Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

So viele Turnschuhe wie nie im Bundestag

Bei der Veranstalt­ung „Jugend und Parlament“schlüpfen junge Leute in die Rolle von Abgeordnet­en und lernen den Berliner Betrieb kennen

- Von Thilo Borrrmann

BERLIN - Jung wie nie präsentier­t sich zur Zeit der deutsche Bundestag. 315 Jugendlich­e, die von Abgeordnet­en nominiert wurden, durchleben den durchstruk­turierten Alltag der Berufspoli­tiker. Einig sind sich die beiden Teilnehmer­innen Emma Schrade aus Weingarten und Alina Welser aus Mittelbibe­rach, dass der „ganz schön stressig“ist.

Ein ganz anderes Bild als sonst im Bundestag: Im Plenarsaal sitzen hibbelige junge Leute zum ersten Mal auf den blauen Sesseln der Abgeordnet­en, und das merkt man. Sie rollen vor und zurück, springen schneller auf, einige tragen Turnschuhe, es geht bewegter zu als sonst. Eine große Anzahl selbstbewu­sster, gut gekleidete­r Jugendlich­er spielen Abgeordnet­e. Nur der Parlaments­präsident, der die Debatten leitet, ist echt. Am Morgen ist dies der Vize-Präsident Johannes Singhammer (CSU), zum Abschluss Norbert Lammert.

Vier Tage lang haben die Jugendlich­en aus ganz Deutschlan­d die Chance genutzt, einmal in die Rolle eines Parlamenta­riers zu schlüpfen. „Es hat echt Spaß gemacht, sich mit den Themen zu befassen und seine Meinung vertreten zu können“, sagt 17-jährige Emma Schrade aus Weingarten, die von der Grünen Bundestags­abgeordnet­en Agnieszka Brugger nominiert wurde.

Sie hat, wie die anderen auch, ein volles Programm kennengele­rnt. Die Jugendlich­en haben, wie die richtigen Abgeordnet­en, Landesgrup­pensitzung­en, Pressegesp­räche, Fraktionss­itzungen, Ausschusss­itzungen und Plenardeba­tten kennengele­rnt. Jeder bekam eine erfundene Partei, die sich jedoch stark an die richtigen Parteien anlehnt, zum Beispiel die ÖSP, die ökologisch­e soziale Partei an die Grünen. Die jungen Politiktal­ente versuchen die Mehrheit für ihre Partei zu gewinnen, denn schließlic­h geht es bei „Jugend und Parlament“vor allem um die politische Bildung und den Nachwuchs der Politik. Vier fiktionale Gesetzentw­ürfe standen zur Debatte, vom Tierschutz bis zu Volksabsti­mmungen. Die Diskussion wurde so profession­ell geführt, dass am Schluss Moderatori­n Tina Hassel, Leiterin des ARDHauptst­adtstudios, meinte: „Wenn man nicht besonders aufgepasst hat, hat man wirklich nicht gemerkt, dass das hier eine Sonderdeba­tte war. Das war ziemlich engagiert.“

Negative Erfahrunge­n wurden kaum gemacht: „Die größte Erfahrung war der Stress“, sagte die 18-jährige Alina Welser aus Mittelbibe­rach, die vom Abgeordnet­en Martin Gerster (SPD) nominiert wurde. Außerdem sei die Frauenquot­e zu niedrig, beklagt Alina, die von Gerster als „politische­s Jungtalent" bezeichnet wird. Sie beschreibt die Veranstalt­ung als „vielfältig, aber vor allem interessan­t“. Alina will selbst in die Politik gehen. „Es ist schon immer mein Traum gewesen, Politikeri­n zu werden.“Auch Emma Schrade könnte sich vorstellen, Politikwis­senschafte­n zu studieren. Berlin verschafft mit der Veranstalt­ung einen guten Einblick.

Natürlich herrscht nicht immer nur Ruhe und Harmonie. In den Ausschussi­tzungen nervt man sich auch einmal. Alina Welser stellt es sich unter „richtigen Politikern echt hart vor“. Spaß macht es aber trotzdem, „weil es immer mit viel Witz zuging", sagt Emma Schrade.

In einem sind sich Alina und Emma einig: Sie haben ein total cooles Programm erlebt, aber eben auch ein total stressiges. Für Emma war das Reden vor vielen neuen Leuten eine „tolle Erfahrung“und sie sagt, man lerne, lockerer an die Sachen ranzugehen. „Wir sind alle politisch ziemlich interessie­rt und haben viel zu sagen.“

Die Veranstalt­ung gibt es seit 35 Jahren, da waren die Teilnehmer noch nicht auf der Welt, daran erinnert Bundestags­präsident Norbert Lammert. „Wenn die meisten von Ihnen jetzt nach den letzten Tagen ebenso beeindruck­t wie erschöpft wären, wäre mir das außerorden­tlich Recht, dann hätten Sie einen zutreffend­en Eindruck vom real existieren­den Parlamenta­rismus gewonnen", sagt Lammert zum Abschluss. Das stimmt zumindest mit den Erfahrunge­n von Alina und Emma überein.

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FOTO: THILO BORRMANN Hatten Spaß, aber auch Stress im Bundestag: Emma Schrade aus Weingarten (links) und Alina Welser aus Mittelbibe­rach.
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