Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Islamwissenschaftler setzt auf Bildung
Infoabend an der Akademie liefert keine schnell wirkenden Rezepte gegen die Radikalisierung Jugendlicher
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WEINGARTEN - Wie lässt sich verhindern, dass radikale Islamisten Jugendliche für ihre kruden Ideen gewinnen und als Kämpfer für die Kriegsregionen im Nahen Osten oder Terroranschläge in Europa rekrutieren? Der Verein Inkultura versuchte bei einem Informations- und Diskussionsabend in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Weingarten darauf eine Antwort zu geben. Schnell wirkende Mittel gegen eine solche Radikalisierung hatte auch der Gastredner von der Uni Tübingen nicht parat.
Bereits zum wiederholten Mal hatte Professor Abdemalek Hibaoui, der nicht nur an der Uni lehrt, sondern auch in Reutlingen als Immam predigt, auf dem Martinsberg seine Vorstellungen von einem friedlichen und toleranten Islam dargelegt. Der Koran belege in vielfacher Weise, dass der Religionsgründer Mohamed eine friedliche Koexistenz der verschiedenen Religionen gewollt habe. Die Suren, auf die sich radikale Moslems berufen, müssten in ihrem historischen Kontext betrachtet und vor allem korrekt übersetzt werden, betonte der Gast:
„Wenn ich das in meinen Predigten darlege, bekommen viele Jugendliche große Augen, weil viele von ihnen nur die stark verkürzten und daher unzulässigen Übersetzungen kennen, die zudem noch völlig aus dem Zusammenhang gerissen sind.“Gegen Radikalisierung helfe nur Bildung. Doch die gefährdeten Jugendlichen suchten ihre Informationen über den Islam nicht in der Moschee, sondern im Internet oder bei Gleichaltrigen. Abdemalek Hibaoui plädierte daher für einen verpflichtenden Religionsunterricht, damit die Kinder und Jugendlichen ihre religiöse Bildung nicht ausschließlich in dubiosen Koranschulen erhalten.
Aufklärung im Gefängnis
Die Ausbildung solcher Religionslehrer steckt aber noch in ihren Anfängen, auch an der PH Weingarten. Die Lehrerinnen und Lehrer, die zu dieser in Zusammenarbeit mit dem Demokratiezentrum Baden-Württemberg organisierten Veranstaltung gekommen waren, hatten sich konkretere Antworten auf die Frage erhofft, wie sie mit muslimischen Schülern umgehen sollten, die keinerlei Respekt vor Angehörigen anderer Religionen zeigen. Darüber sollte eigentlich der zweite Referent des Abends reden, Mathieu Coquelin vom Demokratiezentrum BadenWürttemberg. Doch er hatte auf der Fahrt nach Weingarten einen Verkehrsunfall und musste daher absagen. Joachim Sauter, Leiter des örtlichen Demokratiezentrums und Geschäftsführer des Kreisjugendrings Ravensburg, bot den Schulen an, kompetente Referenten für Veranstaltungen zu vermitteln: „Wir unterstützen alle, die mit Jugendlichen arbeiten“, versicherte Sauter.
Den salafistischen Verführern könne man nur Bildung und Aufklärung entgegensetzen, betonte der aus Marokko stammende Islamwissenschaftler der Uni Tübingen. Daher gingen er und seine Mitstreiter auch in die Gefängnisse, um aufklärerische Seelsorge bei den straffällig gewordenen Muslimen zu betreiben. Überall findet sich Toleranz. Bei genauer Betrachtung unterscheiden sich seiner Überzeugung nach die ethischen Werte der drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam nicht wesentlich. Überall finde sich das Gebot der Nächstenliebe und Toleranz. Gewalt sei Muslimen nur in Form von Selbstverteidigung gestattet. Das ergebe sich auch aus jenen Suren des Korans, die in der späten Lebensphase Mohammeds entstanden sind, also in einer Zeit, als er sich im Kriegszustand befand.
Christen nicht überall verfolgt
Christliche und jüdische Gemeinden, so der Gastredner weiter, stünden keineswegs in allen muslimisch dominierten Ländern unter Verfolgungsdruck.
Allein in Marokko lebten 25 000 Christen verschiedener Konfessionen friedlich mit ihren muslimischen Nachbarn. Ihre Kirchen stünden keineswegs abseits der Stadtzentren oder Wohngebiete, sondern vielfach unmittelbar neben Moscheen oder Synagogen.
Der Abend wurde souverän moderiert von Semra Yilmaz von der Koordinationsstelle Weingarten des Vereins Tavir und ehrenamtlich beim Verein Inkultura engagiert. Maßgeblich organisiert hatte ihn die Vereinsvorsitzende Nargiza Öz.