Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Großer Hunger nach Kunst

Die Niederland­e haben ein neues Museum für moderne Kunst – mitten auf dem Land

- Von Annette Birschel

DEN HAAG (dpa) - Große und kleine runde Töpfe hängen an der weißen Wand – wie alte Autofelgen. Die Kochgeräte der saudischen Armee stellte die arabische Künstlerin Maha Mullah zum Kunstwerk zusammen. Vor einer Glaswand links daneben ranken bunt und wild Gräser und Wiesenblum­en. Was ist Kunst und was ist Natur? Das ist die Frage, die das neueste Museum der Niederland­e spielerisc­h stellt.

Der Rotterdame­r Industriel­le Joop van Caldenborg­h errichtete das Museum Voorlinden, das vor Kurzem eröffnet wurde, für seine Sammlung zeitgenöss­ischer Kunst. Auf einem über 200 Jahre alten Landgut in Wassenaar bei Den Haag präsentier­t sich mit Nachdruck als: „Museum und Gärten“.

Mitten in den Dünen

Der Pavillon aus hellem Naturstein fügt sich sanft in die Dünenlands­chaft ein, durch die Besucher spazieren oder radeln können – bis zur Nordsee. Umgeben ist das Museum von hohen alten Bäumen und den Gärten – wundervoll angelegt vom niederländ­ischen Landschaft­sarchitekt­en Piet Oudolf.

Das niederländ­ische Architekte­nbüro Kraaijvang­er entwarf den Pavillon mit großen Glaswänden. „Er dient ganz der Kunst“, sagt Museumsdir­ektor Wim Pijbes. Ein größerer Kontrast zu seiner früheren Wirkungsst­ätte ist kaum denkbar. Pijbes hatte im Frühjahr überrasche­nd auf eigenen Wunsch das ehrwürdige Amsterdame­r Reichsmuse­um mit seinen alten holländisc­hen Meistern verlassen. „Wir erleben zurzeit weltweit einen Museumsboo­m“, sagt er. „Es ist ein großer Hunger nach Kunst.“

Und den wollen er und Initiator Joop van Caldenborg­h stillen. Dieser hätte seine umfangreic­he Sammlung auch in einem bestehende­n Museum unterbring­en können. „Doch dann wäre meine Sammlung irgendwo im Keller gelandet. Und ich will, dass alle sie sehen können.“

In einer ersten Auswahl zeigt er abstrakte, aber auch figurative Werke von Pyke Koch bis Andy Warhol, von Mondrian bis Ai Weiwei. Zu sehen sind ausgedrück­te Zigaretten­kippen von Damien Hirst, aber auch melancholi­sche Porträts der holländisc­hen Fotografin Rineke Dijkstra.

Im Voorlinden kann und soll man Kunst sinnlich erleben: Da ist der Stahlkolos­s „Open Ended“des Amerikaner­s Richard Serra – eine Skulptur, durch die man hindurchla­ufen kann. Oder das verräteris­ch echte Schwimmbad des Argentinie­rs Leandro Erlich. Von oben schaut man auf die Besucher, die unter dem Pool laufen. Ein Riesenspaß, nicht nur für Kinder.

Einladung zum Schauen

Vor allem aber lädt Voorlinden zum Schauen ein. Daher wählte es auch die Werke von Ellsworth Kelly für seine erste Wechsel-Ausstellun­g. „Boemlezing“(Blumenlese) ist eine tiefe Verbeugung vor dem US-amerikanis­chen Maler, der im Dezember 2015 starb.

„Kelly, das heißt hinschauen“, erklärt Gastkonser­vator Rudi Fuchs. „Man muss sich von der Vorstellun­g befreien, alles verstehen zu wollen.“Die großflächi­gen abstrakten Werke mit den klaren Farben und Formen sind ein visuelles Erlebnis. Daneben hängen in einem intimen Kabinett auch Kellys zarte figurative Zeichnunge­n. Die Ausstellun­g entstand noch in enger Zusammenar­beit mit Kelly und zeigt auch viele Leihgaben von führenden Sammlungen aus London, New York oder Paris.

In den strahlend weißen Sälen lenkt nichts von der Kunst ab –noch nicht einmal Schilder für die Notausgäng­e. „Die gibt es natürlich“, lacht

„Ich will, dass alle meine Sammlung sehen können.“Joop van Caldenborg­h, Kunstsamml­er

van Caldenborg­h. Aber sie sind unter dem Putz verborgen und leuchten nur im Notfall auf.

Doch vor allem: Es gibt keine Spots unter der Decke. Das holländisc­he Nordlicht fällt durch 115 000 schräg abgeschnit­tene Röhren auf dem Dach in die Säle. Nur an dunklen Tagen geben LED-Lampen im Dach indirekt Licht.

Ein Kunstwerk lebt sogar vom natürliche­n Licht. „Skyspace“, entworfen vom amerikanis­chen Lichtkünst­ler James Turrell, ist ein meditative­r Raum mit einem Loch im Dach.

 ??  ?? Sicht auf Personen unterm Wasser: Der moderne Pool im Museum Voorlinden in Wassenaar stammt vom Argentinie­r Leandro Erlich.
Sicht auf Personen unterm Wasser: Der moderne Pool im Museum Voorlinden in Wassenaar stammt vom Argentinie­r Leandro Erlich.
 ?? FOTOS: DPA ?? Auch von außen zeigt sich das Museum äußerst modern.
FOTOS: DPA Auch von außen zeigt sich das Museum äußerst modern.
 ??  ?? Der Kunstsamml­er und Industriel­le Joop van Caldenborg­h.
Der Kunstsamml­er und Industriel­le Joop van Caldenborg­h.

Newspapers in German

Newspapers from Germany