Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Putins Manöverzange
Russische Truppenübungen heizen die Spannungen um die Ukraine weiter an
- Der Waffenlärm rund um die Ukraine wird immer lauter. Am Donnerstag haben russische Truppen in Belarus gemeinsam mit ihren weißrussischen Verbündeten das Großmanöver „Unionsentschlossenheit 2022“gestartet. Am Sonntag beginnt auch die russische Kriegsflotte Übungen im Schwarzen Meer. Westliche Beobachter warnen vor einem umfassenden Zangenangriff auf die umzingelte Ukraine, auch angesichts der Sprüche, mit denen der belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko die Stimmung gegenüber der Nato anheizt: „Bis die irgendwelche Truppen hierher schicken, stehen wir schon am Ärmelkanal.“
Der Propagandalärm nähert sich mit der Lautstärke eines Atomschlages. Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace sprach gestern von Aufklärungsberichten, nach denen Russland bald eine strategische Nuklearübung plane. Lukaschenko hatte schon im Dezember erklärt, Belarus könne russische Atomwaffen aufstellen, wenn die Nato solche in Polen stationiere. Und der russische Exilpolitologe Iwan Preopraschenski mutmaßte auf der Deutschen Welle, die Russen könnten beim Manöver in Belarus trainieren, wie man Nuklearraketen auf Gefechtsfeld bringe.
Ukrainische und westliche Militärs nennen schon den 20. Februar als mögliches Datum eines russischen Angriffs auf die Ukraine: Am 20. enden die Winterspiele im Peking, ebenso die Übungen in Belarus. Und am Vorabend das Flottenmanöver im Schwarzen Meer. Dass Außenminister
Sergei Lawrow gestern ankündigte, auch Russland werde wohl einen Teil seiner Diplomaten aus der Ukraine abziehen, trug nicht zur Entspannung bei.
Nach Angaben aus Minsk und Moskau proben in Belarus weniger Soldaten Krieg, als die 9000 Mann Truppenstärke, ab der die Veranstalter verpflichtet wären, die anderen OSZE-Mitgliedsstaaten zu informieren. Dagegen spricht das russische Portal Rosbalt von über 30 000 Soldaten sowie von Iskander-Raketensystemen. Und laut der Zeitung Iswestija werden etwa 20 russische Kriegsschiffe, darunter mehrere mit Raketen bewaffnete Kreuzer, vor der ukrainischen Schwarzmeer-Küste manövrieren. Auch sechs große Landungsschiffe der Baltischen und der Nordmeerflotte sind auf dem Weg dorthin. Seit Monaten diskutieren die westlichen Medien mögliche russische Feldzugpläne, mit Landemanöver an der ukrainischen Südküste und einem Vorstoß aus Belarus Richtung Kiew. Aber in der Ukraine zweifelt man, dass die russische Manöverzange wirklich zu einer Invasion zuschnappen wird. „Das Szenario ist möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich“, sagt Mikola Sungurowski, Militärexperte des Kiewer RasumkowZentrums. Die Streitkräfte und die Kämpfer der Territorialabwehr würden sich entschlossen wehren. Russland drohten hohe Verluste – außerdem massive internationale Sanktionen.
Sungurowskis belarussischer Kollege Alexander Alessin verweist auf dem Kanal TV Doschd auf die waldigen Sümpfe im Grenzgebiet, wo auch im Dezember Panzer schon bis zu zwei Meter im Morast versunken seien. „Mit Panzermassen attackieren ist dort völlig unmöglich.“Alessin erwartet, Russland werde seine Luftwaffe und Raketensysteme für Bombardements einsetzen, um die Ukraine ähnlich zur Kapitulation zu zwingen. „Aber Putin wird versuchen, harte Sanktionen des Westens zu vermeiden, er entwickelt eher hybride Szenarien“, sagt Sungurowski.
Die Russen könnten in der Ukraine „schlafende“Terrorzellen aktivieren, um innere Unruhen zu provozieren und dann eine „Friedenstruppe“zu schicken. „Wenn diese bei den Zusammenstößen mit der ukrainischen Armee die ersten Gefallenen zu beklagen hat, wird die ganze Armada, die jetzt an den Grenzen konzentriert ist, in die Ukraine eindringen.“Bis auf Weiteres aber diene der Aufmarsch zur politischen Erpressung.