Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Offene Fragen
Die türkische Moscheegemeinschaft Ditib verweigert sich einer öffentlichen Debatte und bleibt einer Veranstaltung mit Cem Özdemir (Grüne) in Ulm fern
ULM - Enttäuschung breitet sich unter den 350 Zuhörern aus: Sie sind an diesem Dienstagabend ins Ulmer „Haus der Begegnung“gekommen, weil sie Fragen haben. Viele Fragen, die der türkische Imam Israfil Polat aus Ulm, der grüne Parteichef und Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl, Cem Özdemir, zusammen mit einem bosnischen Imam und einem evangelischen Pfarrer diskutieren sollen. So ist es angekündigt.
Kritik an Präsident Recep Tayyip Erdogan, Fragen zum Demokratieverständnis des Islam, die Inhaftierung der aus Ulm stammenden Journalistin Mesale Tolu, die brutal ausgetragene Konkurrenz verschiedener türkisch- und kurdischstämmiger Rockergruppen: In Ulm gäbe es derzeit genug strittige Themen, zu deren Klärung der Imam der größten Moscheegemeinde der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) in Südwestdeutschland beitragen könnte. Doch zwischen den Ulmer Ditib-Vertretern, die erst kürzlich die Unterschrift unter die „Ulmer Erklärung für ein Zusammenleben in Frieden und Respekt der türkeistämmigen Ulmerinnen und Ulmer“verweigert hatten, und der Öffentlichkeit herrscht derzeit Funkstille.
Darum ist am Dienstagabend niemand wirklich erstaunt, dass Polats Platz auf dem Podium leer bleibt. „Die Themen waren zu politisch“, begründet Polat am Mittwoch im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“sein Fernbleiben, „darum konnte ich nicht teilnehmen, das war meine Entscheidung.“Ganz anders sehen das die Veranstalter des Abends: „Offensichtlich gibt es einen Maulkorb, den die Kölner Ditib-Zentrale verhängt hat.“Polat gelte als gut ausgebildeter Geistlicher und geschätzter Gesprächspartner, der nicht öffentlich reden dürfe. Noch vor einem Jahr war die Situation in Ulm gänzlich anders. „Unser Ziel als Türkisch-Islamischer Kulturverein Ulm ist es, Musliminnen und Muslimen einen Ort zur Ausübung ihres Glaubens zu geben und einen Beitrag zur Integration zu leisten“, sagte damals Olgun Altug, seinerzeit Sekretär der Ditib-Moscheegemeinde, der „Schwäbischen Zeitung“. Doch weder am Dienstag noch am Mittwoch sind Altug oder andere Vorstandsmitglieder zu erreichen, auch ist Altugs Name aus der Liste der Vorstandsmitglieder verschwunden. „Viele gemäßigte Ditib-Leute sind nicht mehr aktiv“, erklärt der grüne Spitzenkandidat Özdemir. Ganze Vorstände seien plötzlich ausgetauscht worden, Geistlichen wie Israfil Polat werde der Auftritt durch Erdogan-Getreue verboten.
Entsprechend scharf ist die Forderung, die Özdemir im Gespräch mit dem Fernsehsender RegioTV aufstellt: „Das Wichtigste ist, dass der größte Verband der Muslime aus der Türkei, Ditib, sich loslöst von Ankara und zu einer inländischen Organisation wird. Das ist nicht einfach, weil Herr Erdogan den Anspruch hat, seine Schäfchen auch in Deutschland zu kontrollieren. Da muss man ihm deutlich machen: Das sind nicht seine Schäfchen, sie sind Teil unserer Gesellschaft.“Und im Interview mit Radio 7 legt er nach: „Wir sollten uns unsere Einheit nicht kaputt machen lassen. Egal was in der Türkei passiert, die Probleme hier müssen wir hier lösen. (...) Der lange Arm von Erdogan hat in Deutschland nichts verloren.“
Kurzzeitig sauer
Mit solchen Thesen macht sich Özdemir naturgemäß unter ErdoganAnhängern keine Freunde. Entsprechend angespannt schauen die drei Bodyguards, die Özdemir begleiten, in den Saal des Ulmer „Hauses der Begegnung“, als sich der GrünenChef plötzlich mächtig aufregt. Özdemir („Ausgerechnet Sie als Türke!“) habe mit der Armenien-Resolution sein Land verraten, provoziert ein Fragesteller den grünen Spitzenpolitiker. In der Wortwahl erinnert der Mann an türkische Nationalisten. Özdemir keilt zurück: „Lieber bekomme ich gar keine Stimme von den Türken, als dass ich die ArmenienResolution zurücknehme.“Im Juni 2016 hatte der Bundestag auch auf Özdemirs Betreiben hin eine Resolution beschlossen, die die Gräuel an den Armeniern im Osmanischen Reich vor 100 Jahren als „Völkermord“einstuft. Özdemir, im schwäbischen Bad Urach als Sohn türkischer Eltern geboren, wird kurzzeitig sauer. Mit der Resolution gehe es nicht darum, mit dem Finger auf die heutige Türkei zu zeigen, sagte der GrünenPolitiker. Es gehe darum, „die eigene Schuld für das Versagen des damaligen deutschen Kaiserreichs im Jahre 1915 endlich einzuräumen“.
Die Gräben in Ulm zwischen Deutschen und Türken, unter den Türken und zwischen Türken und Angehörigen anderer Nationen sind tiefer als gedacht. Zwar spricht Elis Schmeer, die Leiterin der Koordinierungsstelle Internationale Stadt Ulm, weiter von einer „positiven Zusammenarbeit“mit Ditib. Doch nicht nur an diesem Abend bleibt die Frage offen, ob die Vertreter der Ditib-Moscheegemeinde dies genauso sehen.