Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Gute Fahrt, John-Boy!
Der Blue Ridge Parkway – längste Panoramastraße der USA – schlängelt sich durch die Heimat der „Waltons“
W● er schnell vorankommen will, ist falsch auf dieser Straße. Nichts geht über 45 Meilen pro Stunde auf dem Blue Ridge Parkway. Und es herrscht Überholverbot – auf den nächsten 755 Kilometern. Die längste Panoramastraße der USA verströmt dabei eine leicht divenhafte Aura. Schon am nördlichen Startpunkt Rockfish Gap, drei Autostunden südwestlich von Washington D.C., signalisiert sie: „Ich bin ein gepflegter Parkway, kein Highway! Verschwitzte Trucker lasse ich nicht in meine Nähe.“
Tatsächlich haben Brummis auf dem Blue Ridge Parkway nichts zu suchen. Die zweispurige Straße unterliegt der Nationalparksverwaltung, da sie den Shenandoah National Park in Virginia mit dem Great Smoky Mountains National Park in North Carolina verbindet. Ebenso untersagt sind Werbeplakate am Straßenrand, es gibt weder Neon-Reklamen noch Burger-Buden, selten Tankstellen und kaum Hotels.
Dafür Natur pur. Im Frühjahr scheint die Blütenpracht der Rhododendren und Azaleen förmlich zu explodieren. Im Sommer herrscht tiefes Grün in den Hügeln und Tälern. Dichte Wälder und Efeu-Decken bilden dann eine Art Schiebedach. Rund 1300 Pflanzen- und 100 Baumarten wachsen entlang der kurvenreichen Strecke. Sie inszenieren einen unvergleichlich prächtigen Herbst: Indian Summer überall, feurig leuchtend mit allem, wozu sich Laub verfärben kann, von quittengelb bis weinrot. Dann gibt es schon mal Stau auf dem Blue Ridge Parkway. „Leafer Traffic“nennen die Einheimischen den Andrang der Besucher, welche die Laubverfärbung aus heruntergekurbelten Autofenstern bestaunen.
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme
Gebannt von seiner Arbeit war auch Stanley Abbott, der Chefplaner der Panoramastraße. Der Landschaftsarchitekt bekannte mal in einem Interview, nie wieder habe er etwas Schöneres und Kreativeres machen dürfen als den Blue Ridge Parkway zu bauen, damals mit gerade mal 25 Jahren. 1935 ging’s los, bald nachdem US-Präsident Franklin D. Roosevelt den Auftrag gegeben hatte. Inmitten der Great Depression sollte die Straße als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die arg gebeutelte ländliche Region dienen. Gleichzeitig sollte sie besser ans vorhandene Straßennetz angebunden werden.
Ein 1928er-AA-Ford-Pritschenwagen stoppte damals abrupt am Straßenrand. So beginnt die dritte Staffel der in den Blue Mountains angesiedelten TV-Erfolgsserie „Die Waltons“. Die Doppelfolge „Blutsbande“handelt davon, wie Familien entlang der Strecke für den Bau des Blue Ridge Parkways umgesiedelt wurden. Auch die Waltons werden gedrängt, das mit eigenen Händen aufgebaute Holzhaus zu verlassen. Es kommt zur Schießerei, bei der John-Boy Walton, ältester Sohn in der Großfamilie, verletzt wird.
Diese und andere Episoden kann nacherleben, wer vom Parkway einen Abstecher ins 40 Minuten entfernte Städtchen Schuyler macht zum Walton’s Mountain Museum. Hier lebt die Serie weiter in Fotos und Requisiten, die in den 1970erJahren ebenso populäre wie kreuzbrave TV-Familie mit Sägemühle, sieben Kindern und immer gleichem Folgenfinale: „Gute Nacht, JohnBoy!“
Zurück auf dem Blue Ridge Parkway beginnt bei James River eines seiner atemberaubendsten Teilstücke. In nur 15 Meilen geht’ durch Pinienwald steil hoch auf 1200 Meter. Der höchste Blue-Ridge-Punkt Virginias heißt passenderweise „Apple Orchard“– Selbstpflücken erwünscht!
