Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Pechstein unterliegt und provoziert mit Flüchtlingsvergleich
Die Eisschnellläuferin scheitert mit ihrer Klage vor dem Bundesgerichtshof und will nun vor das Bundesverfassungsgericht ziehen
KARLSRUHE (dpa) - Das Entsetzen stand Claudia Pechstein ins Gesicht geschrieben. Verbissen vernahm die Eisschnelllauf-Olympiasiegerin die Worte der Richterin im Bundesgerichtshof und verschwand aus dem Gerichtssaal. Der BGH hatte ihr die Möglichkeit verwehrt, vor deutschen Zivilgerichten Schadenersatz wegen ihrer ungerechtfertigten Dopingsperre zu verlangen.
Pechstein: „Jeder Flüchtling genießt Rechtsschutz, wir Sportler nicht“
Rund 50 Minuten zog Pechstein sich mit ihren Anwälten zurück, dann trat sie vor die TV-Kameras. „Jeder Flüchtling, der in Deutschland einreist und registriert wird, genießt Rechtsschutz, aber wir Sportler nicht“, beklagte die Berlinerin. In weniger als zehn Minuten hatte zuvor BGH-Präsidentin Bettina Limperg in ihrer Urteilsbegründung die Hoffnungen der 44-jährigen Polizeihauptmeisterin auf Schadenersatz in Millionenhöhe zerstört. „Im Gesamtbild ist der Internationale Sportgerichtshof CAS unabhängig und neutral. Er ist ein echtes Schiedsgericht“, begründete die Richterin in Karlsruhe, weshalb sich Athleten wie Pechstein in Streitfällen auch künftig der Sportgerichtsbarkeit unterwerfen müssen.
Die Revolution der Sportgerichtsbarkeit bleibt aus – Athleten können damit weiterhin nicht zwischen Sportschieds- und Zivilgerichten wählen. Das höchste deutsche Zivilgericht widersprach damit dem Oberlandesgericht München, das zuvor Pechsteins Klage angenommen hatte. Die Internationale EislaufUnion ISU war in Revision gegangen.
In sozialen Netzwerken sorgte Pechsteins provokanter Flüchtlingsvergleich umgehend für Diskussionen. Ihr Lebensgefährte Matthias Große stützte ihre Haltung: „Es gibt einfach keine Gleichbehandlung für Sportler. Jeder hat das Recht, vor ein Gericht zu ziehen: der Tischler, der Klempner, der Politiker – nur der Sportler nicht“, sagte er. „Wir sind tief enttäuscht. Der BGH hat die Bedeutung und die Tragweite der Grundrechte für Sportler völlig ignoriert“, meinte Pechsteins Anwalt Thomas Summerer. Er nannte das Gericht „mutlos“. „Das Urteil hat gezeigt, dass Sportler nur Bürger zweiter Klasse sind.“Pechstein selbst wurde sarkastisch: „Ich habe mich hier gefühlt wie vor dem Internationalen Sportgerichtshof. Ich hatte immer einen festen Glauben in die deutsche Justiz, der hat jetzt einen Dämpfer erhalten.“Der CAS sei „kein unabhängiges Gericht“, meinte sie und kündigte an: „Ich werde eine Sportlergewerkschaft gründen.“
Der Hintergrund des Streits: Internationale Hämatologen hatten den Nachweis geführt, dass Pechsteins Blutwerte nicht durch Doping, sondern eine vom Vater geerbte Blutanomalie hervorgerufen worden waren. Pechstein will deshalb Schadenersatz. Sie kündigte an, sich nun an das Bundesverfassungsgericht (BVG) zu wenden. Als Ohrfeige betrachtete Pechstein die BGH-Begründung, sie habe die Schiedsgerichtsvereinbarung freiwillig unterschrieben: „Das ist eine Farce.“Jeder wisse, dass ein Sportler nicht an internationalen Wettbewerben teilnehmen dürfe, wenn er die Athletenvereinbarung nicht unterzeichne.
Der Deutsche Olympische Sportbund begrüßte das Urteil aus sportrechtlicher Sicht. Der Rechtsweg über Schiedsgerichte sei in vollem Umfang bestätigt worden. „Unabhängig von der Entscheidung des BGH tut es uns für Claudia Pechstein persönlich leid, dass ihr langer Kampf um Schadenersatz vor deutschen Zivilgerichten nicht erfolgreich war“, heißt es in einer Erklärung. Die Nationale Anti-DopingAgentur nahm das Urteil „zur Kenntnis“. „Wir haben bereits unabhängig von dem Urteil die Rechte der Athleten im Schiedsverfahren deutlich gestärkt“, teilte die NADA mit. Sogar ISU-Anwalt Christian Keidel räumte ein, ein „Urteil in dieser Deutlichkeit“nicht erwartet zu haben. Vor dem BVG werde es „wahrscheinlich eine ähnlich intensive Schlacht werden, wie es bis jetzt der Fall war“.