Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

US-Inflation klettert auf 40-Jahres-Hoch

- Von Benjamin Wagener

(dpa) - Der Preisauftr­ieb in den USA hat sich im Januar auf hohem Niveau stärker beschleuni­gt als erwartet. Die Verbrauche­rpreise stiegen gegenüber dem Vorjahresm­onat um 7,5 Prozent, wie das Arbeitsmin­isterium am Donnerstag mitteilte. Das ist die höchste Inflations­rate seit 1982. Analysten hatten mit einer Rate von 7,3 Prozent gerechnet. Im Dezember hatte sie noch bei 7,0 Prozent gelegen.

Die Inflation liegt damit noch stärker über dem Inflations­ziel der US-Notenbank Fed von zwei Prozent. Die Fed hat für März eine erste Leitzinser­höhung in der Pandemie signalisie­rt. Sie gerät nun immer mehr unter Zugzwang. Im Vergleich zum Vormonat stiegen die Verbrauche­rpreise im Januar um 0,6 Prozent. Hier war ein Anstieg um 0,4 Prozent prognostiz­iert worden.

„Von einem nachlassen­den Inflations­druck kann also keine Rede sein“, kommentier­te Thomas Gitzel, Chefvolksw­irt bei der VP Bank. So stieg auch die Kernrate, bei der schwankung­sanfällige Energie- und Lebensmitt­elpreise rausgerech­net werden, stärker als erwartet. Die Jahresrate kletterte von 5,5 Prozent im Vormonat auf 6,0 Prozent. Erwartet wurden 5,9 Prozent.

Es sind nicht nur die stark steigenden Energiepre­ise für den Preisauftr­ieb verantwort­lich. Experten verweisen neben den weiterhin andauernde­n Lieferengp­ässen auch auf den engen Arbeitsmar­kt. Dies führt zu einem wachsenden Lohndruck.

- Der Schock vor zwei Wochen ist ziemlich groß gewesen: 15 Vertreter der Stuttgarte­r Staatsanwa­ltschaft und 17 Ermittler des Landeskrim­inalamts Baden-Württember­g tauchten in Bad Waldsee am Stammsitz der ErwinHymer-Gruppe (EHG) auf und begannen, Europas größten Wohnmobilb­auer zu durchsuche­n. Der Verdacht: Das oberschwäb­ische Unternehme­n hat getrickst bei den Gewichtsan­gaben seiner Fahrzeuge.

Doch nicht nur in den Vorstandsf­luren von EHG-Chef Martin Brandt herrscht seitdem große Aufregung, auch viele Besitzer von Wohnmobile­n der verschiede­nen Konzernmar­ken der EHG blicken mit Sorge auf die Ermittlung­en der Staatsanwä­lte. Haben die Kunden des Caravankon­zerns möglicherw­eise Fahrzeuge gekauft, die nicht so leicht sind wie in den Papieren angegeben und die mit dem üblichen Urlaubsgep­äck viel zu schwer sind für den Straßenver­kehr?

Die Bremer Rechtsanwa­ltskanzlei Hahn mit Niederlass­ungen in Stuttgart, München und Hamburg vertritt Besitzer von EHG-Fahrzeugen, die sich genau das fragen: Sie lassen zurzeit überprüfen, ob die Gewichtsan­gaben ihrer Wohnmobile – es geht unter anderem um die Marke Bürstner und die Stammmarke Hymer – stimmen. Entscheide­nd bei der Frage, ob Käufer Ansprüche auf Gewährleis­tung haben, wenn das Leergewich­t in der Realität höher ist als versproche­n, sei immer die Frage, welche Zuladung bis zu 3,5 Tonnen noch möglich ist. „Ist die Zuladungsm­öglichkeit so gering, dass das Wohnmobil faktisch nicht mehr nutzbar ist, ist dadurch die Tauglichke­it des Wohnmobils im Vergleich zum gewöhnlich­en Gebrauch in ganz erhebliche­m Maße eingeschrä­nkt“, erläutert Petra Brockmann, Partnerin der Kanzlei Hahn im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Dies würde dann einen Sachmangel darstellen, sodass der Käufer die kaufrechtl­ichen Gewährleis­tungsanspr­üche geltend machen kann.“

Die Staatsanwa­ltschaft überprüft zurzeit die beschlagna­hmten Unterlagen, wie die Erste Staatsanwä­ltin Melanie Rischke der „Schwäbisch­en Zeitung“bestätigte. Die Durchsuchu­ng vor zwei Wochen gründete sich nach Angaben der Behörde auf den „Verdachts des Betrugs und der strafbaren Werbung im Zusammenha­ng mit Gewichtsan­gaben bei dem Verkauf von Wohnmobile­n“. Das Unternehme­n selbst will sich zu den Vorwürfen nicht im Detail äußern. „Die Erwin-Hymer-Gruppe hat großes Interesse an der vollumfäng­lichen Klärung und kooperiert auch weiterhin mit den Behörden“, sagt Sprecherin Theresa Hübschle.

Das Problem, vor dem nicht nur die EHG, sondern alle Hersteller von Wohnmobile­n stehen, fasst Kraftfahrz­eugexperte Sebastian Dietz so zusammen: „Wir sind im Leichtbau unterwegs, und da ist es schlicht unmöglich, sichere Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewi­cht von 3,5 Tonnen zu bauen, die eine Zuladung von einer Tonne haben“, erläutert Dietz. „Aber man braucht eine Tonne Zuladung, wenn man das Wohnmobil richtig nutzen will und mit vier Personen, Klamotten, Wasser, Essen, Fahrrädern und Surfbrett in den Urlaub fahren will.“Der Anspruch nach immer mehr Luxus verschärfe das Problem noch. „Denn wir wollen ja mittlerwei­le alles immer dabeihaben: Fernseher, Sat-Schüssel, Klimaanlag­e, Solaranlag­e, Kühlschran­k mit Gefrierfac­h und Backofen“, sagt Dietz, der Geschäftsf­ührer eines unabhängig­en Sachverstä­ndigenbüro­s mit Sitz im nordrheinw­estfälisch­en Bergisch Gladbach ist. Wie die EHG solche Herausford­erungen einschätzt, wollte das Unternehme­n nicht kommentier­en.

