Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Dem sagenumwobenen Atlantis ganz nah
Auf Santorin in der griechischen Ägäis verschmelzen Mythos und Realität miteinander
Die Erde bebt. Dumpfes Grollen und eine Aschewolke kündigen Unheilvolles an. Es folgt eine gewaltige Explosion, die mit ohrenbetäubendem Knall die Spitze eines Vulkans zerreißt. Lavagestein bis zur Größe von Lastkraftwagen fliegt auf den Betrachter zu, pyroklastische Ströme von mörderischer Hitze wälzen sich über Festland und Meer, gefolgt von haushohen Flutwellen, die rasend schnell über die See fegen. Instinktiv hebt man die Arme zum Schutz vor den Urgewalten biblischen Ausmaßes, so realistisch erlebt man heute die Apokalypse, die vor dreieinhalbtausend Jahren alles Leben auf Thera (heute Santorin) vernichtet hat.
Das weltweit erste Atlantis-Museum auf der griechischen Ägäisinsel ist mit Hightech vom Feinsten ausgerüstet. Das 9-D-Kino glänzt mit realitätsnahem, dreidimensionalem Filmmaterial, das Besucher mit allen Sinnen auf hydraulisch bewegten Stühlen auf sich wirken lassen. Aus den Armlehnen spritzt sogar Wasser. Zuvor müssen sie sich beim Betreten der „Lost Atlantis Experience“den Weg über virtuell glühende Lavabrocken bahnen. Am Ende der Feuerstraße erwartet sie dann ein Touchscreen, auf dem sich der Lebensweg Platons verfolgen lässt, der in seinen Büchern Kriterias und Timaios um das Jahr 360 v. Chr. erstmals über Atlantis berichtet hat. Ein paar Meter weiter wird der griechische Philosoph mittels einer Projektion zum Leben erweckt und beantwortet Fragen der Museumsbesucher. Fasziniert steht man vor rotierenden 3-DHologrammen, die die geologische Entwicklung Santorins von prähistorischen Zeiten bis zur Gegenwart nachzeichnen. Dabei erfährt der Betrachter von geologischen Forschungsergebnissen aus dem Jahr 1989, nach denen Thera vor 3600 Jahren dem Atlantis-Bild Platons überraschend ähnlich sah: Ein Hügel, umgeben von „kleineren und größeren Ringen von Meerwasser und Erde umeinander“. In der oberen Etage gewährt das weltweit größte Atlantis-Diorama Einblicke in das tägliche Leben der Bewohner. Der interessanteste Teil der Ausstellung kommt jedoch am Schluss, wenn Platons Beschreibungen anhand von Beispielen mit der Realität Santorins verglichen werden.
Museumsdirektor Giorgos Koukoulas kam vor 15 Jahren auf die Ägäisinsel, deren Ähnlichkeiten mit Atlantis ihm seither keine Ruhe ließen. 2012 schrieb er mit „Atlantis wird nie untergehen“seine erste Novelle. Sieben Jahre später ging sein Traum von einem Museum in Erfüllung, das er mit fünf Freunden selbst geplant und finanziert hat. „Platon wollte seine Idee eines idealen Staates in eine real existierende Umgebung einbetten“, ist er sich sicher. „Mit der hochentwickelten Kultur, ihren geologischen Besonderheiten und ihrer dramatischen Geschichte liegt es äußerst nahe, dass Santorin und die umgebenden Inseln den Ursprung für Platons Atlantisbeschreibungen bilden.“
Begibt man sich auf die Suche nach Indizien für die Richtigkeit dieser These, kann ein Urlaub auf Santorin zu einer echten Entdeckungsreise werden. Nur wenige Kilometer vom Lost Atlantis Museum entfernt wird Besuchern in der archäologischen Stätte von Akrotiri der Gang durch eine Stadt aus der Bronzezeit ermöglicht, die vor dreieinhalbtausend Jahren den Höhepunkt ihrer Kultur erreicht hatte. Ähnlich wie Platon den Untergang von Atlantis durch Erdbeben und Überschwemmungen veranschaulichte, wurde auch Akrotiri um 1620 v. Chr. durch ein Erdbeben zerstört. Allerdings erwähnte der Philosoph in seinen Werken keinen Vulkanausbruch, dessen Asche die Stadt bedeckte.
Erst 1967 begannen in Akrotiri umfassende Ausgrabungen, die sich noch viele Jahre hinziehen werden. Doch bereits der bislang freigelegte, etwa zwei Hektar große Teil des archäologischen Geländes gibt Aufschluss über eine Gesellschaft, wie sie Platon als „großes und wunderbares Reich“in seinen Werken skizzierte. Wandgemälde, die sich leider größtenteils noch im Magazin des Museums befinden, zeigen eine durch Handel und Seefahrt geprägte Zivilisation, die damals ihrer Zeit weit voraus war. Besonders auffällig ist das im sogenannten Westhaus aufgefundene Fries mit einer Armada von Schiffen, die der Beschreibung Platons „Der größte Hafen wimmelte von Schiffen und Kaufleuten“sehr nahe kommt. Bei einem Rundgang durch die Gassen der 3600
Jahre alten Stadt kommt man aus dem Staunen nicht heraus, über welche Techniken die Menschen bereits damals verfügten. Bis zu drei Etagen hohe Häuser, freitragende Treppen, Abwasserkanäle, gepflasterte Straßen, Badewannen und Toiletten in den Gebäuden verdeutlichen den Wohlstand in der unter Vulkanasche so gut konservierten Stadt, wie man sie sonst nur in Pompeji oder Herculaneum
findet. Auch Platon hatte von Kanälen und Badehäusern berichtet. Anders als in Italien fand man bislang jedoch keine menschlichen Überreste in Akrotiri.
Bisher stießen Archäologen auch nicht auf Spuren des Tempels des Poseidon, dessen Lage Platon im Zentrum von Atlantis festmachte. Genau im Mittelpunkt Santorins befindet sich heute die Insel Palea Kameni, auf der einige der von Platon gerühmten heißen Quellen sprudeln. Gemeinsam mit der benachbarten Nea Kameni verzaubern die beiden Inseln ihre Betrachter besonders im Licht der untergehenden Sonne. Sitzt man dann noch mit einem Glas erlesenen Assyrtiko-Weines auf der Terrasse des Restaurants Charisma in Oia oder des The Wine Bar in Imerovigli, verschmelzen Mythos und Realität langsam vor dem sich orange, violett und tiefrot färbenden Horizont, der unweigerlich die Fantasie anregt.
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Die Recherche wurde von der griechischen Marketingorganisation unterstützt.