Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Iraks Kurden trotzen allen Widerständen
Am nächsten Montag stimmen Millionen Wähler in einem Referendum darüber ab, ob die kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak ihre Unabhängigkeit ausrufen sollen. Seit Jahrzehnten träumt die Mehrheit der Kurden im Nordirak von einem eigenen Staat. Kurden-Präsident Massud Barsani nutzte die vergangenen Monate, um das Vorhaben voranzutreiben. Mit dem zu erwartenden militärischen Sieg der irakischen Regierungskräfte gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS) sieht er die Zeit endlich gekommen.
Doch so groß der Traum der Kurden ist, so massiv fällt auch der Widerstand dagegen aus. Derzeit vergeht kein Tag, an dem die Kurden nicht gedrängt werden, das Referendum abzusetzen oder zumindest zu verschieben. Vor allem die irakische Zentralregierung in Bagdad wehrt sich gegen die Abstimmung. Sie verstoße gegen die irakische Verfassung, wetterte Ministerpräsident Haidar al-Abadi. Die Angst vor einem Zerfall des gesamten Irak spielt dabei eine zentrale Rolle. Vizepräsident Nuri al-Maliki kündigte an, ein „zweites Israel“nicht dulden zu wollen. Einer der wichtigsten Anführer der mächtigen schiitischen Milizen, Hadi al-Amiri, warnte sogar vor einem Bürgerkrieg zwischen irakischen Arabern und Kurden.
Die Türkei, die eigentlich ein gutes Verhältnis zur Kurdenführung im Nordirak pflegt, hält das Referendum ebenfalls für einen „falschen Schritt“, der seinen Preis haben werde, wie Ankara drohte. Der andere große Nachbar der Kurden, der Iran, gehört zu den schärfsten Gegnern einer Abspaltung vom Irak, weil er wie die Türkei Auswirkungen auf die kurdische Minderheit im eigenen Land befürchtet.
Besonders schwer wiegt die Kritik der USA, wichtigster Partner der nordirakischen Kurden, nicht zuletzt im Kampf gegen den IS. Das Weiße Haus kritisierte die Pläne der Kurden als „provokant und destabilisierend“. Washington treibt vor allem die Sorge um, der Streit um eine kurdische Unabhängigkeit könnte den Kampf gegen die IS-Dschihadisten behindern, der für die USA absolute Priorität hat.
Mit diesem starken Widerstand scheint es unwahrscheinlich, dass die Kurden bald tatsächlich einen eigenen Staat ausrufen werden, selbst wenn die Zustimmung beim Referendum überwältigend ausfallen sollte. Rechtlich bindend ist die Abstimmung ohnehin nicht.
Doch Präsident Barsani, dessen Karriere sich mit 71 Jahren dem Ende zuneigt, dürfte es um etwas anderes gehen. „Er will die Präsidentschaft nicht aufgeben, ohne den Grundstein für einen unabhängigen Staat gelegt zu haben“, sagt Michael Knights vom Washington Institute for Near East Policy.
Die Basis für einen eigenen Staat wurde schon vor mehr als zwei Jahrzehnten gelegt. Lange litten die Kurden im Nordirak unter der Brutalität des irakischen Diktators Saddam Hussein. Vor allem der Giftgasangriff auf die Stadt Halabdscha 1988 hat sich in das kollektive Gedächtnis der Kurden eingebrannt. 1991 errichteten die USA zum Schutz vor Saddams Truppen eine Flugverbotszone im Nordirak, eine eigenständige Kurdenregion entstand. Mittlerweile genießen die kurdischen Autonomiegebiete viele Rechte eines Staates.