Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Negativzinsen für Sparer befürchtet
Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon kritisiert die EZB: Sie verschleppe Reformen und enteigne Sparer
RAVENSBURG (ben) - Die 409 deutschen Sparkassen werden die privaten Sparer der Bundesrepublik nicht unbegrenzt vor negativen Guthabenzinsen schützen können, sollte die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht mittelfristig ein Ende finden. Das sagte Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“. Wie lange man in der Lage sein werde, „gegen die Märkte zu arbeiten, kann heute niemand seriös einschätzen“.
RAVENSBURG - Seit vier Jahren vertritt der frühere bayerische Finanzminister Georg Fahrenschon als Präsident des Sparkassenverbandes die Interessen der 409 deutschen Sparkassen. In dieser Funktion ist der 48Jährige nicht nur wichtigster Lobbyist des größten Finanzverbundes der Republik, sondern auch der streitbarste Verteidiger des deutschen Sparers. Benjamin Wagener und Andreas Knoch sprachen mit dem Kritiker von EZB-Chef Mario Draghi über Negativzinsen, steigende Gebühren und die Renditesucht der Privatbanken.
Die Zinsen sind historisch niedrig. Warum sollten Bürger ihr Geld trotzdem zur Sparkasse bringen?
Ganz klar: Weil niedrige Zinsen Sparen noch wichtiger machen. Die Tatsache, dass es den Effekt von Zins und Zinseszins als Belohnung nicht mehr gibt, ändert nichts an der Herausforderung, dass jeder privat fürs Alter vorsorgen muss. Wenn man das erkannt hat, wird klar, dass die Herausforderungen eigentlich größer geworden sind: Ich muss heute umso mehr sparen, um den Wegfall von Zinsen zu kompensieren.
Das stimmt aber nur, solange die Sparkassen für Vermögen keine Negativzinsen berechnen. Dann könnte jeder Kunde sein Geld auch unterm Kopfkissen aufbewahren.
Das wäre eine sehr unsichere Art der Aufbewahrung. Die Sparkassen werden auch in Zukunft alles daran setzen, dass die Negativzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) den privaten Sparer nicht trifft. Wie lange wir alle aber in der Lage sein werden, gegen die Mechanismen der Märkte zu arbeiten, kann heute niemand seriös einschätzen. Das heißt, auch für Sparkassen kann irgendwann der Punkt erreicht sein, an dem sie reagieren müssen.
Können Sie sagen, wie viele Monate Sie den privaten Sparer noch vor negativen Zinsen schützen können, wenn die Zinsen so niedrig bleiben wie jetzt?
Nein, das kann ich nicht. Ich weiß aber aus vielen Gesprächen, dass die Sparkassen aus innerer Überzeugung gegen Negativzinsen für den privaten Sparer kämpfen. Dabei gehen sie bis an die Grenzen des Möglichen und nehmen auch schlechtere Ergebnisse in Kauf. Den Sparkassen geht es nicht anders als vielen Stiftungen, die heute keine Erträge mehr erwirtschaften, wenn sie sich strikt an ihre Anlageregeln halten.
Werden die Zusammenhänge nur in Deutschland wahrgenommen?
Uns muss klar werden, dass die Geldpolitik der EZB mit gefährlichen Nebenwirkungen einhergeht. Und diese Nebenwirkungen werden Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr in ihren Auswirkungen dramatischer. Je länger die EuroMitglieder im Süden des Kontinents ihre Hausaufgaben nicht machen und ihre Strukturen nicht in Ordnung bringen, weil sie sich preiswert weiter verschulden können, desto problematischer wird die Lage.
Auch die Sparkassen leiden an den niedrigen Zinsen. Das Zinsgeschäft ist die wichtigste Ertragssäule.
Unsere Ertragssituation ist erst einmal gut. Wir haben in den Sparkassen in den vergangenen fünf Jahren gemeinsam fast 20 Milliarden Euro an Reserven aufgebaut. Gleichzeitig machen wir mehr Geschäft; wir haben allein im vergangenen Jahr einen Zuwachs an Einlagen um fast fünf Prozent erlebt. Zusätzlich verzeichnen wir Rekordwerte bei der privaten Wohnungsbaufinanzierung und beim Unternehmenskredit. Das Geschäftsmodell, Einlagen aus der Region zu bündeln und für Wohnungsbau und unternehmerische Tätigkeiten in der Region wieder auszulegen funktioniert nach wie vor sehr gut.
In den vergangenen Jahren haben die Sparkassen viele Gebühren er- höht. Versuchen die Institute so die schwieriger werdende Erlössituation in den Griff zu bekommen?