Von nun an balanciert der Parkway auf schmalem Grat. Auf dem Asphalt sind immer wieder fette, schwarze Bremsstreifen zu sehen. Wie Tattoos prangen sie in den Kurven und zeugen davon, dass manch Fahrer vor lauter Wow-Panorama die Straße aus den Augen verloren hat und fast in die kniehohe Begrenzungsmauer gekracht wäre. Also lieber einen der rund 300 AusguckPunkte ansteuern!
Am Great Valley Overlook zum Beispiel. Niemand spricht, denn alle sind ergriffen von den Blue Mountains, nach denen der Parkway benannt ist. Eine Bergkette ohne schroffe Zacken-Silhouette, sondern mit lieblichen, runden und dicht bewaldeten Bergkuppen, die – oft in bläuliche Nebel-Milch getaucht – wie hintereinander geschobene Theaterkulissen wirken.
Fast konspirativ dann der Austausch von lohnenswerten Zielen am Weg. Helen und Barry in ihrem froschgrünen Jaguar von 1970 empfehlen Little Switzerland, von seinen Bewohnern so getauft, weil die Berge drum herum angeblich aussehen wie schweizerische Alpen. Kaum ist das Florida-Rentner-Pärchen weg, erzählt Harley-Fahrer John, er wolle in die entgegengesetzte Richtung zum Waltons-Museum. „Gute Fahrt, John-Boy“, rufen seine Motorradkumpels spöttisch.
Ab dem zweiten Tag ist man eingefahren auf dem Parkway, hat sich dessen Kurven-Rhythmus angepasst. Rechts und links der Straße ließ Planer Abbott alle damals modernen Gebäude abreißen, denn entlang des Parkways wollte er ein „Museum traditioneller amerikanischer Landschaft“schaffen – etwa durch Restaurierung alter Gebäude wie der Mabry Mill beim Meilenstein 175. Die verwitterte Wassermühle von 1903 ist heute ein kleines Restaurant und eines der beliebtesten Fotomotive.
Bei Cumberland Knob und Meilenstein 217,5 quert der Parkway die Grenze von Virginia nach North Carolina. Hier begann der Bau im September 1935, gut dokumentiert im Visitor Center, einem von insgesamt 13 entlang der Strecke. Schon 1941 tuckerten eine Million Besucher über die bis dahin fertigen Teile der Panoramastraße und kürten sie zu „America’s Favourite Drive“, ein Lob, mit dem der Parkway noch heute wirbt. Mehr als 20 Millionen Besucher sind auf ihm alljährlich unterwegs.
Komplett fertig wurde der National Scenic Byway allerdings erst 1987, nach 52 Jahre währenden Rechtsstreitigkeiten. Damals fügten Bauarbeiter bei Meilenstein 302 das letzte Teilstück am Linn Cove Viadukt ein. Die Gegend ist reich an Freizeitangeboten. Am Gipfel des 1818 Meter hohen Grandfather Mountain warten die wackelige und höchste Hängebrücke der USA sowie Mildred, eine betagte Braunbären-Dame im Tierpark. An Ziplines saust man eingehakt an Seilen durch den Wald. Und beim Whitewater-Rafting in Boone wird garantiert jeder nass.
In North Carolina überrascht der Parkway dann doch noch mit etwas, das in Virginia nur einmal vorkommt: Tunnel! 26 sind es bis zum Endpunkt, aber meist so kurz, dass Panoramafans nicht lange leiden müssen. Auf sie wartet kurz vor Schluss der Richland Balsam bei Meilenstein 432. Der mit 1843 Metern höchste Punkt am Blue Ridge Parkway bietet noch einmal einen atemberaubenden Rundumblick, diesmal in die Great Smoky Mountains.
Die Gegend sollte man möglichst gegen Sonnenuntergang ansteuern, den schönsten der ganzen Strecke gibt’s bei Waterrock Knob (Meilenstein 451). Eilige erleben ihn am Parkplatz, Genießer stapfen den steilen, gut eine Meile langen Pfad durch Brombeer- und Heidelbeergestrüpp hoch zum Ausguck, wo die Berggipfel im abtauchenden Sonnenlicht eine zackige Silhouette bilden.
Der Blue Ridge Parkway startet bei Rockfish Gap im Bundesstaat Virginia und endet nach 755 Kilometern bei Oconaluftee in North Carolina. Weitere Informationen: www.blueridgeparkway.org
Das Walton’s Mountain Museum in Schuyler ist von März bis November täglich von zehn bis 16 Uhr geöffnet. Informationen: www.waltonmuseum.org