Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Erdogan will in seiner Partei aufräumen
D● er türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan räumt in seiner Regierungspartei AKP auf – und wie: Alte Kampfgefährten wie der Istanbuler Oberbürgermeister Kadir Topbas müssen gehen und werden durch Erdogan-treue Politiker ersetzt. Auch die AKP-Bürgermeister anderer Großstädte sollen auf der Abschussliste stehen.
Mit dem Feldzug gegen die eigene Partei will Erdogan das Superwahljahr 2019 vorbereiten, von dem sein eigenes politisches Schicksal abhängt. Beobachter sehen beim Präsidenten Zeichen der Panik. „Er macht Fehler auf Fehler“, sagt der Journalist und AKP-Kenner Rusen Cakir.
In zwei Jahren werden in der Türkei die Kommunalparlamente, die Volksvertretung in Ankara und der Präsident neu gewählt. Erst mit einer Bestätigung im Amt 2019 wird Erdogan sein Ziel der Durchsetzung weitreichender Vollmachten für sich selbst erreicht haben. Doch der knappe Ausgang des Verfassungsreferendums vom April hat dem Präsidenten vor Augen geführt, dass sein Sieg in zwei Jahren alles andere als sicher ist. Insbesondere in den Großstädten wenden sich die Türken von der AKP ab. Die bevorstehende Gründung einer neuen rechtskonservativen Partei unter der früheren Innenministerin Meral Aksener könnte die Situation für die AKP noch schwieriger machen.
Deshalb zieht Erdogan die Zügel an. Er spricht von „Materialermüdung“und der Notwendigkeit einer Erneuerung in der AKP, die seit 15 Jahren regiert. Bei einer Parteiklausur betonte der Präsident jetzt, in den Rathäusern werde es „Veränderungen“geben. Die Partei soll ganz auf Erdogan zugeschnitten werden, alle Machtzentren außerhalb des Präsidenten und Parteichefs werden ausgeschaltet. Die AKP-Bürgermeister von Istanbul und Düzce, Topbas und Mehmet Keles, mussten bereits den Hut nehmen. Auch Melih Gökcek, seit 1994 Bürgermeister in Ankara, ist auf seinem Posten womöglich nicht mehr sicher.
Grassierende Korruption
Mit der Entlassung der Bürgermeister will Erdogan nicht nur die beim Referendum sichtbar gewordenen Stimmenverluste für die AKP stoppen. Er will den Wählern zeigen, dass er etwas gegen die grassierende Korruption in den AKP-regierten Kommunen tut. Edip Ugur, AKP-Bürgermeister der Stadt Balikesir, drohte laut Medienberichten, wenn auch er gehen müsse, werde er publik machen, von welchen Firmen die AKP Gelder eingesammelt habe.
Das Vorgehen gegen die „Materialermüdung“täuscht eine Dynamik in der Regierungspartei vor, die es nicht mehr gibt, sagen Beobachter. Die AKP ist zu einem ErdoganWahlverein erstarrt. In ihren ersten Jahren warb die Regierungspartei mit einer Vision von Demokratie, konservativen Werten und Wirtschaftswachstum sowie mit einer fähigen Führungsmannschaft. Heute herrscht Erdogan allein, im Land gilt der Ausnahmezustand, und die Justiz macht Jagd auf Regierungsgegner jedweder politischer Couleur.
Dabei geht es für Erdogan in zwei Jahren um alles oder nichts. Bei der Präsidentenwahl braucht er in der ersten Runde mehr als 50 Prozent der Stimmen, ein Ziel, von dem er und die AKP derzeit weit entfernt sind. In einer zweiten Wahlrunde könnten sich andere Parteien auf einen Konsenskandidaten einigen und Erdogan besiegen – ein Alptraum für die Regierungspartei.