Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
„Ein guter Wahlkämpfer muss eine gute Show bieten“
Politikexperte Gordon Carmele im Interview über den Wahlkampf zur Bundestagswahl
WEINGARTEN - Wenn am Sonntag der neue Bundestag gewählt wird, haben die Kandidaten anstrengende Wochen und Monate hinter sich gebracht. Dabei haben die Direktkandidaten in der Region ganz unterschiedliche Strategien verfolgt. Doch was macht einen guten Wahlkampf aus? Gordon Carmele vertritt seit dem Sommersemester 2017 die Professur für Politikwissenschaft und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Weingarten. Im Interview mit Oliver Linsenmaier spricht er über die verschiedenen Möglichkeiten, den Wähler zu überzeugen, hebt die Bedeutung des Wahlkampfes hervor und erklärt, warum die beiden großen Parteien kaum Politprominenz zur Unterstützung in die Region geholt haben.
Der Wahlkreis Ravensburg gilt für die CDU historisch betrachtet als „sicherer“Wahlkreis. Kommen die CDU-Spitzenpolitiker in diesem Jahr deswegen nicht zum Wahlkampf in die Region, weil sie an anderen Orten dringender als Unterstützung „gebraucht“werden?
Wenn man die Ergebnisse des Wahlkreises Ravensburg und seines Vorgängers bis 2005 des Wahlkreises Ravensburg-Bodensee betrachtet, dann scheint die Sache doch ziemlich eindeutig. Die CDU hat den Wahlkreis seit 1949 stets gewonnen und Andreas Schockenhoff konnte bei der letzten Wahl sogar mehr als jede zweite Stimme gewinnen. Damit könnte die Wahl schon entschieden sein, die CDU stellt einen neuen Kandidaten auf und Axel Müller zieht in den Bundestag ein. Müller hat in seinem Wahlkampf auch auf große Namen verzichtet und vor allem versucht, die Menschen vor Ort zu erreichen und sich damit persönlich bekannt zu machen. Dabei hat er entweder bewusst auf die Aufmerksamkeit bekannter Persönlichkeiten verzichtet, abgesehen von den Veranstaltungen mit Jens Spahn und Günther Oettinger, und auf seine Person und Partei vertraut. Oder die Partei schätzt den Wahlkreis als sicher ein und konzentriert die Ressourcen auf Regionen, wo ein knapperer Ausgang erwartet wird. Diese Rechnung könnte aufgehen, sicher ist das allerdings nicht.
Fast alle Spitzenpolitiker der Grünen zeigen dagegen sehr viel Präsenz in der Region.
Bei den vergangenen Landtagswahlen haben die Grünen in den Wahlkreisen der Region beachtliche Erfolge erzielen können, so gewann Manfred Lucha den (nicht deckungsgleichen) Landtagswahlkreis Ravensburg vor dem CDU-Kandidaten. Die Grünen wollen nun die Erfolge auf Landesebene auch auf Bundesebene fortsetzen und haben mit Kretschmann, Özdemir und Lucha Auftritte mit Führungspersonal im Wahlkreis gehabt. Es wird sich zeigen, ob diese Rechnung am Ende aufgeht oder ob die Wähler zwischen den Grünen Kretschmanns auf Landesebene und den Grünen auf Bundesebene unterscheiden.
Warum sind Wahlkampfauftritte wichtig?
Wahlkampfauftritte sind für unsere Demokratie wichtig und erfüllen mit Blick auf verschiedene Wählergruppen ganz unterschiedliche Funktionen. Die Kandidaten können sich, ihre Themen und ihre Position innerhalb ihrer Partei bekannt machen. Außerdem kann durch sie das eigene Wählerpotential aktiviert werden. Es wäre ja geradezu fatal, wenn die Wähler einer Partei am Wahltag zuhause bleiben, weil sie davon ausgehen, dass ihre Partei die Wahl ohnehin gewinnt. Innerhalb der Partei erzeugen die Wahlkampfauftritte eine gute Stimmung, die die Mitglieder motiviert, einen engagierten Wahlkampf zu führen. Durch die sinkende Zahl der sogenannten Stammwähler, die ihr Kreuz immer bei der gleichen Partei machen, hat die Bedeutung der Überzeugung von Wechsel- und un- entschlossenen Wählern zugenommen. Der Wahlkampf und die Berichterstattung der Medien lenken auch insgesamt die Aufmerksamkeit der Bürger auf die Wahl, was aus demokratischer Sicht zu begrüßen ist.
