Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
US-Inflation klettert auf 40-Jahres-Hoch
(dpa) - Der Preisauftrieb in den USA hat sich im Januar auf hohem Niveau stärker beschleunigt als erwartet. Die Verbraucherpreise stiegen gegenüber dem Vorjahresmonat um 7,5 Prozent, wie das Arbeitsministerium am Donnerstag mitteilte. Das ist die höchste Inflationsrate seit 1982. Analysten hatten mit einer Rate von 7,3 Prozent gerechnet. Im Dezember hatte sie noch bei 7,0 Prozent gelegen.
Die Inflation liegt damit noch stärker über dem Inflationsziel der US-Notenbank Fed von zwei Prozent. Die Fed hat für März eine erste Leitzinserhöhung in der Pandemie signalisiert. Sie gerät nun immer mehr unter Zugzwang. Im Vergleich zum Vormonat stiegen die Verbraucherpreise im Januar um 0,6 Prozent. Hier war ein Anstieg um 0,4 Prozent prognostiziert worden.
„Von einem nachlassenden Inflationsdruck kann also keine Rede sein“, kommentierte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt bei der VP Bank. So stieg auch die Kernrate, bei der schwankungsanfällige Energie- und Lebensmittelpreise rausgerechnet werden, stärker als erwartet. Die Jahresrate kletterte von 5,5 Prozent im Vormonat auf 6,0 Prozent. Erwartet wurden 5,9 Prozent.
Es sind nicht nur die stark steigenden Energiepreise für den Preisauftrieb verantwortlich. Experten verweisen neben den weiterhin andauernden Lieferengpässen auch auf den engen Arbeitsmarkt. Dies führt zu einem wachsenden Lohndruck.
- Der Schock vor zwei Wochen ist ziemlich groß gewesen: 15 Vertreter der Stuttgarter Staatsanwaltschaft und 17 Ermittler des Landeskriminalamts Baden-Württemberg tauchten in Bad Waldsee am Stammsitz der ErwinHymer-Gruppe (EHG) auf und begannen, Europas größten Wohnmobilbauer zu durchsuchen. Der Verdacht: Das oberschwäbische Unternehmen hat getrickst bei den Gewichtsangaben seiner Fahrzeuge.
Doch nicht nur in den Vorstandsfluren von EHG-Chef Martin Brandt herrscht seitdem große Aufregung, auch viele Besitzer von Wohnmobilen der verschiedenen Konzernmarken der EHG blicken mit Sorge auf die Ermittlungen der Staatsanwälte. Haben die Kunden des Caravankonzerns möglicherweise Fahrzeuge gekauft, die nicht so leicht sind wie in den Papieren angegeben und die mit dem üblichen Urlaubsgepäck viel zu schwer sind für den Straßenverkehr?
Die Bremer Rechtsanwaltskanzlei Hahn mit Niederlassungen in Stuttgart, München und Hamburg vertritt Besitzer von EHG-Fahrzeugen, die sich genau das fragen: Sie lassen zurzeit überprüfen, ob die Gewichtsangaben ihrer Wohnmobile – es geht unter anderem um die Marke Bürstner und die Stammmarke Hymer – stimmen. Entscheidend bei der Frage, ob Käufer Ansprüche auf Gewährleistung haben, wenn das Leergewicht in der Realität höher ist als versprochen, sei immer die Frage, welche Zuladung bis zu 3,5 Tonnen noch möglich ist. „Ist die Zuladungsmöglichkeit so gering, dass das Wohnmobil faktisch nicht mehr nutzbar ist, ist dadurch die Tauglichkeit des Wohnmobils im Vergleich zum gewöhnlichen Gebrauch in ganz erheblichem Maße eingeschränkt“, erläutert Petra Brockmann, Partnerin der Kanzlei Hahn im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Dies würde dann einen Sachmangel darstellen, sodass der Käufer die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche geltend machen kann.“
Die Staatsanwaltschaft überprüft zurzeit die beschlagnahmten Unterlagen, wie die Erste Staatsanwältin Melanie Rischke der „Schwäbischen Zeitung“bestätigte. Die Durchsuchung vor zwei Wochen gründete sich nach Angaben der Behörde auf den „Verdachts des Betrugs und der strafbaren Werbung im Zusammenhang mit Gewichtsangaben bei dem Verkauf von Wohnmobilen“. Das Unternehmen selbst will sich zu den Vorwürfen nicht im Detail äußern. „Die Erwin-Hymer-Gruppe hat großes Interesse an der vollumfänglichen Klärung und kooperiert auch weiterhin mit den Behörden“, sagt Sprecherin Theresa Hübschle.
