Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Abgeschobener Afghane wird nach Panne zurückgeholt
Bundesamt muss 23-Jährigen zurück nach Deutschland holen
STUTTGART (tja) - Weil es eine wichtige Information zu langsam bearbeitet hat, muss das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) einen 23-Jährigen, der abgeschoben wurde, aus seiner Heimat Afghanistan nach Deutschland zurückholen. Das hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen nun entschieden. Das Bamf hatte übersehen, dass der Mann gegen die Ablehung seines Asylantrags geklagt hatte. Bevor über eine solche Klage nicht entschieden ist, darf niemand abgeschoben werden. Grüne Abgeordnete forderten Konsequenzen.
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STUTTGART - Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) muss einen 23-jährigen Afghanen nach Deutschland zurückholen. Das hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen am Dienstag entschieden. Wegen Pannen wurde der Mann zu Unrecht nach Bulgarien und von dort nach Afghanistan abgeschoben.
Am Mittwoch bestätigte sein Anwalt Markus Niedworok entsprechende Berichte der „Südwest Presse“. Demnach wurde Hasmatullah F. im Frühjahr in Bulgarien von der Polizei festgenommen. Nach dem sogenannten Dublin-Abkommen gilt: Asylbewerber müssen in jenem EUStaat ihren Asylantrag stellen, in dem sie die EU betreten. Offenbar stellte der 23-Jährige auch in Bulgarien einen solchen Antrag. Damit war seine Einreise in die EU dokumentiert.
Klage nicht registriert
Danach ließ ihn die Polizei frei, er schlug sich nach Deutschland durch und lebte in Tübingen in einer Flüchtlingsunterkunft. Im Juni stellte er einen Asylantrag. Das Bamf lehnte ab, weil Bulgarien zuständig sei. Sein Anwalt legte Widerspruch ein. Das Verwaltungsgericht muss dem Bamf mitteilen, wenn eine solche Klage eingeht. Solange die nicht entschieden ist, darf der Asylbewerber nicht abgeschoben werden.
Genau da geschah der erste Fehler. Die Information über die Klage ging unter. „Die Bearbeitung der beteiligten Behörden führte durch Verkettung von Umständen im vorliegenden Fall dazu, dass die aufschiebende Wirkung der Klage nicht berücksichtigt werden konnte“, teilte das Bamf am Mittwoch mit. Deshalb ordnete es die Abschiebung nach Bulgarien an. Das Regierungspräsidium Karlsruhe organisiert die Rückführung. „Wir leisten da nur Amtshilfe und vollziehen Entscheidungen des Bamf“, sagte ein Sprecher des Innenministeriums am Mittwoch.
In Bulgarien unter Druck gesetzt
Zurück in Bulgarien saß Hasmatullah F. erneut in Haft, offenbar unter unzumutbaren Bedingungen. „Davon hören wir aus zuverlässigen Quellen immer wieder“, sagt Sean McGinley vom baden-württembergischen Flüchtlingsrat. Die Polizei in Bulgarien setze Gefangene unter Druck. So auch Hasmatullah F. Dieser berichtete dem „Schwäbischen Tagblatt“, die Polizisten hätten ihn gezwungen, Papiere zu unterschreiben: „Vier Polizeibeamte haben mich geschlagen.“Später wurde er in seine Heimat abgeschoben – in den Augen der bulgarischen Behörden eine „freiwillige Ausreise“. Das teilten sie dem Bamf mit.
Für McGinley beginnt der Skandal jedoch bereits in Deutschland. „Laut Gesetz dürfen Menschen nicht in Länder abgeschoben werden, in denen ein faires Asylverfahren grundsätzlich nicht garantiert ist“, so McGinley. „Das ist in Bulgarien offensichtlich der Fall.“Diese Einschätzung teilt der Tübinger Bundestagsabgeordnete Chris Kühn (Grüne): „Es gibt schon einige Gerichte, die sich für ein Verbot von Abschiebungen nach Bulgarien eingesetzt haben.“Er will den Fall zum Anlass nehmen, auf europäischer Ebene Druck auf Bulgarien zu machen und faire Verfahren zu fordern.
Aus Sicht der Verwaltungsrichter in Sigmaringen folgte im Herbst die zweite Panne. Mittlerweile hatte F.s Anwalt interveniert. Das Verwaltungsgericht beschloss am 21. September: Der junge Afghane müsse unverzüglich zurück nach Deutschland gebracht werden, bis zur Entscheidung über sein Verfahren. Das Bamf buchte einen Flug für den Asylbewerber, jedoch erst für den 9. Oktober. „Das ist nicht unverzüglich“, so Anwalt Niedworok.
Zum Rückflug kam es nicht. Die Nachrichten aus Bulgarien wertete das Bamf ebenfalls als freiwillige Ausreise. Damit war die Sache für die Behörde erledigt. „Aus meiner Sicht ist das keine freiwillige Ausreise. Nach den Schilderungen meines Mandaten wurde er mit Gewalt und ohne Dolmetscher zur Unterschrift unter die Dokumente gezwungen“, kritisiert Niedworok.
Es fehlt an Personal
Der grüne Landtagsabgeordnete Daniel Lede Abal wandte sich in der Sache an Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU). „Die Landesbehörden können in dem Fall nicht wirklich etwas dafür. Es ist ein Problem des Bamf “, lautet sein Fazit. Die Behörde sei überlastet. „Ich erwarte, dass man den Fehler korrigiert.“Wie das gehen soll, ist unklar. Zwar muss das Bamf den Mann zurückholen. Doch Hasmatullah F. hat nach eigenen Angaben keine Ausweispapiere, weil diese noch beim Bamf lägen. Er ist in Afghanistan untergetaucht. „Wir haben telefonisch Kontakt, aber er fürchtet, das die Taliban ihn verfolgen“, sagte Flüchtlingshelfer Andreas Linder am Mittwoch.
Am 21. Dezember wollen die Richter in Sigmaringen entscheiden, ob er ein Recht auf ein Asylverfahren in Deutschland hat. Dabei müsste Hasmatullah F. aber nicht anwesend sein, sein Anwalt kann ihn vertreten.