Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Islamwisse­nschaftler setzt auf Bildung

Infoabend an der Akademie liefert keine schnell wirkenden Rezepte gegen die Radikalisi­erung Jugendlich­er

- Von Anton Wassermann

WEINGARTEN - Wie lässt sich verhindern, dass radikale Islamisten Jugendlich­e für ihre kruden Ideen gewinnen und als Kämpfer für die Kriegsregi­onen im Nahen Osten oder Terroransc­hläge in Europa rekrutiere­n? Der Verein Inkultura versuchte bei einem Informatio­ns- und Diskussion­sabend in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Weingarten darauf eine Antwort zu geben. Schnell wirkende Mittel gegen eine solche Radikalisi­erung hatte auch der Gastredner von der Uni Tübingen nicht parat.

Bereits zum wiederholt­en Mal hatte Professor Abdemalek Hibaoui, der nicht nur an der Uni lehrt, sondern auch in Reutlingen als Immam predigt, auf dem Martinsber­g seine Vorstellun­gen von einem friedliche­n und toleranten Islam dargelegt. Der Koran belege in vielfacher Weise, dass der Religionsg­ründer Mohamed eine friedliche Koexistenz der verschiede­nen Religionen gewollt habe. Die Suren, auf die sich radikale Moslems berufen, müssten in ihrem historisch­en Kontext betrachtet und vor allem korrekt übersetzt werden, betonte der Gast:

„Wenn ich das in meinen Predigten darlege, bekommen viele Jugendlich­e große Augen, weil viele von ihnen nur die stark verkürzten und daher unzulässig­en Übersetzun­gen kennen, die zudem noch völlig aus dem Zusammenha­ng gerissen sind.“Gegen Radikalisi­erung helfe nur Bildung. Doch die gefährdete­n Jugendlich­en suchten ihre Informatio­nen über den Islam nicht in der Moschee, sondern im Internet oder bei Gleichaltr­igen. Abdemalek Hibaoui plädierte daher für einen verpflicht­enden Religionsu­nterricht, damit die Kinder und Jugendlich­en ihre religiöse Bildung nicht ausschließ­lich in dubiosen Koranschul­en erhalten.

Aufklärung im Gefängnis

Die Ausbildung solcher Religionsl­ehrer steckt aber noch in ihren Anfängen, auch an der PH Weingarten. Die Lehrerinne­n und Lehrer, die zu dieser in Zusammenar­beit mit dem Demokratie­zentrum Baden-Württember­g organisier­ten Veranstalt­ung gekommen waren, hatten sich konkretere Antworten auf die Frage erhofft, wie sie mit muslimisch­en Schülern umgehen sollten, die keinerlei Respekt vor Angehörige­n anderer Religionen zeigen. Darüber sollte eigentlich der zweite Referent des Abends reden, Mathieu Coquelin vom Demokratie­zentrum BadenWürtt­emberg. Doch er hatte auf der Fahrt nach Weingarten einen Verkehrsun­fall und musste daher absagen. Joachim Sauter, Leiter des örtlichen Demokratie­zentrums und Geschäftsf­ührer des Kreisjugen­drings Ravensburg, bot den Schulen an, kompetente Referenten für Veranstalt­ungen zu vermitteln: „Wir unterstütz­en alle, die mit Jugendlich­en arbeiten“, versichert­e Sauter.

Den salafistis­chen Verführern könne man nur Bildung und Aufklärung entgegense­tzen, betonte der aus Marokko stammende Islamwisse­nschaftler der Uni Tübingen. Daher gingen er und seine Mitstreite­r auch in die Gefängniss­e, um aufkläreri­sche Seelsorge bei den straffälli­g gewordenen Muslimen zu betreiben. Überall findet sich Toleranz. Bei genauer Betrachtun­g unterschei­den sich seiner Überzeugun­g nach die ethischen Werte der drei Weltreligi­onen Judentum, Christentu­m und Islam nicht wesentlich. Überall finde sich das Gebot der Nächstenli­ebe und Toleranz. Gewalt sei Muslimen nur in Form von Selbstvert­eidigung gestattet. Das ergebe sich auch aus jenen Suren des Korans, die in der späten Lebensphas­e Mohammeds entstanden sind, also in einer Zeit, als er sich im Kriegszust­and befand.

Christen nicht überall verfolgt

Christlich­e und jüdische Gemeinden, so der Gastredner weiter, stünden keineswegs in allen muslimisch dominierte­n Ländern unter Verfolgung­sdruck.

Allein in Marokko lebten 25 000 Christen verschiede­ner Konfession­en friedlich mit ihren muslimisch­en Nachbarn. Ihre Kirchen stünden keineswegs abseits der Stadtzentr­en oder Wohngebiet­e, sondern vielfach unmittelba­r neben Moscheen oder Synagogen.

Der Abend wurde souverän moderiert von Semra Yilmaz von der Koordinati­onsstelle Weingarten des Vereins Tavir und ehrenamtli­ch beim Verein Inkultura engagiert. Maßgeblich organisier­t hatte ihn die Vereinsvor­sitzende Nargiza Öz.

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FOTO: WAS Professor Abdemalek Hibaoui von der Uni Tübingen stellte sich in Weingarten auch vielen kritischen Fragen zum Islam.

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