Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Mit Partnerschaften gegen die Flucht
EU-Kommission will mit neuen finanziellen Anreizen afrikanische Länder dazu bewegen, ihre Migration nach Europa zu beschränken
STRASSBURG - Mehr Abschreckung, bessere Chancen für zurückkehrende Flüchtlinge und neue Möglichkeiten für legale Zuwanderer – mit diesem Dreiklang versucht die EU, der Süd-Nord-Wanderung Herr zu werden. Seit die Balkanroute blockiert ist, nehmen die Fahrten übers Mittelmeer wieder zu. Mit einem Maßnahmenpaket zu „Migrationspartnerschaften“will die EU-Kommission jetzt erneut Herkunfts- und Durchreiseländer in die Pflicht nehmen.
Als gutes Modell nennt Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos am Dienstag in Straßburg den EU-Pakt mit der Türkei. Allein im April 2016 seien dort 124 Schmuggler festgesetzt worden. Ankara habe einen Verbindungsoffizier zu Europol nach Den Haag entsandt. Doch seit der türkische Präsident Erdogan im eigenen Land die Demokratie außer Kraft setzt, steht Avramopoulos mit seinem Zweckoptimismus alleine da. Auch der EU-Vorschlag, gut ausgebildete Migranten mittels einer „Blue Card“nach Europa zu locken, ist ein Wiederaufguss. Das bisherige Modell, so heißt es, hat zwar Deutschland im vergangenen Jahr 14 500 ausländische Fachkräfte beschert, doch in die anderen EU-Staaten kamen nur wenige Hundert.
Mit neun afrikanischen Ländern will die EU eine erste Runde von „Migrationspartnerschaften“aushandeln, darunter sind Staaten mit fragilen oder nicht mehr existierenden Regierungen wie Mali und Libyen. Sämtliche Entwicklungshilfen und Handelserleichterungen für die Pilotstaaten sollen unter die Überschrift „Migrationsbekämpfung“gestellt werden. Die EU will in bessere Grenzanlagen investieren, Polizisten und Zöllner ausbilden, Lager einrichten und die Rücknahme der abgeschobenen Flüchtlinge belohnen.
Neben den neun PilotprojektLändern nennt die Kommission sieben weitere Kandidaten, darunter Eritrea, das zu den Hauptfluchtländern gehört und Sudan, das wegen Menschenrechtsverletzungen am Pranger steht. Wegen dieser Bereitschaft, auch mit dem Teufel einen Pakt zu schließen, wenn dadurch weniger Menschen nach Europa gelangen, übten Grüne und Linke im Europaparlament scharfe Kritik.
Rückführungen scheitern oft
Mit den meisten dieser Staaten hat die EU vor Jahren Partnerschaftsabkommen geschlossen, die Rücknahmeklauseln enthalten. In der Praxis scheitern Rückführungen oft daran, dass Flüchtlinge sich der Abschiebung entziehen oder ihre Herkunft verschleiern. Und auch die Herkunftsländer lassen sich nur ungern daran erinnern, dass sie einst im Tausch gegen finanzielle Zuwendungen die Rücknahme zugesagt hatten.
Die neuen Migrationspartnerschaften verheißen den kooperationswilligen Regierungen einen noch größeren Geldsegen. Als Sofortmaßnahme soll der beim Afrikagipfel im vergangenen Herbst aufgelegte Fonds von 3,6 Milliarden Euro um eine Milliarde Euro aufgestockt werden. Die meisten Mitgliedsstaaten haben aber ihre Zusagen bis heute nicht eingelöst. Werden all diese Töpfe endlich gefüllt und mit Mitteln aus der EU-Finanzhilfe für Libanon, Jordanien und Tunesien gebündelt, errechnet die EU-Kommission Mittel von acht Milliarden Euro für die Jahre 2016 bis 2020. Durch die für den Juncker-Fonds erfundene Methode der Geldvermehrung durch private Beteiligungen sollen daraus 62 Milliarden Euro werden.
Die wackelige juristische Grundlage für derartige Abkommen kritisieren nicht nur Europaabgeordnete und Menschenrechtler. Auch vom Europäischen Gerichtshof kam ein Weckruf. Einer Klägerin aus Ghana, die bei der Reise aus Belgien nach Großbritannien in Frankreich aufgegriffen und wegen fehlender Papiere in Haft genommen worden war, gab das höchste EU-Gericht recht. Die Abschiebehaft sei unverhältnismäßig gewesen.