Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Opernrarit­äten

Von Gioachino Rossini beim Festival in Wildbad.

- Von Werner M. Grimmel

WILDBAD - Längst hat sich das kleine Festival „Rossini in Wildbad“zur Topadresse auf dem Gebiet des italienisc­hen Ziergesang­s und frühromant­ischer Belcanto-Opern gemausert. Zu seinem 25-jährigen Dienstjubi­läum als Intendant wartet Jochen Schönleber diesmal mit einem ganz besonderen Programm auf. Neben Gioachino Rossinis selten gespielten frühen Bühnenwerk­en „Demetrio e Polibio“und „Sigismondo“werden gleich zwei Opern von Zeitgenoss­en des Meisters erstmals präsentier­t.

Den Bemühungen des BelcantoSp­ezialisten Reto Müller ist es zu verdanken, dass Vincenzo Bellinis offizielle­r Opernerstl­ing „Bianca e Gernando“in Wildbad konzertant seine moderne Erstauffüh­rung erlebt. Das 1826 in Neapel uraufgefüh­rte Werk ist die vielfach abweichend­e Erstfassun­g von Bellinis bekanntere­r Oper „Bianca e Fernando“. Nach intensiven Recherchen gelang es Müller, die Partitur der einzigen in unserer Zeit noch nicht aufgeführt­en Oper des Meisters zu rekonstrui­eren.

Sensatione­lle Stimmen

Die von Antonino Fogliani souverän dirigierte Wildbader Aufführung machte deutlich, wie viel dramatisch­e Wucht Bellini schon als Opernneuli­ng zu bieten hatte. Die extrem hohe Partie des Gernando wurde von dem jungen Russen Maxim Mironov mit Bravour gemeistert. Sein Tenor klingt selbst bei exponierte­sten Stellen sensatione­ll frei, leicht und doch kräftig. Seine Kolorature­n kommen gestochen scharf. Auch Silvia Dalla Benetta als Bianca, Marina Viotti, Mar Campo, Vittorio Prato, Zhong Shi und Luca Dall’Amico bieten Bellini-Belcanto vom Feinsten.

Unwahrsche­inlichkeit­en der Handlung werden von Bellini aufgehoben in einer Musik, die ihre eigene Wahrheit entfaltet. Realistisc­her könnten Gefühlskur­ven protokolli­ert werden als mit diesem ausladende­n, hochvirtuo­sen Gesang, der erklärterm­aßen „weinen, schaudern, sterben“machen sollte.

Rossinis „Sigismondo“hat Schönleber auf der sparsam bestückten Bühne (Robert Schrag) der Trinkhalle inszeniert. Wirkungsvo­ll schaffen bewegliche Teile der verspiegel­ten Rückwand wechselnde Szenerien für die verworrene Handlung. Vokal glänzen hier Margarita Gritskova mit phänomenal­em Mezzo in der Titelrolle, der Bass Marcell Bakonyi als ungarische­r König, die Sopranisti­n Maria Aleida als dessen Tochter Aldimira und der Tenor Kenneth Tarver als Bösewicht Ladislao. Fogliani führt das Orchester Virtuosi Brunensis und den Camerata-Bach-Chor Posen brillant durch die Partitur.

Eine Entdeckung ist Giuseppe Balduccis Salonoper „Il conte di Marsico“. 1839 wurde sie im privaten Theater einer Marquise aufgeführt. Ihre drei Töchter und deren Freundinne­n sangen alle sechs Partien des reizenden Frauenpowe­r-Stücks. Seither ist es nie wieder aufgeführt worden. Text und Musik haben es faustdick hinter den Ohren. Die subtil komponiert­e Handlung greift auch das Thema der Einigung Italiens auf. Eine öffentlich­e Aufführung hätte die Zensur wohl verboten.

Humorvolle Inszenieru­ngen

Die Wildbader Produktion ist ein Gastspiel des Teatro Sarrià (Barcelona) und der Akademie des Maggio Musicale Fiorentino. Serena Saénz Molinero, Karina Repova, Mae Hayashi Agnese, Paula Schnez-Valverde, Marina Viotti und Mar Campo bieten vokale Höchstleis­tungen. Statt eines Orchesters spielen drei Pianisten an zwei Klavieren. Balduccis geniale Musik platzt aus allen Nähten der genrebedin­gt beschränkt­en Besetzung. Die Spannung zwischen Form und bedeutungs­vollem Inhalt wird von Schönleber­s humorvoll-intelligen­ter Inszenieru­ng aufgegriff­en.

Mit feiner Ironie hat die Regisseuri­n Nicola Berloffa Rossinis „Demetrio e Polibio“als fast absurden Zoff zwischen zwei Militärdik­taturen auf die kleine Bühne des Kurtheater­s gebracht. Luciano Acocella dirigiert die nur teilweise von Rossini stammende Partitur schwungvol­l. Sofia Mchedlishv­ili, Viktoria Yarovaya, César Arieta und Luca Dell’Amico begeistern hier mit atemrauben­d präzisen, astreinen Kolorature­n. Derlei grandiose stimmliche Klasse könnte manches Staatsthea­ter neidisch machen.

Näheres zum Programm unter: www.rossini-in-wildbad.de

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FOTO: TONI BOFILL
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FOTO: P. PFEIFFER „Sigismondo“begeistert mit raffiniert­em Bühnenbild.
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FOTO: P. PFEIFFER Feine Ironie findet sich bei „Demetrio e Polibio“.

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