Eine auf den Kunden abgestellte individuelle Beratung in allen Fragen rund um das eigene Vermögen kann nicht kostenlos sein. Wir betreiben von den Filialen über die Geldautomaten bis zur Ausbildung unserer Berater einen riesigen Service-Apparat, um jedem Kunden möglichst individuell und sachgerecht mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Wer heute noch der Meinung ist, seine Dienstleistungen kostenlos anbieten zu können, macht sich selbst und seinen Kunden etwas vor.
Sie werfen der EZB vor, sie habe sich in eine Sackgasse manövriert.
Die Zinsen sind nun fast ein halbes Jahrzehnt lang niedrig. Die erhofften Impulse, insbesondere in den südlichen Euro-Ländern, sind aber ausgeblieben. Die Politik des billigen Gelds hat eben nicht zu einer stärkeren Wirtschaft in Italien, Spanien, Portugal und Griechenland geführt. Man kann den Investoren noch so viel billiges Geld hinterhertragen, wenn das Arbeitsrecht, wenn das Investitionsrecht, wenn die Steuergesetzgebung, wenn das Vertrauen in ein funktionierendes Zusammenspiel der Institutionen vor Ort nicht gegeben ist, werden Unternehmen nicht investieren.
Was bedeutet das für die Risikobewertung?
Wir erleben gerade eine Verschiebung des Koordinatensystems. Früher hatte der Zins eine Signal- und Lenkungsfunktion für die Frage, was riskant und risikoreich ist. Das funk- tioniert nicht mehr – die Folge sind für den Anleger Verluste wie bei German Pellets oder Prokon. Früher hätte man gesagt, da werben Unternehmen mit 20 Prozent Rendite, da muss man vorsichtig sein, die sind hochgradig ausfallgefährdet. Heute stehen nur noch vier Prozent Rendite drauf, und man denkt, da wird schon nichts schiefgehen.
Was sollte die EZB tun?
Sie sollte den Mut haben, sich einzugestehen, dass sie mit ihrer Geldpolitik am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt ist. Wenn ich in einer Sackgasse bin, darf ich das Gaspedal nicht immer weiter durchtreten. Ich muss vielmehr den Rückwärtsgang einlegen und mich vorsichtig wieder hinausmanövrieren.
Was antwortet EZB-Chef Mario Draghi, wenn Sie ihn mit solchen Argumenten konfrontieren?
Mario Draghi zieht sich gerne auf das Argument zurück, dass er den Zins für die gesamte Eurozone, also für 19 Eurostaaten, festlegen, und dass er in diese Entscheidung die strukturelle Schwäche aller Eurozonenmitglieder mit einbeziehen muss. Ich antworte ihm dann, dass er aber nicht auf einem Auge blind sein darf. Denn wenn der niedrige Zins gleichzeitig in den größten Volkswirtschaften der Eurozone, also den Volkswirtschaften, die den Laden ziehen, die dortigen privaten Haushalte, die Kunden von Lebensversicherungen, die betrieblichen Altersvorsorgesysteme unter Druck setzt, kommt das gesamte System ins Schlingern. Diese gefährlichen Nebenwirkungen bewertet er mir zu gering.
Deutschland diskutiert die niedrigen Zinsen vor allem aus der Sicht der Sparer und stellt weniger die Vorteile heraus, die die Zinsen für Kreditnehmer mit sich bringen.
Auch die EZB argumentiert, dass der Häuslebauer doch Vorteile hat, weil sein Kreditzins so niedrig ist. Aber der Häuslebauer ist über die gesamte Gesellschaft nicht mit dem Sparer vergleichbar. Derjenige, der sich das eigene Haus leisten kann, hat eigenen Wohnraum, sorgt für sein Alter vor und löst gleichzeitig noch einen regionalen, wirtschaftlichen Impuls aus. Aber derjenige, der in einer Region mit anderen Preisen lebt oder einen Job hat, der noch nicht sofort zu einer Dreizimmerwohnung führt, der muss auch vorsorgen; dazu bedient er sich der klassischen Produkte wie Sparbuch oder Lebensversicherung. Dieser Sparer profitiert nicht von den Zinsen – er wird bestraft und muss die Lasten der EZBRettungspolitik tragen.
Die Politik der EZB scheint aber zu wirken, die Lage in der Eurozone hat sich beruhigt.
Die Politik der EZB hat uns Zeit gekauft. Sie hat es aber nicht geschafft, die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten zu Strukturreformen zu bewegen. Gerade jetzt ist in vielen Ländern das Vertrauen groß, dass die EZB auch weiter Zeit kaufen wird. In Frankreich, Spanien, Italien und Portugal muss man also gar nicht weiter mit aller Kraft an der Erledigung der Hausarbeiten arbeiten. Die nachfolgende Generation wird für diese Politik zahlen müssen. Es werden die bestraft, die Vorsorge betreiben und erfolgreich wirtschaften. Belohnt werden Schuldner und Hasardeure.