Das Problem, vor dem nicht nur die EHG, sondern alle Hersteller von Wohnmobilen stehen, fasst Kraftfahrzeugexperte Sebastian Dietz so zusammen: „Wir sind im Leichtbau unterwegs, und da ist es schlicht unmöglich, sichere Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 3,5 Tonnen zu bauen, die eine Zuladung von einer Tonne haben“, erläutert Dietz. „Aber man braucht eine Tonne Zuladung, wenn man das Wohnmobil richtig nutzen will und mit vier Personen, Klamotten, Wasser, Essen, Fahrrädern und Surfbrett in den Urlaub fahren will.“Der Anspruch nach immer mehr Luxus verschärfe das Problem noch. „Denn wir wollen ja mittlerweile alles immer dabeihaben: Fernseher, Sat-Schüssel, Klimaanlage, Solaranlage, Kühlschrank mit Gefrierfach und Backofen“, sagt Dietz, der Geschäftsführer eines unabhängigen Sachverständigenbüros mit Sitz im nordrheinwestfälischen Bergisch Gladbach ist. Wie die EHG solche Herausforderungen einschätzt, wollte das Unternehmen nicht kommentieren.
Entstanden ist das Problem nicht zuletzt durch die Führerscheinumstellung auf die EU-Fahrerlaubnis Ende der 1990er-Jahre. Seitdem durften die Inhaber eines Führerscheins für normale Personenkraftwagen nur noch Fahrzeuge bis zu einem Gesamtgewicht
von 3,5 Tonnen fahren. „Den Wohnmobilherstellern sind dadurch viele Kunden weggebrochen, die gut ausgestattete Fahrzeuge haben wollten“, erklärt Dietz. Die Hersteller reagierten und begannen die 3,5-Tonnen-Fahrzeuge von sechs auf siebeneinhalb Meter zu verlängern, um Kunden, die nur leichtere Fahrzeuge fahren durften, größere und luxuriösere Wohnmobile bieten zu können. Die Folge war ein Gewichtsproblem. Allein die Verlängerung des Rahmens, die notwendig wurde, kostet Gewicht und damit Zuladung. „Meiner Ansicht nach ist es nicht möglich, Luxuswohnmobile auf 3,5Tonnen-Basis zu bauen mit der Ausstattung,
die auf dem neuesten Stand ist“, sagt Dietz. Der Kraftfahrzeugexperte schätzt, dass die allermeisten Wohnmobile nur eine Zuladungsmöglichkeit – also weitere Fahrzeuginsassen neben dem Fahrer mit Gepäck, Verpflegung und Sportgeräten – zwischen 200 und 300 Kilogramm aufweisen. „Zuladungen von bis zu 500 Kilogramm sind da schon die Ausnahme“, erklärt Dietz. „In Deutschland fahren 80 bis 90 Prozent der Wohnmobile überladen.“
Die Tatsache, dass viele Fahrzeugbesitzer ihre Wohnmobile nur wenige Tage nach Bekanntwerden der Vorwürfe überprüfen lassen, liegt nach Angaben der Kanzlei Hahn darin begründet, dass Ansprüche innerhalb der Gewährleistungsfrist angemeldet werden müssen – in der Regel richten sich die Ansprüche gegen den Händler. „Voraussetzung für die Geltendmachung der Sachmängelansprüche gegenüber dem Verkäufer ist jedoch, dass die Gewährleistungsfrist noch nicht abgelaufen ist – bei Neufahrzeugen liegt die bei zwei Jahren, bei gebrauchten Wohnmobilen wird die Gewährleistungsfrist regelmäßig auf ein Jahr beschränkt“, sagt Brockmann. „Unter Umständen könnte auch eine deliktische Schadensersatzhaftung von Hymer in Betracht kommen.“
Schon einmal hatte eine EHGMarke Probleme mit dem zulässigen Gesamtgewicht. In einer Untersuchung kam der saarländische TÜV zu dem Ergebnis, dass 76,8 Prozent von 304 überprüften Fahrzeugen der italienischen Marke Laika aus den Jahren 2011 bis 2017 das zulässige Gesamtgewicht oder die Achslast teilweise erheblich überschritten haben, berichtete das Nachrichtenmagazin „Spiegel“Ende 2020. Bei mehr als 70 Prozent habe es Sicherheitsbedenken in Bezug auf Bremssystem, Lenkund Fahrverhalten gegeben.
Gehandelt hat es sich nach Angaben des „Spiegels“um das 150 000 Euro teure Modell Kreos mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 3,5 Tonnen. Die EHG habe damals erklärt, bei den Vorwürfen handle es sich im Kern „um die unterschiedliche Interpretation einer EU-Zulassungsrichtlinie in Deutschland und Italien“. Auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“wollte sich das Unternehmen nicht mehr zum Fall Laika und der Frage äußern, ob es sich bei den aktuellen Vorwürfen um einen ähnlichen Vorgang handelt. Wie der „Spiegel“damals weiter berichtete, hat das Gutachten des saarländischen TÜV eine „Serviceaktion“nach sich gezogen: „Bei rund hundert überprüften Fahrzeugen wurde das Gewicht verringert oder den Besitzern der Erwerb eines Alternativmodells ermöglicht.“Auch diese Art der Problemlösung wollte das Unternehmen aus Bad Waldsee nicht kommentieren.