Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Regierung ohne Mehrheit
Weil die Politiker sich auf keine Regierungskoalition einigen konnten, mussten die Spanier im Juni erneut ein Parlament wählen. Selbst eine dritte Wahl binnen eines Jahres scheint nicht ausgeschlossen. Spanien ist nun seit mehr als 200 Tagen ohne eine gewählte Regierung. Der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy ist nur geschäftsführend im Amt. Die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Eurozone bekommt ihre Staatsfinanzen nicht in den Griff, weil die Regierung die – von der EU verlangten – Einsparungen und Steuererhöhungen nicht beschließen kann. Nach der konstituierenden Sitzung des Parlaments an diesem Dienstag will Rajoy der Hängepartie ein Ende setzen. In Spanien beginnen dann spannende Wochen. Bis Anfang August will Rajoy sich eine Mehrheit gesichert haben.
Rein rechnerisch käme auch der Chef der Sozialisten Pedro Sánchez bei einem Bündnis mit der Linkspartei Podemos (Wir können) und den liberalen Ciudadanos (Bürger) auf eine ausreichende Mehrheit. Anfang März war er jedoch kläglich mit dem Versuch gescheitert, eine solche Allianz zu schmieden. Ein neuer Vorstoß ist nicht geplant. Es gilt daher als sicher, dass König Felipe VI. in den kommenden Tagen Rajoy als Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten vorschlagen wird. Rajoys Volkspartei (PP) ist mit 137 von insgesamt 350 Sitzen die stärkste Kraft im Parlament, für die Regierungsbildung benötigt sie jedoch Partner.
Deutschland als Vorbild
Rajoys Wunsch ist die Bildung einer Großen Koalition nach deutschem Vorbild. Die Sozialisten erteilten den Konservativen jedoch eine scharfe Absage. Eigentlich will niemand mit Rajoy regieren. Die Liberalen erklärten sich zähneknirschend bereit, sich bei der Wahl des Regierungschefs der Stimme zu enthalten. Dies reicht aber nicht aus. Wenn Rajoy auch die Sozialisten zu einer Enthaltung bewegen kann, könnte er zum Ministerpräsidenten gewählt werden, aber er stünde dann an der Spitze einer denkbar schwachen Minderheitsregierung.
Verhandlungen über ein mögliches gemeinsames Regierungsprogramm wurden bislang nicht geführt. Die Chefs der Parteien agieren eher wie Pokerspieler, denen es darum geht, den Gegner auszustechen. „Wenn die Parteiführer es nicht schaffen, das Gespenst einer erneuten Parlamentswahl zu vertreiben, sollten sie allesamt abtreten“, empörte sich die angesehene Zeitung „El País“in einem Leitartikel.
Niemand will eine dritte Wahl, völlig auszuschließen ist sie nicht. In der Öffentlichkeit wurde bereits der 27. November als ein mögliches Datum genannt. Schon die Neuwahl am 26. Juni hatte niemand gewollt, aber das Fiasko der Politiker bei der Regierungsbildung ließ keinen anderen Ausweg. Es ist sogar folgendes Szenario denkbar anstatt einer dritten Wahl: Sollte Rajoy eine Kandidatur ablehnen, weil er im Parlament keine ausreichende Mehrheit hat, dann bliebe das Provisorium einer geschäftsführenden Regierung bis auf Weiteres bestehen. (dpa)