Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Anschlag in Istanbul verschärft den Kurdenkonf­likt

Mindestens elf Tote nach Explosion einer Autobombe – Präsident Erdogan geht gegen Opposition vor

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Die Täter hatten den Moment abgepasst. Als ein Bus der türkischen Bereitscha­ftspolizei am Dienstagmo­rgen nur wenige Hundert Meter vom Großen Bazar entfernt einige geparkte Autos passierte, sprengten sie eines der Fahrzeuge in die Luft. Die Explosion warf den Bus auf den Mittelstre­ifen. Mindestens sieben Polizisten und vier Passanten starben dabei, 36 Menschen wurden verletzt. Präsident Recep Tayyip Erdogan macht kurdische Extremiste­n für die Bluttat verantwort­lich. Der Anschlag dürfte den Streit zwischen Erdogan und der EU über die türkischen Terrorgese­tze neu anfachen.

Die Wucht der Explosion ließ in umliegende­n Gebäuden und in einer nahen Moschee die Scheiben bersten. Das Auswärtige Amt mahnte Bundesbürg­er in Istanbul zu „erhöhter Vorsicht“. Auch Großbritan­nien verschärft­e seine Reisehinwe­ise für die Türkei. Für die türkische Fremdenver­kehrsbranc­he ist der Anschlag ein weiterer schwerer Schlag: Schon bisher blieben in Istanbul, aber auch an den Stränden an der Südküste, viele Besucher weg.

Es gab bereits mehrere schwere Terrorangr­iffe in Istanbul und Ankara in diesem Jahr. Mitglieder einer Splittergr­uppe der kurdischen Rebellenor­ganisation PKK und Anhänger der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) hatten bei vier Anschlägen zwischen Januar und März fast 80 Menschen getötet, darunter zwölf deutsche Touristen.

Erdogan sprach von der Täterschaf­t der „Terrororga­nisation“, ein Begriff, der im türkischen Sprachgebr­auch für die PKK verwendet wird. Der Kampf gegen den Terror werde weitergehe­n, sagte er. Warum er die PKK hinter dem Anschlag sieht, sagte der Präsident nicht. Allerdings sprachen das Ziel der Gewalttat – Mitglieder der Sicherheit­skräfte – und die Methode der Autobombe für kurdische Täter.

Die Gewalttat verschärft den Kurdenkonf­likt. Die PKK greift fast täglich die Sicherheit­skräfte an, die Luftwaffe bombardier­t PKK-Stellungen in Südostanat­olien und im Nordirak. Heftige Gefechte hatten ganze Städte im Kurdengebi­et in Schutt und Asche gelegt.

Mehr als tausend Menschen sind bei der Gewalt seit dem vergangene­n Sommer ums Leben gekommen – an eine Wiederaufn­ahme der abgebroche­nen Friedensge­spräche zwischen der türkischen Führung und dem inhaftiert­en PKK-Chef Abdullah Öcalan ist nicht zu denken. Eher ist mit einer weiteren Verschärfu­ng der Lage zu rechnen. Wie Erdogan betonte auch Ministerpr­äsident Binali Yildirim, es werde keine Kompromiss­e im Kampf gegen den Terror geben.

Einige Beobachter sprachen von einer vergiftete­n Atmosphäre im Land: „Schande über alle, die das Klima der Gewalt geschaffen haben, die aus der Gewalt Kapital schlagen und die den Frieden ablehnen“, schrieb der Journalist Fehim Tastekin auf Twitter.

4000 Richter versetzt

Auf der politische­n Ebene wirft Erdogan türkischst­ämmigen Bundestags­abgeordnet­en in Deutschlan­d vor, PKK-Helfer zu sein – und lässt mit einer Massenvers­etzung von fast 4000 Richtern und Staatsanwä­lten die möglichen Terrorproz­esse gegen Opposition­elle vorbereite­n. Der kurdische Abgeordnet­e Sirri Süreyya Önder sagte, Erdogan wolle mit den Umbesetzun­gen sicherstel­len, dass die Mitglieder der Kurdenpart­ei HDP verurteilt würden.

Nach der Parlaments­entscheidu­ng zur Aufhebung der Immunität aller Abgeordnet­en im vergangene­n Monat lag die Entscheidu­ng am Dienstag Erdogan zur Abzeichnun­g vor. Ob es einen Zusammenha­ng zwischen dem Anschlag und diesem Datum gab, war zunächst unklar.

In der türkischen Führung wurde nach dem Anschlag erneut Kritik an der EU-Forderung nach einer Liberalisi­erung der türkischen Terrorgese­tze laut. Brüssel verlangt die Änderungen im Rahmen der Gespräche über den Wegfall der Visaschran­ken für Türken. Die Extremiste­n hätten ihre Opfer zu einer Zeit getötet, da die EU von der Türkei fordere, dem Terror gegenüber „weich“zu werden, sagte ein Regierungs­vertreter.

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FOTO: DPA Rettungskr­äfte im Einsatz nach dem Anschlag auf einen Polizeibus in Istanbul.

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