In praktischer Hinsicht würde das bedeuten, die niedrigen Zinsen kurz- bis mittelfristig wieder anzuheben?
Absolut. Wir müssen wieder erreichen, dass sich die Mitgliedsstaaten der EU mit den Kernfragen der Politik beschäftigen können. Wie organisiere ich meinen Sozialstaat? Wie organisiere ich meinen Arbeitsmarkt und mein Arbeitsrecht? Wie steuere ich Investitionen, Steuern und meine Haushaltspolitik? Das muss in jedem Mitgliedsland entschieden werden. Man darf sich nicht dauerhaft darauf verlassen dürfen, dass einen die EZB schon irgendwie rauspaukt.
Was wäre die Folge einer Zinsanhebung? Glauben Sie wirklich, dass das die ersehnten Strukturreformen auslösen würde?
Schon die Ankündigung, wieder eine Anhebung der Zinsen in Erwägung zu ziehen, würde das Signal senden, dass das Wasser eben nicht immer länger bergauf fließt. Das würde automatisch Folgedebatten auslösen und zu der Frage führen, welche Strukturen mit welcher Priorität verändert werden müssen. Momentan erleben wir auf europäischer Ebene eine Entpolitisierung mit dem Ansatz, irgendwie geht es schon weiter. Es ist ein „Muddling Through“, das Durchwurschteln auf hohem Niveau hat Methode – und zwar auf Kosten von Millionen von Sparern.
Das traditionelle Drei-Säulen-Modell prägt die deutsche Kreditwirtschaft – es gibt die Geschäfts- und Privatbanken, die Genossenschaftsbanken und die öffentlichrechtlichen Sparkassen. Sollte dieses Modell erhalten bleiben?
Ja, natürlich. In den vergangenen zehn Jahren haben wir erlebt, was die zwei starken Finanzverbünde, also der genossenschaftliche und der öffentlich-rechtliche, die beide stark auf die Region ausgerichtet und in ihr verankert sind, für riesige Vorteile haben. Sparkassen und Genossenschaftsbanken haben in der Krise mit ihrem risikoarmen und auf die Region ausgerichteten Geschäftsmodell die gesamte Volkswirtschaft stabilisiert. Gerade die mittelständischen Unternehmen brauchen einen Finanzpartner vor Ort.
Die Sparkasse – die gute Bank von nebenan im Gegensatz zu den renditegetriebenen Geldhäusern mit Weltmachtanspruch?
Ja, das ist so. Nehmen sie als aktuelles Beispiel nur die Zahl der Flüchtlingskonten. Deutschland hat im vergangenen Jahr eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Gemeinsam mit Städten und Gemeinden haben die Sparkassen mittlerweile über 250.000 Flüchtlingskonten eingerichtet, weil in manchen Regionen die Flüchtlingshilfe bargeldlos organisiert wird. Bei Privat- und Geschäftsbanken werden sie kaum Flüchtlingskonten finden. Das öffentlich-rechtliche System der Sparkassen maximiert den Nutzen für die Allgemeinheit und nicht die Rendite. Wir wollen keine zweistelligen Eigenkapitalrenditen, wir wollen eine stabile regionale Entwicklung.
Im Hinblick auf das Drei-SäulenModell hat man aber das Gefühl, dass Brüssel die Vorteile nicht verstehen will, oder?
Europäer neigen dazu, Kräften, die auf die Region ausgerichtet sind, die nicht von sich heraus sofort einen grenzüberschreitenden Impetus haben, skeptisch gegenüber zu stehen. Aber Sparkassen ziehen ihre Stärke aus der Begrenzung ihrer Geschäftstätigkeit auf die eigene Heimatregion. Trotzdem geben wir natürlich Menschen und Unternehmen Kredite für europäische Projekte. Wir unterstützen die öffentliche Hand bei europäischen Projekten, damit sind wir zutiefst europäisch.
Wie lange sind Sie noch Sparkassen-Präsident?
Ich bin sehr gerne Sparkassen-Präsident, diese Arbeit will ich fortsetzen. Ich glaube auch, dass es ein Vorteil ist, wenn wir in den Sparkassen, in den Regionalverbänden und auf nationaler und internationaler Ebene mit Personen agieren, die nicht nur für einige Jahre dabei sind. In unruhigen Zeiten ist Kontinuität hilfreich.
Vermissen Sie die Politik?
Ja und nein. Ich bleibe ja ein politischer Mensch, ich verfolge mit Spannung die Entwicklungen bei mir zu Hause und in den einzelnen Bundesländern, in Deutschland und in Europa. Aber die Aufgabe als Sparkassenpräsident ist nicht unpolitisch. Insoweit bin ich mittendrin statt nur dabei.