maße.“