Wie beeinflusst so ein Auftritt die Wähler?
Die Wirkung von Wahlkampfauftritten ist je nach Zuhörer unterschiedlich. Einen Stammwähler kann er in seiner Entscheidung bestätigen und ihn ermutigen, auch in seinem Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis für die Positionen und Personen der Partei einzutreten. Bei einem unentschiedenen Wähler kann eine Wahltendenz durch einen Wahlkampfauftritt gestärkt oder abgeschwächt werden. Bei Gegnern, die Veranstaltungen durch Geschrei oder Pfiffe nur stören wollen, wir es in den vergangenen Wochen bei Auftritten der Kanzlerin mehrfach erlebt haben, überdenken ihre Meinung auch bei einem guten Auftritt nicht.
Macht der klassische Wahlkampf auf dem Marktplatz noch Sinn?
Wahlkampf findet nach wie vor auf den Marktplätzen und an den Informationsständen der Parteien statt, das sieht man deutlich, wenn man die Wahlkampftermine der Kandidaten im Wahlkreis Ravensburg betrachtet. Diese Auftritte hatten beachtliche Zuhörerkreise. Sie bilden nunmehr aber nur eine von mehreren Säulen, der Wahlkampf wird auch im Radio, Fernsehen und Internet ausgetragen.
Wie erreicht man die Wähler am effektivsten?
Im Fernsehen gehörten das Duell von Merkel und Schulz sowie das Duell der kleinen Parteien zu den wichtigsten Terminen des Wahlkampfes. Das Kanzler-Duell wurde von fast jedem zweiten Fernsehzuschauer an diesem Abend verfolgt. Hinzu kamen die Fragerunden der Spitzenkandidaten mit Bürgern sowie zahllose regionale und überregionale Diskussionsrunden, an denen sich die Parteien mit ihrem Personal beteiligten, worüber dann auch in der Presse berichtet wurde. Eine weitere Wahlkampfarena befindet sich im Internet, hier zeigen sich die Parteien in den sozialen Netzwerken und treten mit den Wählern in Kontakt. Inzwischen werden dafür erhebliche Teile des Wahlkampfbudgets investiert. Der Auftritt der Bundeskanzlerin bei Youtube hat in diesem Bereich Aufmerksamkeit erhalten und auch bei Facebook und Twitter kann man mit den Parteien und Kandidaten in Kontakt treten.
Demnach hat sich der Wahlkampf schon verändert.
Die Wahlkämpfe sind vor allem vielfältiger geworden, die Parteien versuchen die Wähler auf verschiedenen Wegen zu erreichen und von jung bis alt zu allen vorzudringen. Dabei können die Sozialen Medien auch für ein sinkendes Interesse vor Ort sorgen, wenn der Bürger seine Frage eben nicht mehr auf einer Wahlkampfveranstaltung den Kandidaten stellt sondern sich über die Sozialen Medien lieber direkt an die Kanzlerin wendet. Das bedeutet dann ja nicht, dass das Interesse insgesamt sinkt, sondern nur, dass zusätzlich andere Kanäle zur Verfügung stehen. In diesem Sinne gibt es für die Parteien nicht mehr den einen sondern viele Wege zu den Wählern.
Was macht einen guten Wahlkampfauftritt aus?
Ein guter Wahlkämpfer punktet mit seinen Argumenten und trifft dabei auch die Bedürfnisse seiner Zuhörer. Dazu muss auch der Rahmen stimmen, er muss eine gute Show bieten und seine Zuhörer unterhalten. Das Eingehen auf Fragen bietet die Chance, auf die Interessen der Anwesenden einzugehen und das Risiko, andere Teile des Programms nicht vorstellen zu können, schließlich ist die Zeit bei solchen Auftritten begrenzt. Später treten die Redner mit den Zuhörern in Kontakt und inzwischen gehören natürlich auch einige Selfies mit ihnen zum Pflichtprogramm.
Ein Online-Dossier zum Thema finden Sie unter www.schwaebische.de/ bundestagswahl-rv2017