Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Stuttgarter Haltungskorrektur
VfB-Trainer kritisiert bei seinen Spielern die Umsetzung – Prominenter Offensiv-Ausfall
- Ein Korsett zur Begradigung dürfte auf dem Fußballplatz eher ungünstig sein. Ein fescher Gehstock würde zwar aristokratisch wirken, aber sicherlich zu unschönen Fouls führen. Einlegesohlen dagegen könnten eventuell helfen. In welche Richtung auch immer die Gedankengänge von Pellegrino Matarazzo drifteten, eines ist dem Trainer bewusst: seine Kicker brauchen nach der Sechs-Spiele-sieglos-Serie eine Haltungskorrektur.
„Ich habe selten in einer Halbzeitpause so eine Energie gespürt und dann auf dem Platz so eine Diskrepanz gesehen“, beschrieb der Trainer seinen Eindruck von der jüngsten Niederlage der Brustringtruppe gegen Eintracht Frankfurt. „Das Geschreie war extrem elektrisierend, fast energetisch“, so Matarazzo. „Aber wir haben es nicht geschafft, das auf den Platz zu bringen.“Das sei ein „Übertragungsfehler“. Man brauche nicht schreien in der Kabine, wenn es nicht umgesetzt werde. Das alles hänge weniger mit Leistung, sondern eher mit Haltung und inneren Fähigkeiten zusammen. Seine Jungs hätten zu viel gewollt. Also wieder einmal das alte Problem der hochveranlagten jungen Mannschaft. Der Kopf spielt zu selten mit. Bei Rückschlägen noch weniger. Die Spirale zu durchbrechen ist die große Aufgabe.
„Es war ein Thema, wie schnell wir uns gegen Frankfurt haben verunsichern lassen“, konstatierte Matarazzo seine Aufgabe während der vergangenen Trainingswoche. Die Lösung der Abstiegsprobleme? „Weiterhin daran zu glauben, das ist der Weg“, so der 44-Jährige.
Doch ist es auch am Wasen, wie es überall mit Abwärtsspiralen herkömmlicherweise ist: Läuft es nicht, sorgen Kleinigkeiten für noch mehr Gegenwind. Dass am Samstag mit Bayer Leverkusen (18.30 Uhr/Sky) nun ausgerechnet die Mannschaft der Stunde auf den Tabellenvorletzten wartet, sorgt da nicht unbedingt für Freudensprünge. „Wir versuchen natürlich, sie gar nicht erst ins Spiel kommen zu lassen“, sagte der Trainer über die Ausrichtung gegen den Champions-League-Anwärter. Schnelles Umschaltspiel und die Geschwindigkeits-Asse aus Leverkusen ebenfalls überrumpeln. Mit welchem Personal allerdings ist noch fraglich. Abwehrchef Waldemar Anton und – besonders bitter – Torjäger Sasa Kalajdzic fallen aus. Dabei hatte Anton im Heimspiel gegen die Hessen nach 518 torlosen Minuten die längste Flaute der Stuttgarter in der Bundesliga beendet, und auch Dauer-Hoffnungsträger Kalajdzic war zum ersten Mal in dieser Saison erfolgreich gewesen.
Innenverteidiger Anton wurde unter der Woche jedoch positiv auf das Coronavirus getestet und Kalajdzic,
„Wir brauchen nicht in der Kabine schreien, wenn es auf dem Platz nicht umgesetzt wird.“
der wegen Covid-19 und einer Schulterverletzung erst fünf Spiele in dieser Spielzeit absolvieren konnte, erlitt sowohl im Duell gegen die Eintracht als auch im Training einen Schlag auf die Wade. Mit Atakan Karazor, Pascal Stenzel und Roberto Massimo in der Defensive sowie Alexis Tibidi, Sporting-Lissabon-Leihgabe Tiago Tomás und den Rückkehrern Omar Marmoush (Afrika-Cup) und Tanguy Coulibaly (Fußverletzung) stünden allerdings zahlreiche Offensivoptionen bereit. „Entscheidend ist für mich, wer bereit ist“, machte Matarazzo klar.
Woher der Trainer selbst bei all den jüngsten Rückschlägen seine Zuversicht schöpfe, darauf hatte „Rino“
Pellegrino Matarazzo wieder eine seiner typischen Antworten parat: „Es ist eine gute Frage, woher ich jedes Mal die Kraft nehme“, sagte Matarazzo und machte eine kurze Pause. „Vielleicht liegt es an meiner Persönlichkeitsstruktur und auch an der Erziehung. Ich denke lösungsorientiert und bringe einen gewissen Optimismus mit.“
Trotzdem stellt sich die Frage, wie lange er es schafft, diese positive Ausstrahlung beizubehalten. Immerhin wird der Coach von den Fans ebenso gestützt wie vom Vorstand und der sportlichen Leitung. Das helfe, um in Ruhe arbeiten zu können, sagte Matarazzo, der nicht zur Diskussion steht und der auch für das schwierige Spiel am Samstag seinen Optimismus wie einen Schutzschild vor sich her trägt. So formulierte der Coach: „Hoffnung macht mir, dass es jetzt aktuell noch 0:0 steht und wir 90 Minuten Zeit haben, um ein Fußballspiel zu bestreiten.“