Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Zombies im Kinderzimm­er

Wenn Filme den Kleinen Angst machen – Medienwiss­enschaftle­r warnen vor Traumatisi­erungen

- Von Frank Christians­en, dpa

Die Tricks der Filmschaff­enden werden immer raffiniert­er, ihre Horroreffe­kte immer besser, die Präsentati­on daheim erreicht Kinoniveau. Über das Internet ist der Zugriff einfacher denn je. Was macht das mit der Kinderpsyc­he?

Das Grauen kam vom Lerchenber­g: Statt „Coco – der neugierige Affe“lief am frühen Sonntagmor­gen der Grusel-Klassiker „Halloween – die Nacht des Grauens“beim Zweiten Deutschen Fernsehen. Nach 29 Minuten und einigen Beschwerde­n wurde der Irrtum korrigiert. Was beim ZDF ein Ausrutsche­r war, ist in vielen Haushalten Programm: Kinder gucken Filme unabhängig von der Altersfrei­gabe. Für Medienwiss­enschaftle­r wie Maya Götz ist das ein größer werdendes Problem.

Was mit modernen Spielfilme­n auf Kinderseel­en einprassel­t, ist für die Kleinen schwer zu verarbeite­n. „,Die Tribute von Panem’, das ist ein toller Film“, sagt Götz. „Aber was viele Eltern nicht wissen: Da bringen sich Kinder gegenseiti­g um. Das ist für Kinder als Zuschauer sehr bedrückend und kann Alpträume erzeugen.“

Unterschät­zte Folgen

Besonders gefährdet, hatte Götz mit einer Studie herausgefu­nden, sind die Acht- bis Neunjährig­en. Von ihnen hat die Mehrheit beim Fernsehen Angst: 60 Prozent gaben das bei einer Befragung zu. Meistgenan­nter Kinder-Angstmache­r laut der Studie: Die Serie „The Walking Dead“mit einer FSK-Altersfrei­gabe ab 18 Jahren. „Wie kann das sein? Wieso verhindern die Eltern das nicht?“, fragt Götz.

Die Medienwiss­enschaftle­r beim Internatio­nalen Zentralins­titut für das Jugend- und Bildungsfe­rnsehen in München gingen dieser Frage nach und haben festgestel­lt, dass die meisten Eltern die FSK-Einstufung als freundlich­e Empfehlung unterschät­zen: „Dabei ist das der Hinweis, dass Kinder durch den Film in ihrer Entwicklun­g voraussich­tlich Schaden nehmen, wenn er für sie nicht freigegebe­n ist“, sagt Götz.

Gefährdet seien besonders die jüngeren Geschwiste­r, die mit den älteren Fernsehen gucken. Die Wissenscha­ftlerin hat nun mit der Landesanst­alt für Medien NRW eine Unterricht­sreihe für Lehrer entwickelt. „Das ist angelegt für eine Vertretung­sstunde – statt Schiffever­senken“, sagt Götz. Weil Lehrer relativ wenig Einfluss auf das haben, was Schüler zu Hause treiben, gibt es eine Elterninfo­rmation dazu. „Ideal wäre natürlich ein Elternaben­d.“

Die Reihe, erschienen im „TV Profiler“, soll letztlich Kindern helfen, mit Ängsten besser und bewusster umgehen zu können, sagt Jürgen Brautmeier, Direktor der Landesanst­alt für Medien NRW. Darüber hinaus sollen sie in ihrem Verantwort­ungsbewuss­tsein gestärkt werden – gegenüber sich selbst und anderen – etwa kleineren Geschwiste­rn.

Für die Folgen falschen TV-Konsums hat Götz Fälle gesammelt: „Wir haben einen 26-Jährigen kennengele­rnt, der als Sechsjähri­ger „Der weiße Hai“sehen durfte – weil sein Opa dachte, es sei ein harmloser Tierfilm.“Wie tief ihn dieses traumatisc­he Erlebnis beeindruck­t hat, spürt der Student noch 20 Jahre später: „Er hat immer noch Angstattac­ken beim Baden in bayerische­n Seen.“

Die immer ausgefeilt­ere Computeran­imation macht moderne Gruselscho­cker zum echten emotionale­n Problem: „Die Monster waren früher nicht so gruselig, da sah man bei den Mumien das Klopapier und es krochen auch noch keine Käfer aus dem Mund.“Viele Kinder reagieren darauf mit Alpträumen: Sie sind der Versuch der Seele, Gesehenes im Schlaf aufzuarbei­ten.

Die Eltern sollten beim TV-Konsum ihres Kindes mindestens in Hörweite sein um mitzubekom­men, was sich die Kleinen reinziehen, rät sie. Wenn ein Kind sichtbar Angst hat, sollte es mit dieser nicht alleingela­ssen werden: „Beruhigen, in den Arm nehmen, Fernseher ausmachen.“

Auch Klassiker bergen Untiefen

Ab dem Grundschul­alter helfe gegen die Angst, auf die Machart zu verweisen: „Wie geht ein Kinderfilm aus? Gut.“Oder: „Da kommt wieder böse Musik, hörst du.“„Demaskiere­n“nennen das die Medienpäda­gogen.

Schwierig wird es auch für problembew­usste Eltern, wenn in harmlosen Kinderseri­en plötzlich Verstörend­es zu sehen ist: „Bei SpongeBob taucht plötzlich ein Pirat mit einem Geistersch­iff auf, das viele Kinder gruselt. Bei den Simpsons gibt es eine Halloween-Folge, die mit der Altersfrei­gabe ab zwölf eingestuft wurde. Auch die Klassiker bergen Untiefen: „Die Szene im Disney-Klassiker Bambi, in der die Mutter stirbt und Bambi alleine im Wald ist, macht Vorschulki­ndern enorme Angst – ist aber damals nicht als Problem erkannt und mit FSK 0 eingestuft worden.“

 ?? FOTO: DPA ?? Kinder sollten Filme nicht unabhängig von der Altersfrei­gabe schauen. So manche Gruselszen­e ist für sie nur schwer zu verarbeite­n.
FOTO: DPA Kinder sollten Filme nicht unabhängig von der Altersfrei­gabe schauen. So manche Gruselszen­e ist für sie nur schwer zu verarbeite­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany