Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
In der Welt der vernetzten Maschinen
Siemens stellt eine eigene Plattform für das Internet der Dinge vor – Konzern hofft auf Milliardenmarkt
MÜNCHEN - Die Digitalisierung der Industrie steckt in weiten Teilen noch in den Kinderschuhen. Während etwa die Musikindustrie in den vergangenen 20 bis 30 Jahren einen tief greifenden Wandel von der Vinyl-Schallplatte hin zu den Streaming-Diensten durchlaufen hat, steht das Internet der Dinge in der Wirtschaft noch am Anfang. Siemens-Manager Peter Weckesser erwartet für die nächsten zehn Jahre jedoch einen dramatischen Wandel. Während heute erst 3,5 Prozent der Fabriken weltweit an eine „Internetder-Dinge-Plattform“, in der Maschinen miteinander kommunizieren, angeschlossen seien, würden es in zehn Jahren vermutlich 75 Prozent sein, sagte Weckesser in München. Nach einer Untersuchung der Beratungsgesellschaft Frost & Sullivan wird der Weltmarkt für industrielle Serviceleistungen bis 2021 um jährlich durchschnittlich sieben Prozent auf 125 Milliarden Dollar wachsen.
Siemens will einer der Treiber dieser Entwicklung sein. Der Technologie-Konzern hat dazu jetzt seine „Mind Sphere“, eine Cloud für die Industrie, vorgestellt.
Die als offenes System konzipierte Plattform erlaubt die digitale Verknüpfung von Maschinen unterschiedlicher Hersteller in einer Fabrik oder sogar in verschiedenen Fabriken weltweit. Die Idee dahinter: Es werden nicht mehr nur Produkte wie Maschinen verkauft, sondern ihre Betreuung über die gesamte Lebensdauer. Die Daten werden ständig analysiert, sodass etwa frühzeitig angezeigt wird, wann eine Wartung nötig ist, ein Verschleißteil ersetzt werden muss, Ersatzteile oder eine Servicekraft gebraucht werden. Das erlaubt einen effizienteren Einsatz von Maschinen, eine Minimierung von Ausfallzeiten und somit eine Erhöhung der Produktivität, erläutert Weckesser.
Siemens erwartet Konsolidierung
Siemens erwartet angesichts der hohen Komplexität dieser Lösungen, aber auch wegen der Notwendigkeit, die Leistungen den Kunden über viele Jahre anbieten zu müssen, eine Konsolidierung in der noch stark fragmentierten Branche. Außerdem dürften sich allmählich einheitliche Standards herausbilden. Hauptkonkurrenten von Siemens in diesem Sektor sind General Electric („Predix“), IBM und PTC („ThingWorx“).
Die Kosten des Siemens-Angebots für den Kunden richten sich nach der Zahl der angeschlossenen Maschinen und den transportierten Datenvolumina. Siemens-Manager Ralf Wagner geht von jährlich einigen Hundert bis zu einigen Tausend Euro pro Maschine aus. Wolfram Lohse, Manager beim Maschinenbauer Gehring aus Ostfildern bei Stuttgart, sieht in diesem Modell eine Möglichkeit, sich von Konkurrenten abzusetzen, den Kunden Mehrwert zu bieten und zusätzliches Geschäft zu generieren.
Laut Siemens ist auch der Datenschutz gewährleistet. Die Daten würden je nach Wunsch des Unternehmens entweder bei Cloud-Anbietern wie Amazon oder SAP gespeichert oder in Datenspeichern im eigenen Haus. Nach Einschätzung Weckessers sind Sicherheitsbedenken vieler Unternehmen gegen cloudbasierte Lösungen nicht berechtigt. SAP oder Amazon böten höhere Sicherheitsstandards. Auch deshalb habe Siemens darauf verzichtet, eigene Rechenzentren zu betreiben.
Von Anfang 2017 an sollen die „MindSphere“-Kunden über eine offene Schnittstelle auch eigene Apps für den Einsatz im Unternehmen entwickeln und auf der Plattform nutzen können. Kunden, die dies wünschen, sollen diese Apps künftig über App Store auch an andere Unternehmen verkaufen können.