Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Hohes Maß an Kränkbarkeit
Stalking verstört die Seele, zerstört Leben und endet in seltenen Fällen sogar tödlich
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KARLSRUHE (dpa) - Meist bekommt die Öffentlichkeit nichts davon mit. Nur das Opfer selbst und dessen Umfeld kennen die Anrufe, die Nachrichten per E-Mail, Whatsapp oder SMS, das Auflauern nach der Schule oder der Arbeit oder auf dem Nachhauseweg. Die Beleidigungen, die Sachbeschädigung, die Handgreiflichkeiten. Psychoterror durch Stalking ist quälend und zermürbend.
Manchmal endet Stalking auch tödlich; in diesem Jahr machten einige Bluttaten Schlagzeilen. Die meisten Stalker sind Ex-Partner, in etwa 60 Prozent der Fälle sei das so, erläutert Professor Harald Dreßing vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI). Laut Bundeskriminalamt ist Stalking das Delikt mit dem prozentual größten Anteil partnerschaftlicher Gewalt.
Generell gemeinsam sei Stalkern ein hohes Maß an Kränkbarkeit und der Wunsch, Macht über ihr Opfer auszuüben, sagt Dreßing. Die Gefahr, die von stalkenden Ex-Partnern ausgeht, ist dabei besonders groß: Viel intensivere Gefühle seien da im Spiel und das Risiko von Übergriffen durch die Intensität dieser Gefühle besonders hoch, erläutert Wolf Ortiz-Müller, Leiter der Beratungsstelle „Stop-Stalking“in Berlin.
Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern ging er 2008 einen ungewöhnlichen Weg und begann mit der Beratung von Tätern; seit 2014 werden auch Opfer beraten. Sein Ansatz war und ist: „Mit denen, die diese Straftat begehen, muss intensiv gearbeitet werden.“Strafverfolgung allein reiche nicht aus, damit Menschen dieses Verhalten aufgeben.
Die zweithäufigste Gruppe sind laut Dreßing die gekränkten Stalker, die sich für ein tatsächlich oder vermeintlich erlittenes Unrecht rächen wollten. Bedenklich dabei aus Dreßings Sicht: „Die neue Form des Stalking, bei der Politiker oder anderweitig verantwortliche Personen aus weltanschaulichen Gründen von populistisch gesinnten Tätern verfolgt und attackiert werden.“
Trotz des inzwischen hohen öffentlichen Bewusstseins und zahlreicher Beratungsstellen aber sinkt paradoxerweise die Zahl der Strafverfahren von Stalking bundesweit seit Jahren – laut Polizeilicher Kriminalstatistik von rund 29 300 Fällen im Jahr 2008 auf zuletzt 18 700 in 2016. Das mag zum einen an der Scheu vieler Opfer vor einer Anzeige liegen. „Ganz oft haben sie Schuldgefühle und innere Ambivalenzen. Denn jemandem, den man mal geliebt hat, eine Strafanzeige zu verpassen, ist für viele der Betroffenen nicht leicht“, erläutert Ortiz-Müller. „Primär wollen sie ja einfach, dass es aufhört.“
Viele Experten erklären die sinkenden Zahlen aber auch mit der lange unbefriedigenden gesetzlichen Regelung. Nur in seltensten Fällen folgte einer Anzeige eine Anklage und noch seltener eine Verurteilung. „Der Paragraph 238 in der ursprünglichen Form war eine absolut stumpfe Waffe“, sagt Dreßing. Seit März hat sich das geändert. Nicht mehr der Gestalkte muss beweisen, dass die Nachstellungen sein Leben kaputt machen, sondern das Verhalten des Stalkers steht auf dem Prüfstand.
Für die Opfer bleibt es schwer
Manche Experten sind dennoch skeptisch. „Der Anspruch an die Beeinträchtigung der Opfer ist weiterhin relativ hoch“, sagt etwa Dagmar Freudenberg vom Deutschen Juristinnenbund (djb). Ein vorübergehender Verzicht auf Aktivitäten, um dem Stalker zu entgehen, zähle nicht unbedingt als „Beeinträchtigung“und müsse vom Opfer möglicherweise weiterhin hingenommen werden. „Es wird sich weisen, wie die Rechtssprechung damit umgeht.“Zahlen, ob seit der Reform des Paragraphen die Zahl der Anzeigen nach oben geht, gibt es noch nicht.
Die Opferschutzvereinigung Weißer Ring sieht weiteren Handlungsbedarf. Bundesgeschäftsführerin Bianca Biwer fordert, uneinsichtige Stalker besser zu überwachen – auch mit elektronischen Fußfesseln.