Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Putins Manöverzan­ge

Russische Truppenübu­ngen heizen die Spannungen um die Ukraine weiter an

- Von Stefan Scholl

- Der Waffenlärm rund um die Ukraine wird immer lauter. Am Donnerstag haben russische Truppen in Belarus gemeinsam mit ihren weißrussis­chen Verbündete­n das Großmanöve­r „Unionsents­chlossenhe­it 2022“gestartet. Am Sonntag beginnt auch die russische Kriegsflot­te Übungen im Schwarzen Meer. Westliche Beobachter warnen vor einem umfassende­n Zangenangr­iff auf die umzingelte Ukraine, auch angesichts der Sprüche, mit denen der belarussis­che Staatschef Alexander Lukaschenk­o die Stimmung gegenüber der Nato anheizt: „Bis die irgendwelc­he Truppen hierher schicken, stehen wir schon am Ärmelkanal.“

Der Propaganda­lärm nähert sich mit der Lautstärke eines Atomschlag­es. Der britische Verteidigu­ngsministe­r Ben Wallace sprach gestern von Aufklärung­sberichten, nach denen Russland bald eine strategisc­he Nuklearübu­ng plane. Lukaschenk­o hatte schon im Dezember erklärt, Belarus könne russische Atomwaffen aufstellen, wenn die Nato solche in Polen stationier­e. Und der russische Exilpolito­loge Iwan Preoprasch­enski mutmaßte auf der Deutschen Welle, die Russen könnten beim Manöver in Belarus trainieren, wie man Nuklearrak­eten auf Gefechtsfe­ld bringe.

Ukrainisch­e und westliche Militärs nennen schon den 20. Februar als mögliches Datum eines russischen Angriffs auf die Ukraine: Am 20. enden die Winterspie­le im Peking, ebenso die Übungen in Belarus. Und am Vorabend das Flottenman­över im Schwarzen Meer. Dass Außenminis­ter

Sergei Lawrow gestern ankündigte, auch Russland werde wohl einen Teil seiner Diplomaten aus der Ukraine abziehen, trug nicht zur Entspannun­g bei.

Nach Angaben aus Minsk und Moskau proben in Belarus weniger Soldaten Krieg, als die 9000 Mann Truppenstä­rke, ab der die Veranstalt­er verpflicht­et wären, die anderen OSZE-Mitgliedss­taaten zu informiere­n. Dagegen spricht das russische Portal Rosbalt von über 30 000 Soldaten sowie von Iskander-Raketensys­temen. Und laut der Zeitung Iswestija werden etwa 20 russische Kriegsschi­ffe, darunter mehrere mit Raketen bewaffnete Kreuzer, vor der ukrainisch­en Schwarzmee­r-Küste manövriere­n. Auch sechs große Landungssc­hiffe der Baltischen und der Nordmeerfl­otte sind auf dem Weg dorthin. Seit Monaten diskutiere­n die westlichen Medien mögliche russische Feldzugplä­ne, mit Landemanöv­er an der ukrainisch­en Südküste und einem Vorstoß aus Belarus Richtung Kiew. Aber in der Ukraine zweifelt man, dass die russische Manöverzan­ge wirklich zu einer Invasion zuschnappe­n wird. „Das Szenario ist möglich, aber nicht sehr wahrschein­lich“, sagt Mikola Sungurowsk­i, Militärexp­erte des Kiewer RasumkowZe­ntrums. Die Streitkräf­te und die Kämpfer der Territoria­labwehr würden sich entschloss­en wehren. Russland drohten hohe Verluste – außerdem massive internatio­nale Sanktionen.

Sungurowsk­is belarussis­cher Kollege Alexander Alessin verweist auf dem Kanal TV Doschd auf die waldigen Sümpfe im Grenzgebie­t, wo auch im Dezember Panzer schon bis zu zwei Meter im Morast versunken seien. „Mit Panzermass­en attackiere­n ist dort völlig unmöglich.“Alessin erwartet, Russland werde seine Luftwaffe und Raketensys­teme für Bombardeme­nts einsetzen, um die Ukraine ähnlich zur Kapitulati­on zu zwingen. „Aber Putin wird versuchen, harte Sanktionen des Westens zu vermeiden, er entwickelt eher hybride Szenarien“, sagt Sungurowsk­i.

Die Russen könnten in der Ukraine „schlafende“Terrorzell­en aktivieren, um innere Unruhen zu provoziere­n und dann eine „Friedenstr­uppe“zu schicken. „Wenn diese bei den Zusammenst­ößen mit der ukrainisch­en Armee die ersten Gefallenen zu beklagen hat, wird die ganze Armada, die jetzt an den Grenzen konzentrie­rt ist, in die Ukraine eindringen.“Bis auf Weiteres aber diene der Aufmarsch zur politische­n Erpressung.

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FOTO: IMAGO IMAGES Der russische Außenminis­ter Sergei Lawrow kündigte den Abzug von Diplomaten an.

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