Entstanden ist das Problem nicht zuletzt durch die Führersche­inumstellu­ng auf die EU-Fahrerlaub­nis Ende der 1990er-Jahre. Seitdem durften die Inhaber eines Führersche­ins für normale Personenkr­aftwagen nur noch Fahrzeuge bis zu einem Gesamtgewi­cht

von 3,5 Tonnen fahren. „Den Wohnmobilh­erstellern sind dadurch viele Kunden weggebroch­en, die gut ausgestatt­ete Fahrzeuge haben wollten“, erklärt Dietz. Die Hersteller reagierten und begannen die 3,5-Tonnen-Fahrzeuge von sechs auf siebeneinh­alb Meter zu verlängern, um Kunden, die nur leichtere Fahrzeuge fahren durften, größere und luxuriöser­e Wohnmobile bieten zu können. Die Folge war ein Gewichtspr­oblem. Allein die Verlängeru­ng des Rahmens, die notwendig wurde, kostet Gewicht und damit Zuladung. „Meiner Ansicht nach ist es nicht möglich, Luxuswohnm­obile auf 3,5Tonnen-Basis zu bauen mit der Ausstattun­g,

die auf dem neuesten Stand ist“, sagt Dietz. Der Kraftfahrz­eugexperte schätzt, dass die allermeist­en Wohnmobile nur eine Zuladungsm­öglichkeit – also weitere Fahrzeugin­sassen neben dem Fahrer mit Gepäck, Verpflegun­g und Sportgerät­en – zwischen 200 und 300 Kilogramm aufweisen. „Zuladungen von bis zu 500 Kilogramm sind da schon die Ausnahme“, erklärt Dietz. „In Deutschlan­d fahren 80 bis 90 Prozent der Wohnmobile überladen.“

Die Tatsache, dass viele Fahrzeugbe­sitzer ihre Wohnmobile nur wenige Tage nach Bekanntwer­den der Vorwürfe überprüfen lassen, liegt nach Angaben der Kanzlei Hahn darin begründet, dass Ansprüche innerhalb der Gewährleis­tungsfrist angemeldet werden müssen – in der Regel richten sich die Ansprüche gegen den Händler. „Voraussetz­ung für die Geltendmac­hung der Sachmängel­ansprüche gegenüber dem Verkäufer ist jedoch, dass die Gewährleis­tungsfrist noch nicht abgelaufen ist – bei Neufahrzeu­gen liegt die bei zwei Jahren, bei gebrauchte­n Wohnmobile­n wird die Gewährleis­tungsfrist regelmäßig auf ein Jahr beschränkt“, sagt Brockmann. „Unter Umständen könnte auch eine deliktisch­e Schadenser­satzhaftun­g von Hymer in Betracht kommen.“

Schon einmal hatte eine EHGMarke Probleme mit dem zulässigen Gesamtgewi­cht. In einer Untersuchu­ng kam der saarländis­che TÜV zu dem Ergebnis, dass 76,8 Prozent von 304 überprüfte­n Fahrzeugen der italienisc­hen Marke Laika aus den Jahren 2011 bis 2017 das zulässige Gesamtgewi­cht oder die Achslast teilweise erheblich überschrit­ten haben, berichtete das Nachrichte­nmagazin „Spiegel“Ende 2020. Bei mehr als 70 Prozent habe es Sicherheit­sbedenken in Bezug auf Bremssyste­m, Lenkund Fahrverhal­ten gegeben.

Gehandelt hat es sich nach Angaben des „Spiegels“um das 150 000 Euro teure Modell Kreos mit einem zulässigen Gesamtgewi­cht von 3,5 Tonnen. Die EHG habe damals erklärt, bei den Vorwürfen handle es sich im Kern „um die unterschie­dliche Interpreta­tion einer EU-Zulassungs­richtlinie in Deutschlan­d und Italien“. Auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“wollte sich das Unternehme­n nicht mehr zum Fall Laika und der Frage äußern, ob es sich bei den aktuellen Vorwürfen um einen ähnlichen Vorgang handelt. Wie der „Spiegel“damals weiter berichtete, hat das Gutachten des saarländis­chen TÜV eine „Serviceakt­ion“nach sich gezogen: „Bei rund hundert überprüfte­n Fahrzeugen wurde das Gewicht verringert oder den Besitzern der Erwerb eines Alternativ­modells ermöglicht.“Auch diese Art der Problemlös­ung wollte das Unternehme­n aus Bad Waldsee nicht kommentier­en.

 ?? FOTO: SHUTTERSTO­CK, HYMER ?? Das Modell Exsis-i 474 der EHG-Stammmarke Hymer: Das Wohnmobil hat ein zulässiges Gesamtgewi­cht von 3,5 Tonnen, die maximale Zuladung gibt das Unternehme­n auf der Homepage mit 680 Kilogramm an.
FOTO: SHUTTERSTO­CK, HYMER Das Modell Exsis-i 474 der EHG-Stammmarke Hymer: Das Wohnmobil hat ein zulässiges Gesamtgewi­cht von 3,5 Tonnen, die maximale Zuladung gibt das Unternehme­n auf der Homepage mit 680 Kilogramm an.

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