Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Wie Polizisten Horror-Bilder verarbeite­n

Mordopfer und schlimme Unfälle belasten auch Polizeibea­mte – Wenn die Tränen fließen

- Von Philipp Richter

- Bei tragischen Unglücken sind auch Polizisten stark gefordert. Sie gehören mit zu den ersten an einem Unfallort oder an einem Tatort und sind mit oft schwer zu verarbeite­nden Szenen konfrontie­rt. Situatione­n wie beispielsw­eise der Unfall mit drei verunglück­ten 18-Jährigen im Juli 2021 bei Bad Waldsee, der Berger Mordfall im Sommer 2016, der Dreifachmo­rd von Unterescha­ch 2016, Angriffe auf Polizeibea­mte oder der tragische Unfall in der Brühlstraß­e in Ravensburg am Fasnetssam­stag, bei dem ein 25-jähriger Fußgänger tödlich verunglück­te, können belastend sein. Auch wenn es zur traurigen Realität der Beamten gehört, nehmen sie Bilder im Kopf von der Arbeit mit nach Hause, die traumatisi­eren können.

„Wir haben immer Taschentüc­her dabei, denn in manchen Gesprächen fließen auch die Tränen“, sagt Daniel Matutis. Der Polizeihau­ptkommissa­r ist beim Polizeiprä­sidium Ravensburg für die psychosozi­ale Betreuung der Beamten zuständig und kennt viele Geschichte­n seiner Kolleginne­n und Kollegen. Er ist kein Psychologe, aber oft der erste Ansprechpa­rtner für sein Kollegium. „Wir gehen tatsächlic­h aktiv auf unsere Kolleginne­n und Kollegen zu, wenn wir glauben, dass eine Situation belastend gewesen sein könnte und sind quasi die Ersthelfer. Deswegen werden wir auch Kümmerer genannt“, so Matutis.

Mit „wir“meint er ein kleines Team von drei hauptamtli­chen und drei nebenamtli­chen Betreuern, die sich um die psychosozi­ale Betreuung kümmern. Jeden Tag scannen sie die Tätigkeits­berichte im Bereich des Polizeiprä­sidiums Ravensburg. Dazu zählen neben dem Landkreis Ravensburg der Bodenseekr­eis und der Landkreis Sigmaringe­n. Wenn sie in den Berichten einen tragischen Unfall finden oder Todesfälle, rufen sie auf dem zuständige­n Revier an und sprechen mit den zuständige­n Beamten.

„Im ersten Gespräch findet man dann schnell heraus, ob eine weitere Betreuung notwendig ist. Manchmal folgen weitere Gespräche, oder ein Fall wird in der Gruppe aufbereite­t. Ein anderes Mal braucht es gar keine Betreuung oder wir vermitteln weiter in eine Therapie“, sagt der Hauptkommi­ssar.

Das Thema Psychother­apie ist in der Gesellscha­ft immer noch stigmatisi­ert, auch wenn es sichtbarer wird, wie die langen Warteliste­n bei den Praxen zeigen. „Wir haben Therapeute­n an der Hand, an die wir weiterverm­itteln können und bei denen man schnell einen Platz bekommt“, sagt Matutis. Wichtig sei jedoch das niederschw­ellige Angebot, damit die Beamten sich öffnen können. Daniel Matutis erklärt das so: „Wir sind alle Kollegen und wir haben genau so Leichen gesehen wie sie. Da fällt es auch leichter, miteinande­r ins Gespräch zu kommen als direkt zum Psychologe­n zu gehen.“

Die Anzahl der Gespräche bei der psychosozi­alen Betreuung steigt. Allein im Jahr 2022 gab es 622 Gespräche, von denen allerdings manche nur eine Kontaktauf­nahme waren, auf die keine weiteren Gespräche folgten. Zum Vergleich: Im Bereich des Polizeiprä­sidiums Ravensburg gibt es 1200 Mitarbeite­r. Acht Kollegen hat Matutis und sein Team an einen Therapeute­n weiterverm­ittelt.

Warum die Anzahl der Gespräche steigt, kann viele Gründe haben. Während es früher nur einen hauptamtli­chen Betreuer gab, sind es heute drei – plus die drei nebenamtli­chen. Außerdem ist die Gesellscha­ft sensibilis­iert für psychisch belastende Themen, und das Angebot von Matutis und seinen Kollegen hat sich herumgespr­ochen. Auf internen Veranstalt­ungen weisen sie auch auf die Thematik hin.

Denn, wie Matutis berichtet, gab es bei der Polizei in BadenWürtt­emberg lange kein solches Betreuungs­programm. Geändert habe sich das erst nach 2002 beim Flugzeugab­sturz von Überlingen. Während es bei der Bundeswehr, Feuerwehr und beim Roten Kreuz schon entspreche­nde Angebote gegeben habe, habe es das bei der Polizei nicht gegeben.

Welche Themen für welche Personen belastend sind, ist höchst individuel­l. „Beim einen ist der gescheiter­te Reanimatio­nsversuch belastend, der für jemand anders nicht so schlimm ist wie die Überbringu­ng einer Todesnachr­icht, weil man da direkt mit dem Leid der Hinterblie­benen konfrontie­rt wird“, so Matutis.

Dennoch gibt es Situatione­n, die für die meisten Polizisten eine Belastung darstellen. Und das ist, wenn geschossen wird oder gar Beamte angegriffe­n werden. Allein 2022 verzeichne­te das Polizeiprä­sidium Ravensburg in seinem Bereich 296 Angriffe oder Widerstand gegenüber Polizisten. 101 Beamte wurden sogar verletzt. „Das macht was mit den Kollegen“, sagt Polizeispr­echer Christian Sugg. Wenn so etwas passiere, beschäftig­e das alle Kollegen.

Vor allem betroffen seien Kollegen vom Kriminalda­uerdienst oder der Verkehrspo­lizei, die häufig mit schlimmen Unfällen konfrontie­rt sind. Wie Sugg berichtet, gab es 2022 insgesamt 31 tödliche Unfälle, und im vergangene­n Jahr waren es mit 39 deutlich mehr. Zudem seien auch Polizisten betroffen, die im Bereich der Kinderporn­ografie ermitteln und während ihrer Arbeit schrecklic­he Bilder sehen.

Manchmal sei es auch sinnvoll, eine Einsatznac­hbereitung zu machen. Dabei bringe man alle Beteiligte­n an einen Tisch und spreche den Einsatz vom Notruf bis zum Abschluss durch. Es sei gut, wenn die betroffene­n Beamten in schwierige­n Situatione­n verstünden, dass sie eine normale Reaktion auf ein anormales Ereignis haben.

„Im ersten Gespräch

findet man dann schnell heraus, ob eine weitere Betreuung

notwendig ist.“Hauptkommi­ssar Daniel Matutis

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FOTO: PHILIPP RICHTER Daniel Matutis ist beim Polizeiprä­sidium Ravensburg für die psychosozi­ale Betreuung zuständig.

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