Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Mordurteil gegen Berliner Raser gekippt
Bundesgerichtshof lässt neues Verfahren zu - Sohn des Getöteten: „Das ist bedrückend“
KARLSRUHE (dpa/AFP) - Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat am Donnerstag in drei Fällen von Raserei mit Todesfolge entschieden – und hierbei nicht die erwartete „rote Linie“vorgegeben. So wurde das deutschlandweit erste Mordurteil gegen zwei Raser aufgehoben, die nach einem illegalen nächtlichen Autorennen auf dem Berliner Kurfürstendamm einen Mann totgefahren hatten. Die Männer können nun auf eine mildere Strafe hoffen. Keinen Vorsatz sah der BGH auch im Fall eines Bremer Motorradfahrers, der bei überhöhtem Tempo einen Fußgänger getötet hatte. Jedoch hob der BGH eine Entscheidung des Landgerichts Frankfurt teilweise auf, das einen Raser wegen fahrlässiger Tötung verurteilt hatte. Ihm droht nun eine härtere Strafe. Die Vorsitzende BGHRichterin Beate Sost-Scheible sagte: „Maßgeblich sind jeweils die Umstände des Einzelfalls.“
Für bundesweites Aufsehen hatte der Berliner Fall gesorgt: Die damals 24 und 26 Jahre alten Männer waren am 1. Februar 2016 nachts auf dem Kurfürstendamm mit bis zu 170 Stundenkilometern unterwegs, rasten über elf Kreuzungen mit mehreren roten Ampeln und töteten dabei einen 69-Jährigen. Das Landgericht Berlin hatte beide zu lebenslanger Haft wegen Mordes verurteilt, weil es Vorsatz unterstellt hatte. Nun könnten die Männer wegen fahrlässiger Tötung verurteilt werden. Hier reicht der Rahmen von einer Geldstrafe bis zu fünf Jahren Haft.
Nebenkläger Maximilian Warshitsky, Sohn des Opfers, äußerte sich tief enttäuscht. Er leidet am sinnlosen Tod seines Vaters. „Das ist bedrückend. Ich hätte einen anderen Richterspruch erwartet und erhofft. Das Urteil ist für zukünftige Fälle richtungsweisend“, sagte er. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) erklärte: „Die jetzt kassierten lebenslangen Haftstrafen für solch rücksichtlose Raser hätten ein unmissverständliches Signal dargestellt.“Zuvor hatte Richterin Sost-Scheible erklärt: „Das Urteil wird manche Erwartungen enttäuschen.“
Raser können jedoch als Mörder verurteilt werden. Speziell Teilnehmer an illegalen Autorennen können nun mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden. Das Strafgesetz war nach dem Berliner Fall verschärft worden.
KARLSRUHE/BERLIN (dpa) - Können Raser Mörder sein? Sie können. Jeder einzelne Fall muss aber sorgfältig geprüft werden – eine „rote Linie“gibt es vom Bundesgerichtshof (BGH) nicht. So hob er das bundesweit erste Mordurteil nach einem illegalen Autorennen in Berlin am Donnerstag wegen Rechtsfehlern auf. Das könnte zu milderen Strafen führen. Teilweise hob der BGH zugleich ein Urteil gegen einen Frankfurter Raser auf. ● Wie war das Berliner Mordurteil begründet?
Das Berliner Landgericht geht davon aus, dass die damals 24 und 26 Jahre alten Männer bei dem illegalen Wettrennen „mit bedingtem Vorsatz“handelten und den Tod anderer billigend in Kauf nahmen: „Schon eine Gleichgültigkeit gegenüber dem zwar nicht erstrebten, wohl aber hingenommenen Tod des Opfers rechtfertigt die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes.“Als Mordwerkzeug dienten demnach ihre bei dem hohen Tempo unkontrollierbaren PS-starken Wagen. Niedrige Beweggründe konnte allerdings auch die Kammer „nicht mit letzter Sicherheit bejahen“. Was rügt der BGH?
