Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Diplomat
Es wird ein historisches Ereignis: Erstmals in der Neuzeit kommt vom 19. bis 26. Juni auf Kreta wieder ein „Heiliges und Großes Konzil“der orthodoxen Kirche zusammen. Als Oberhaupt der größten orthodoxen Kirche weltweit kommt dem Moskauer Patriarchen beim Konzil auf Kreta die Rolle eines Gegenspielers von Ehrenprimas Bartholomaios I. von Konstantinopel zu. In manchen Punkten liegen die Interessen der wichtigsten Köpfe der Orthodoxie erkennbar auseinander.
Augenscheinlich ist schon der Unterschied im Auftreten: Anders als der bescheidene Bartholomaios I. (76) gibt der 69-jährige Kyrill I. den Kirchenfürsten. Offen inszeniert er seinen Anspruch. Bei seiner jüngsten Lateinamerika-Reise machte Kyrill I. sogar einen Abstecher in die Antarktis. Dazu passt auch seine Liebe zu teuren Luxusuhren.
Seine Souveränität zeigte sich im Februar beim Treffen mit Papst Franziskus in Havanna, mit dem Kyrill I. eine Kehrtwende der Moskauer Kirchenpolitik vollzog. Er dachte nicht daran, den Heiligen Synod, das höchste Gremium seiner Kirche, um Erlaubnis zu fragen; die Kritik aus erzkonservativen Kreisen wies er ab.
Das erste Treffen eines Moskauer Patriarchen mit einem Papst war dem aus einer Priesterfamilie stammenden Kyrill I. ein persönliches Anliegen. Geprägt wurde er durch den damaligen Metropoliten von Leningrad, Nikodim, der seinerseits 1978 während einer Audienz beim „33-Tage-Papst“Johannes Paul I. überraschend starb. Später sammelte Kyrill I. als Vertreter seiner Kirche beim Weltkirchenrat in Genf Erfahrungen mit den westlichen Kirchen. Die Begegnung auf Kuba brachte ihn wieder ins Spiel der ökumenischen Diplomatie. Insofern liegen Kommentatoren schief, wenn sie Kyrill I. schlicht als Handlanger der russischen Außenpolitik unter Präsident Putin erkennen. (KNA)