Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Trumpelstilzchen
Elfriede Jelinek liefert mit „Am Königsweg“das Stück zum Thema „Trump“– Uraufführung war am Hamburger Schauspielhaus
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HAMBURG - In der Nacht, als Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde, begann sie zu schreiben. Der Text ist wie immer fast 100 Seiten lang. Viel wichtiger ist aber: Elfriede Jelinek nimmt nicht nur den narzisstischen Clown in der Schaltzentrale der immer noch mächtigsten Nation der Welt ins Visier. Sie fragt sich selbst und uns alle, warum wir so blind sein konnten, das wir das nicht haben kommen sehen. Die Uraufführung von „Am Königsweg“am Hamburger Schauspielhaus war dann ausgerechnet an dem Abend, als das Sturmtief Herwart den Norden Deutschlands zerlegte.
Im Theater selbst bemerkte man nichts von den gewaltigen Naturkräften draußen vor der Tür. Wie denn auch, verfolgte man doch gebannt einen Wüterich vorne auf der Bühne: Benny Claessens, der mit seiner wuchtigen Schauspielkunst in den Bann zog. Kurz nach der Pause und nach mehr als zwei Stunden holt er dann zum längsten Trump-Monolog des Abends aus und tut das so wunderbar enthemmt, dass man ihm am liebsten zurufen würde: „Oh du fülliges Trumpelstilzchen“. Claessens rumpelt wie ein Derwisch über die Bühne, wenn er nicht gerade mit einer Weltkugel wie Chaplin in „Der große Diktator“tänzelt oder vorne an der Rampe ziemlich direkt das Publikum anmacht. Draußen fällt ein Orkan Bäume, vorne auf der Bühne tobt ein Orkan in Richtung Zuschauer: „Ich beschuldige Sie der alleinigen Urheberschaft an dieser Krise, und ich fürchte, Sie werden auch an der Zerstörung der kulturellen Ordnung teilnehmen, oh, Sie haben sich schon dafür angemeldet, wie ich sehe, der Kurs beginnt gleich.“
Mächtig in Bild und Wort
Wie auch schon in ihrem fulminanten Text zur Finanzkrise „Die Kontrakte des Kaufmanns“nimmt Elfriede Jelinek nicht nur die Finanz- und Politjongleure der Welt auseinander, sie dreht den Spiegel um und entlarvt sich selbst sowie uns alle. Donald Trump ist neben vielem ein rechtslastiger Fremdenhasser. Wie aber steht es mit uns, fragt sie, und bringt es mit Blick auf den braven Menschen aus der Mitte auf dem Punkt: „Stock und Hut, stehen ihm gut, ja, Hass und Wut auch“. Es ist offensichtlich, dass die Nobelpreisträgerin mit ihrem neuesten Text einmal mehr die meist gespielte Autorin der Saison sein wird.
Für die Hamburger Uraufführung von „Am Königsweg“zuständig war Falk Richter und das ist alleine deshalb bemerkenswert, weil der nicht nur zum ersten Mal einen JelinekText inszeniert, sondern ebenfalls ein prominenter und dem politischen Diskurs verpflichteter Theaterautor ist. Richter wartet mit einer derart opulenten Flut von Bühnenrequisiten wie griechischen Säulen, gekrönten Löwen, einem goldenen Pferd und projizierten Bildern zum Weltgeschehen auf, dass man den Eindruck hat, er habe der Sprachmächtigkeit Jelineks eine maßlose Bildmächtigkeit der Bühne entgegensetzen wollen. Richter pointiert aber auch, was bei Jelinek schon immer eine zentrale Rolle spielt: die griechischen Mythen. In diesem Fall muss Ödipus ran, der, blind für seine Herkunft, den eigenen Vater tötet, dessen Königsthron besteigt und die Witwe des von ihm Ermordeten ehelicht, also seine eigene Mutter. Für Jelinek ist das Urbild der europäischen Kultur- und Geistesgeschichte ein Sinnbild für unsere eigene Blindheit angesichts des Weltgeschehens.
Gespielt wird das am Hamburger Schauspielhaus von Matti Krause, Anne Müller, Tilman Strauß und Julia Wieninger. Sie sitzen wie mythische Gestalten mit blutigen Augenbinden an einem Diskurstisch und sprechen Jelinek-Text. Eine Einzelfigur und Stellvertreterin Jelineks ist Ilse Ritter, eine der großen Schauspielerinnen aus einer Zeit, da die Autoren noch Botho Strauß hießen. Ilse Ritter spricht hoch tönend und verletzlich jene Textpassagen, in denen Elfriede Jelineks Selbstbefragung sowie Zweifel an der Macht des Wortes sich Bahn brechen. Falk Richter inszeniert das ganz pur mit einer Schauspielerin an der Rampe, die ist, was sie ist: eine Sprechdiva aus einer anderen Zeit.
Frage nach unserem Verhalten
Krass dagegen gesetzt ist Idil Baydar, die in Gestalt der türkischen Kunstfigur Jilet Ayse die Comedy-Szene aufmischt. Baydar sitzt im hautengen Glitzeranzug schon mal oben in einer Loge von Deutschlands größtem Schauspielhaus, blickt ironisch auf die Theatergemeinde und stellt die zentrale Frage des Abends: „Was machen eigentlich Menschen mit richtig viel Zeit, die sich wertlos fühlen?“Man ist beim wütenden weißen Mann aus dem wilden und arbeitslosen Westen der USA gelandet, aber auch beim deutschen Rumpelstilzchen und der ungeklärten Frage, wie wir uns alle verhalten angesichts der Flüchtlinge aus Afrika und dem ziemlich nahen Osten. Stichwort: Familiennachzug.
Nach knapp vier Stunden lassen Elfriede Jelinek und Falk Richter die Zuschauer dann aber doch ziehen. Was bleibt sind ungelöste Fragen wie: Was will uns der Titel des Abends „Am Königsweg“eigentlich sagen? Da wäre aber auch noch dieses Gefühl, Zeuge eines unausgereiften, aber dennoch großen Theaterabends gewesen zu sein.
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