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Der BGH vermisst beim Landgerichtsurteil Belege für einen Tötungsvorsatz – dieser ist Voraussetzung für ein Mordurteil. Das Landgericht unterstellt den Vorsatz spätestens dann, als die Männer in die Kreuzung Tauentzienstraße/Nürnberger Straße einfuhren, wo das Auto des Älteren mit dem Geländewagen des Unfallopfers kollidierte. Genau für diesen Zeitpunkt hat das Landgericht allerdings auch festgestellt, dass die Angeklagten keine Möglichkeit mehr hatten, den Unfall zu verhindern; sie seien „absolut unfähig gewesen, noch zu reagieren“. Da war die todbringende Handlung schon im Gange. Zu spät also für einen Vorsatz. Was moniert der BGH noch?
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Die Raser haben nicht nur andere, sondern auch sich selbst gefährdet. Der BGH vermisst Ausführungen zur Frage, „ob eine etwaige Eigengefährdung der Angeklagten im Falle eines Unfalls gegen das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes sprechen könnte“. Die Annahme des Gerichts, wonach sich die Angeklagten in ihren tonnenschweren, stark beschleunigenden und mit umfassender Sicherheitstechnik ausgestatteten Fahrzeugen („wie in einem Panzer oder in einer Burg“) absolut sicher gefühlt hätten, sei nicht in erforderlicher Weise belegt. Wie ist das mit der Mittäterschaft? ● Das Landgericht hat eine Mittäterschaft angenommen, weil beide Raser am illegalen Rennen beteiligt waren. Doch nur der Wagen des Älteren kollidierte mit dem Geländewagen des Unfallopfers. Laut BGH ergibt sich aus dem Urteil nicht, dass sie ein gemeinsames Tötungsdelikt begangen haben: „Dafür wäre erforderlich, dass die Angeklagten einen auf die Tötung eines anderen Menschen gerichteten gemeinsamen Tatentschluss gefasst und diesen gemeinschaftlich (arbeitsteilig) ausgeführt hätten.“Die Verabredung zum illegalen Straßenrennen reiche nicht für die Annahme eines mittäterschaftlichen Tötungsdelikts. Was ist die Folge im Berliner Fall?
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Die Täter können auf eine mildere Strafe hoffen. Werden in einer neuen Verhandlung keine neuen MordFeststellungen getroffen, bliebe eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung – mit dem Rahmen von einer Geldstrafe bis zu fünf Jahren Haft. Ist das ein Freibrief für Raser?
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Nein, Raser könnten auch weiterhin hart bestraft werden, speziell Teilnehmer an illegalen Autorennen. Seit Oktober gibt es im Strafgesetzbuch den Paragraphen 315d: Danach können illegale Autorennen als Ver-
brechen eingestuft werden, auf das bis zu zehn Jahre Haft stehen. Der neue Paragraphen wurde nach dem Berliner Fall eingeführt – er kann auf ihn aber nicht angewandt werden. Verkehrsrechtspezialist Andreas Krämer vom Deutschen Anwaltverein (DAV) betont: Die Möglichkeit, einen Raser wegen Mordes zu bestrafen, bleibt grundsätzlich bestehen. Was sind die Gründe für die teilweise ● Aufhebung des Frankfurter Falls?
Die höchsten deutschen Strafrichter gaben der Revision der Staatsanwaltschaft statt, die hatte in dem Fall auf vorsätzliche Tötung plädiert. Der BGH rügte einen Fehler in der Beweiswürdigung. Das Landgericht hatte bei der Prüfung des Vorsatzes darauf verwiesen, dass der Angeklagte nicht angeschnallt war und „zwangsläufig“auch seinen eigenen Tod billigend in Kauf genommen hätte. Der BGH betont hingegen: Wer den Tod eines anderen in Kauf nehme, nehme nicht zwangsläufig auch den eigenen Tod in Kauf. Wie es am Ende für den Raser ausgeht, ist jedoch offen: Denn auch der Angeklagte war teils mit seiner Revision erfolgreich: Der BGH erkannte einen Rechtsfehler bei der Strafzumessung, der sich zu seinem Nachteil ausgewirkt haben könnte.