Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Heiliges Wasser, imposante Gipfel
Eine Wanderung in den Drakensbergen, dem Dach Südafrikas, steckt voller Überraschungen
● uide Jacob Mofokeng ist tief in ein Erste-Hilfe-Buch vertieft, als seine Wandergruppe ihn am Eingang zum Royal-Natal-Nationalpark trifft. In dem kleinen Wachhaus am Rande des Schutzgebiets feuern zwei Bulleröfen gegen die Morgenkälte an. Kein Wölkchen verhüllt den markanten Kegel des Sentinel, mit 3165 Metern einer der höchsten Gipfel der Drakensberge.
Jacob legt das Buch zur Seite, begrüßt die Gruppe und erklärt die Tour für eröffnet. Bedächtigen Schrittes geht er auf einem schmalen Pfad voran. Der 52-Jährige wirkt mit den gepflegten braunen Wildlederschuhen, dem grünen Arbeitsanzug und der gelben Plastiktüte als einzigem Wandergepäck nicht unbedingt so, als wollte er einen Berg besteigen. Doch genau das hat er vor ...
Schon nach wenigen Kehren formiert sich ein weites Bergpanorama mit tief eingeschnittenen Tälern, Stauseen, Wasserfällen und unzähligen Gipfeln. Hin und wieder poltern Steine in die Tiefe, wenn eine Herde
GPaviane grunzend übers Gestein jagt. Überall rauscht, plätschert, rieselt Wasser vom Regen der vergangenen Nacht. Kurz vor einem steilen Felskamin zur Hochebene kommt der Gruppe ein Pärchen entgegen. Die beiden haben auf dem Gipfel gezeltet und schwärmen vom Gewitter und der darauffolgenden sternenklaren Nacht.
Dann kippt das Wetter, Nebel hüllt die Wanderer ein, nur das Gras zu ihren Füßen ist noch zu erkennen. „Hört ihr das Tosen?“, fragt Jacob. Wenige Meter neben dem Weg stürzen die Tugela Falls in fünf Stufen in den Abgrund, mit rund 940 Metern der zweithöchste Wasserfall der Erde. Der Guide tastet sich über die rutschigen Steine an den Fluss und füllt seine leere Flasche. „Heiliges Wasser“, versichert er, das er seiner Familie mitbringen möchte.
Durch ein Labyrinth aus Trampelpfaden und Tierspuren geht es weiter über das Plateau. Einmal müssen Hirten in der Nähe sein, ihre Pfiffe schallen durch das Nichts. Später erklingen Stimmen. Schemenhaft sind zwei Wanderer zu erkennen, dann zieht der Nebel den Vorhang wieder zu.
Schließlich stoppt Jacob an einer Felskante. Hier baumeln die legendären „Chain Ladders“über dem Abgrund, zwei mehr als 30 Meter lange, eiserne Leitern, eine mit großen breiten Griffen, die andere ohne Hilfsmittel. Das Ende der Leitern ist nicht zu sehen – sie hängen an einem gewölbten Bergrücken. Schritt für Schritt tasten sich alle abwärts, hin und wieder schwankt die Leiter im Wind – bei diesem Nebel ein echtes Abenteuer.
Der ideale Ausgangspunkt für diese Wanderung ist die Witsieshoek Mountain Lodge, die mit 2300 Metern höchstgelegene Unterkunft im Norden der Drakensberge. Das Land, auf dem sie steht, gehört der Batlokoa-Gemeinde, deren Chief hier schon 1950 eine Steinhütte für Wanderer errichten ließ. Die heutige Lodge wurde 20 Jahre später in die wilde Berglandschaft gebaut. Erst kürzlich wurde sie modernisiert, neue Chalets bieten vom Schlafzimmer einen Blick auf den Sentinel. Ein Teil der Einnahmen fließt an die Batlokoa, die auch einen Großteil des Personals stellen.
Dem ältesten Mitarbeiter gebührt das Privileg, den morgendlichen Futterplatz für die Bartgeier vorzubereiten. Witsieshoek liegt im Revier dieser gewaltigen Aasfresser, die traditionell mit Knochenresten aus der Küche gefüttert werden. Rund eine Stunde lang kreisen zwei der seltenen Vögel über dem „Place of Vultures“, bis sie sich trotz der Zuschauer durchringen, das Geschenk anzunehmen.
Nur wenige Kilometer nordöstlich von Witsieshoek erstreckt sich der Golden Gate Highlands National Park. Gelb und rot leuchtende Berge säumen die Strecke, dazwischen erstreckt sich weites, unberührtes Grasland. Eine Landschaft, von der schon Nelson Mandela schwärmte: „Wenn ich hier bin, fühle ich mich frei. Hier können sich meine Gedanken entfalten, ganz so wie der endlos erscheinende Horizont.“
Heimat des Basotho-Volks
Auch die Siedler, die sich in diesen Tälern niederließen, waren beeindruckt von den rötlich-gelben Felstoren, die wie steinerne Wächter über dem Tal thronen. Raubtiere sucht man vergeblich, dafür tummeln sich hier viele Antilopen: Weißschwanzgnus, Blessböcke und Kronenducker, Elenantilopen, Rote Kuhantilopen, Steinböckchen, Oribi, Springböcke und Rehantilopen.
Innerhalb der Highlands befindet sich auch das Basotho Cultural Village, ein Freilichtmuseum über die Kultur und Lebensweise des Basotho-Volkes. Junge Guides führen in die aufwendig bemalten und liebevoll eingerichteten Häuser. Man kostet Hirsebier, sieht beim Stampfen des Maises zu, lässt sich vom traditionellen Heiler die Knochen für einen Blick in die Zukunft werfen und lauscht den schrägen Klängen der Musiker.
Zurück in der Berglodge, erleben wir, wie sich der Tag mit einem Naturspektakel verabschiedet: Schwarze Wolkenfetzen treiben über den Himmel, dazwischen flackern die Strahlen der letzten Abendsonne. Im Tal zucken im Sekundenrhythmus Blitze. Dann setzt der Donner ein, ein ohrenbetäubendes Grollen, gefolgt vom Regen, der unablässig aufs Dach prasselt. Eine reinigende Machtdemonstration der Natur, damit der Sentinel morgen endlich ganz frei ist.
Anreise: Die nördlichen Drakensberge sind sowohl vom Großraum Johannesburg als auch aus Richtung Durban erreichbar (jeweils rund vier Stunden Autofahrt). Veranstalter: Abendsonne Afrika bietet individuell buchbare Reisepakete nach KwaZulu-Natal und in die Drakensberge (www.abendsonneafrika.de). Weitere Angebote bei der Best of Travel Group (www.botg.de) und Umfulana (www.umfulana.de). Auskunft: South African Tourism, www.dein-suedafrika.de.