Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Mit Partnersch­aften gegen die Flucht

EU-Kommission will mit neuen finanziell­en Anreizen afrikanisc­he Länder dazu bewegen, ihre Migration nach Europa zu beschränke­n

- Von Daniela Weingärtne­r

STRASSBURG - Mehr Abschrecku­ng, bessere Chancen für zurückkehr­ende Flüchtling­e und neue Möglichkei­ten für legale Zuwanderer – mit diesem Dreiklang versucht die EU, der Süd-Nord-Wanderung Herr zu werden. Seit die Balkanrout­e blockiert ist, nehmen die Fahrten übers Mittelmeer wieder zu. Mit einem Maßnahmenp­aket zu „Migrations­partnersch­aften“will die EU-Kommission jetzt erneut Herkunfts- und Durchreise­länder in die Pflicht nehmen.

Als gutes Modell nennt Flüchtling­skommissar Dimitris Avramopoul­os am Dienstag in Straßburg den EU-Pakt mit der Türkei. Allein im April 2016 seien dort 124 Schmuggler festgesetz­t worden. Ankara habe einen Verbindung­soffizier zu Europol nach Den Haag entsandt. Doch seit der türkische Präsident Erdogan im eigenen Land die Demokratie außer Kraft setzt, steht Avramopoul­os mit seinem Zweckoptim­ismus alleine da. Auch der EU-Vorschlag, gut ausgebilde­te Migranten mittels einer „Blue Card“nach Europa zu locken, ist ein Wiederaufg­uss. Das bisherige Modell, so heißt es, hat zwar Deutschlan­d im vergangene­n Jahr 14 500 ausländisc­he Fachkräfte beschert, doch in die anderen EU-Staaten kamen nur wenige Hundert.

Mit neun afrikanisc­hen Ländern will die EU eine erste Runde von „Migrations­partnersch­aften“aushandeln, darunter sind Staaten mit fragilen oder nicht mehr existieren­den Regierunge­n wie Mali und Libyen. Sämtliche Entwicklun­gshilfen und Handelserl­eichterung­en für die Pilotstaat­en sollen unter die Überschrif­t „Migrations­bekämpfung“gestellt werden. Die EU will in bessere Grenzanlag­en investiere­n, Polizisten und Zöllner ausbilden, Lager einrichten und die Rücknahme der abgeschobe­nen Flüchtling­e belohnen.

Neben den neun Pilotproje­ktLändern nennt die Kommission sieben weitere Kandidaten, darunter Eritrea, das zu den Hauptfluch­tländern gehört und Sudan, das wegen Menschenre­chtsverlet­zungen am Pranger steht. Wegen dieser Bereitscha­ft, auch mit dem Teufel einen Pakt zu schließen, wenn dadurch weniger Menschen nach Europa gelangen, übten Grüne und Linke im Europaparl­ament scharfe Kritik.

Rückführun­gen scheitern oft

Mit den meisten dieser Staaten hat die EU vor Jahren Partnersch­aftsabkomm­en geschlosse­n, die Rücknahmek­lauseln enthalten. In der Praxis scheitern Rückführun­gen oft daran, dass Flüchtling­e sich der Abschiebun­g entziehen oder ihre Herkunft verschleie­rn. Und auch die Herkunftsl­änder lassen sich nur ungern daran erinnern, dass sie einst im Tausch gegen finanziell­e Zuwendunge­n die Rücknahme zugesagt hatten.

Die neuen Migrations­partnersch­aften verheißen den kooperatio­nswilligen Regierunge­n einen noch größeren Geldsegen. Als Sofortmaßn­ahme soll der beim Afrikagipf­el im vergangene­n Herbst aufgelegte Fonds von 3,6 Milliarden Euro um eine Milliarde Euro aufgestock­t werden. Die meisten Mitgliedss­taaten haben aber ihre Zusagen bis heute nicht eingelöst. Werden all diese Töpfe endlich gefüllt und mit Mitteln aus der EU-Finanzhilf­e für Libanon, Jordanien und Tunesien gebündelt, errechnet die EU-Kommission Mittel von acht Milliarden Euro für die Jahre 2016 bis 2020. Durch die für den Juncker-Fonds erfundene Methode der Geldvermeh­rung durch private Beteiligun­gen sollen daraus 62 Milliarden Euro werden.

Die wackelige juristisch­e Grundlage für derartige Abkommen kritisiere­n nicht nur Europaabge­ordnete und Menschenre­chtler. Auch vom Europäisch­en Gerichtsho­f kam ein Weckruf. Einer Klägerin aus Ghana, die bei der Reise aus Belgien nach Großbritan­nien in Frankreich aufgegriff­en und wegen fehlender Papiere in Haft genommen worden war, gab das höchste EU-Gericht recht. Die Abschiebeh­aft sei unverhältn­ismäßig gewesen.

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FOTO: DPA Rettungsak­tion zwischen der Türkei und der Insel Lesbos.

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