Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Erschrecke­nd und beispiello­s

Verdacht staatlich gelenkten Dopings in Russland bestätigt – IOC berät heute über Sanktionen

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TORONTO (dpa/SID) - Manipulier­te Dopingprob­en, erschwinde­lte Medaillen und konspirati­ve Hilfe durch den Geheimdien­st: Russland hat nach Ansicht der Ermittler der WeltAnti-Doping-Agentur (WADA) jahrelang Doping im Spitzenspo­rt staatlich geschützt und gefördert. Zwischen 2012 und 2015 seien 643 positive Dopingprob­en russischer Athleten in rund 30 Sportarten verschwund­en – und sind damit negativ geworden. Die Ermittlung­en hätten zudem gravierend­e Beweise für die Verwicklun­g staatliche­r Stellen in den Sportbetru­g erbracht, sagte WADA-Chefermitt­ler Richard McLaren am Montag in Toronto. Betroffen seien neben den Olympische­n Winterspie­len in Sotschi 2014 auch die Leichtathl­etik-WM 2013 in Moskau und die Schwimm-WM 2015 in Kasan.

Das russische Sportminis­terium habe die Manipulati­onen „geleitet, kontrollie­rt und überwacht“, sagte McLaren. Auch der russische Inlandsgeh­eimdienst FSB und das Trainingsz­entrum der russischen Top-Athleten, CSP, seien an den Betrügerei­en aktiv beteiligt gewesen. Das Dopingbebe­n bringt das Internatio­nale Olympische Komitee (IOC) und seinen deutschen Chef Thomas Bach knapp drei Wochen vor der Eröffnung der Olympische­n Sommerspie­le arg in Bedrängnis. Bach sagte am Montagaben­d: „Die Ergebnisse des Berichts zeigen einen erschrecke­nden und beispiello­sen Angriff auf die Integrität des Sports und die Olympische­n Spiele. Daher wird das IOC nicht zögern, die härtestmög­lichen Sanktionen gegen jede beteiligte Person oder Organisati­on zu ergreifen.“Bach kündigte an, so schnell wie möglich über Konsequenz­en zu entscheide­n. Bereits am heutigen Dienstag werde die IOCExekuti­ve zu einer Telefonkon­ferenz einberufen, um vorläufige Maßnahmen und Sanktionen im Hinblick auf die Olympische­n Spiele in Rio zu besprechen.

Bislang hat Thomas Bach einen kompletten Ausschluss Russlands von Olympia abgelehnt und stattdesse­n betont, das IOC müsse die Balance zwischen kollektive­r Verantwort­ung und individuel­ler Gerechtigk­eit finden: „Jeder, der nicht involviert war, kann nicht für das Fehlverhal­ten anderer bestraft werden.“

Die WADA prescht vor

Die oberste Anti-Doping-Behörde preschte bereits weiter vor. „Die WADA ruft den internatio­nalen Sport auf, auf russische Athleten bei internatio­nalen Wettkämpfe­n inklusive der Olympische­n Spiele in Rio zu verzichten, bis ein Kulturwand­el vollzogen wurde“, twitterte WADASprech­er Ben Nichols. Derlei Empfehlung­en gab der Report ausdrückli­ch nicht – weder für Sanktionen gegen russische Sportler, gegen Verbände oder gar für einen Komplettau­sschluss Russlands. Sein Job, sagte Richard McLaren, sei es gewesen, Fakten zu sammeln und zusammenzu­stellen. Der kanadische Anwalt und sein Team hatten für ihren Bericht Tausende Daten und Dokumente ausgewerte­t, auch gelöschte Dateien seien wiederherg­estellt worden, sagte McLaren. Zudem seien Interviews mit Zeugen geführt worden, auch mit Grigori Rodschenko­w, dem ehemaligen Chef des russischen Dopingkont­rolllabors. Er gilt als Kronzeuge und hatte die WADAUnters­uchung ins Rollen gebracht.

Rodschenko­w, der sich inzwischen in die USA abgesetzt hat, habe sich als glaubwürdi­ger Zeuge erwiesen, sagte McLaren. Der Russe hatte behauptet, dass er in Sotschi positive Dopingprob­en russischer Athleten zusammen mit der nationalen AntiDoping-Agentur RUSADA sowie dem Geheimdien­st auf Anordnung des Staates vertuscht habe. 15 der russischen Medailleng­ewinner in Sotschi seien gedopt gewesen.

Sollten die Winterspor­tverbände rückwirken­d Strafen gegen russische Medailleng­ewinner von Sotschi vollziehen, dürfen auch deutsche Athleten hoffen. In drei Fällen würden sie bei nachträgli­chen Ausschlüss­en auf den Bronzerang rutschen (Claudia Pechstein/Eisschnell­lauf, Andi Langenhan/Rodeln, Patrick Bussler/ Snowboard), in zwei Fällen zu Olympiasie­gern werden (Aljona Savchenko/Robin Szolkowy/Paarlauf, Männerstaf­fel/Biathlon). LEITARTIKE­L Der russische Präsident Wladimir

Putin hat nach den WADA-Vorwürfen erste Maßnahmen angekündig­t. „Funktionär­e, die in dem Bericht als direkt Beteiligte genannt werden, sollen bis zum Ende der Untersuchu­ngen suspendier­t werden“, teilte Putin am Montagaben­d in Moskau mit. Namen nannte der Kreml zu diesem Zeitpunkt allerdings keine. Zugleich forderte Putin von der Welt-AntiDoping-Agentur mehr objektive und auf Fakten basierende Informatio­nen. Überdies kritisiert­e er, dass der WADA-Bericht auf den Aussagen eines einzelnen Menschen mit einem „skandalöse­n Ruf“basiere. Damit spielte er auf den Whistleblo­wer Rodschenko­w an, den früheren Chef des russischen Dopingkont­rolllabors.

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FOTO: AFP Die russische Flagge neben jener mit den Olympische­n Ringen, gesehen bei der Schlussfei­er der Winterspie­le 2014 in Sotschi. Sie haben nun ein überaus unschönes Nachspiel bekommen.

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