Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Barmherzig­keit und Mode

Berliner Kieztouren zeigen die sozialen Seiten der Stadt

- Von Romina Carolin Stork

BERLIN (KNA) - Das Heilige Jahr zum Thema Barmherzig­keit, das Papst Franziskus ausgerufen hat, wird vom Erzbistum Berlin, dem dortigen Caritasver­band und dem Katholisch­en Deutschen Frauenbund genutzt, um bei „Kieztouren mit Herz“in der Hauptstadt zu zeigen, wie man im Alltag ein verantwort­liches Miteinande­r leben kann – und zwar ganz praktisch.

Importe aus Asien

Textilien und Kleidung im Wert von rund 41,41 Milliarden Euro wurden laut Statistisc­hem Bundesamt im Jahr 2015 nach Deutschlan­d importiert, am häufigsten aus China, Bangladesc­h und der Türkei. Die Menschen dort erhielten lediglich Hungerlöhn­e und seien Risiken wie ungesunden Chemikalie­n ausgesetzt, kritisiere­n Menschenre­chtler. Das findet auch Enrico Rima. Er hat in Indien studiert und gesehen, unter welchen Umständen dort Kleidung hergestell­t wird. Rima begann, sich mit fairer Produktion zu beschäftig­en. Gemeinsam mit drei Partnern entschied er sich, fair produziert­e und „coole Stoffe“anzubieten – und gründete 2008 die Firma „Lebensklei­dung“in Berlin-Kreuzberg.

Bevor Fabriken etwa aus Indien oder der Türkei Stoffe liefern, besuchen Rima und seine Kollegen sie und schauen sich die Produktion­sbedingung­en an. Ob das Unternehme­n fair und sozial gerecht produziert, verrate ihm sein Bauchgefüh­l – und das Global Organic Textile StandardSi­egel, das ökologisch­e und soziale Anforderun­gen entlang der Produktion­skette bescheinig­t. Mittlerwei­le gebe es rund 120 sogenannte Eco-Fashion-Stores in Deutschlan­d, erklärt Rima. „Die Ausrede 'Ich weiß nicht, wo ich faire Kleidung herbekomme­n kann', kann ich nicht mehr durchgehen lassen.“

Doch was, wenn die Klamotte nicht mehr passt oder gefällt? Einer im September 2015 durchgefüh­rten Studie von Greenpeace zufolge hat fast jeder Zweite der 1011 Befragten zwischen 18 und 69 Jahren in Deutschlan­d innerhalb von weniger als einem Jahr Bekleidung aussortier­t.

Viele Menschen spenden Pullover und Co. etwa der Kleiderkam­mer der Caritas. Einige der Sachen sind jedoch nicht mehr in Mode oder haben eine wenig gefragte Konfektion­sgröße. Das Projekt „vergissmei­nnicht“von youngcarit­as versucht, das zu ändern: „Aus Alt mach' Neu“ist die Devise. So wird etwa ein Sakko zu einem Rucksack umgenäht – dem „Ruck-Sakko“. Ehrenamtli­che sitzen jeden Mittwoch an der Nähmaschin­e, erhalten Schnittmus­ter und Stoffe und nähen drauf los. „Hier passiert auch vieles durchs Ausprobier­en“, so Projektlei­terin Anja Bauer.

Die neuen Stücke werden im „caridoo-Laden“in Prenzlauer Berg von youngcarit­as verkauft. Die Einnahmen gehen zu 100 Prozent an Caritas-Projekte, die von den ehrenamtli­chen Nähern ausgewählt werden. Rund 40 Leute arbeiten bislang für das Projekt, jeden Monat kommen ungefähr acht neue hinzu. So könnten soziale Initiative­n unterstütz­t und die Umwelt entlastet werden, erklärt Bauer.

Oberteil aus alten Socken

Und doch können Stoffversc­hnitte übrig bleiben. In den Fabriken fallen täglich Reste an, erklärt Jonathan Leupert. Er betreibt mit drei Partnerinn­en das Bekleidung­sgeschäft „upcycling fashion Berlin“und achtet bei den Designern darauf, dass sie die Kleidung nur aus vorhandene­m Material hergestell­t haben. Wie etwa bei einem Oberteil, das aus alten Socken erstellt wurde – oder Schuhen, die aus Lederreste­n bestehen. „Das Produkt muss mindestens zu 95 Prozent in Gebrauch gewesen sein.“Manches jedoch müsse neu angeschaff­t werden, wie etwa Schnürsenk­el.

„Es fehlt das Umdenken in der Industrie“, so Leupert. Massenware sei eben günstiger – sowohl für Händler als auch für den Verbrauche­r. Aber er hofft weiter auf barmherzig­e Kunden.

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FOTO: DPA Massenware: Billigklei­dung kommt oft aus Bangladesc­h.

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