Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Schulleiter beklagen Gewalt gegen Lehrer
Verband stellt Studie vor – Appell an Politik: Thema darf nicht in Tabu-Ecke bleiben
STUTTGART (kab) - Fast die Hälfte aller Rektoren in Deutschland haben in den vergangenen fünf Jahren Gewalt gegen einen Lehrer an ihrer Schule erlebt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Forschungsinstituts Forsa, die der Verband Bildung und Erziehung in Auftrag gegeben hatte. Bei der Präsentation der Zahlen am Mittwoch in Stuttgart forderte der Südwest-Verbandschef Gerhard Brand von der Politik endlich mehr Unterstützung für die Lehrer im Land.
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STUTTGART - Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) wirft der Politik vor, zu wenig gegen Gewalt an Lehrern zu tun. „Die Politik muss mit dem Märchen vom Einzelfall aufhören“, sagte der Chef des baden-württembergischen Landesverbands Gerhard Brand am Mittwoch in Stuttgart. Dabei bezog er sich auf aktuelle Zahlen einer Studie des Forschungsinstituts Forsa, die der VBE in Auftrag gegeben hatte. Das Ergebnis: Fast die Hälfte aller Schulleiter berichteten von psychischer oder körperlicher Gewalt gegen Lehrer an ihrer Schule in den vergangenen fünf Jahren. Die Zahlen sind für den Südwesten fast deckungsgleich mit denen für ganz Deutschland.
Schon vor zwei Jahren brachte eine Umfrage ähnliche Ergebnisse: Damals hatte Forsa im Auftrag des VBE Lehrer zu Gewalterfahrungen befragt, diesmal wurden bundesweit 1200 Schulleiter in den Blick genommen – 251 davon in Baden-Württemberg. Eine gesonderte Auswertung für Bayern gibt es nicht. Aktiv wurde das Südwest-Kultusministerium nach den Erkenntnissen von 2016 nicht, beklagt VBE-Landeschef Brand. „Das Kultusministerium hat seine Hausaufgaben nicht gemacht.“
Als großes Problem bezeichnet Brand, dass Gewalt an der Schule weiter als Tabu-Thema behandelt werde. Das hatten bei der Umfrage 2016 bundesweit 57 Prozent der Lehrer so bestätigt. Unter den Schulleitern ist der Eindruck nun indes nicht so ausgeprägt. Bundesweit sagten 39 Prozent, im Südwesten 36 Prozent der Befragten, dass das Thema tabuisiert werde. Dem sollen die Studien entgegenwirken. Aber auch das Kultusministerium müsse nun endlich Flagge zeigen, moniert Brand. „Ich will, dass die Kollegen wissen, dass sie nicht abgebügelt werden, wenn sie sich an die Staatlichen Schulämter wenden“, sagt Brand. Diesen sind die Schulpsychologen angegliedert, die professionelle Hilfe bei Gewalt an Schulen leisten können. Und: „Wir fordern, dass Vorfälle von Gewalt gegen Lehrkräfte in der amtlichen Schulstatistik anonym und nicht an die Schule gebunden erfasst werden.“
Schulverwaltung soll Daten erheben
Noch erhebt die Schulverwaltung solche Zahlen nämlich nicht, wie eine Sprecherin von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) bestätigt. Der VBE-Forderung will Eisenmann nun aber wohl nachkommen. Sie fordert alle Schulen im Land auf, künftig Vorfälle von Gewalt umgehend und konsequent der Schulaufsicht zu melden. „So bekommen wir auch einen systematischeren Überblick über Art und Fülle solcher Vorfälle und können zielgerichtet reagieren“, so Eisenmann am Mittwoch.
Das würde sich Simone Fleischmann, Vorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), auch für den Freistaat wünschen. Mit einer Petition wollte der BLLV erreichen, dass die Zahlen auch in Bayern erhoben werden – sie sei aber von der CSU im Landtag abgeschmettert worden. „Wir sehen uns nun darin bestätigt, dass das Thema immer noch akut ist und bagatellisiert wird“, sagt sie. „Ich erwarte von den politisch Verantwortlichen, dass das Thema gehoben wird und sie sich schützend vor die Lehrerinnen und Lehrer stellen. Nur dann kann man von Unterstützung durch den Dienstherrn reden.“
Für Schlagzeilen hatte Mitte März ein Vorfall an einer Grundschule in Teningen im Kreis Emmendingen gesorgt. Ein Siebenjähriger hatte seine Lehrerin mit einem Messer verletzt, das sie ihm abnehmen wollte. Das sei ein extremer, aber sicher kein Einzelfall, erklärt Brand mit Verweis auf die aktuelle Studie. 48 Prozent der deutschlandweit befragten Schulleiter erklärten, dass Lehrer in ihrem Haus in den vergangenen fünf Jahren beschimpft, bedroht, beleidigt, gemobbt oder belästigt wurden (Baden-Württemberg: 45 Prozent). 20 Prozent (16 Prozent) gaben an, dass Lehrer an ihrer Schule über das Internet diffamiert, belästigt, bedrängt, bedroht oder genötigt wurden. Von körperlichen Angriffen sprachen 26 Prozent (16 Prozent).
Gewalt hängt von Schulart ab
Die Arten von Gewalt gegen Lehrer hängen dabei stark von der Schulart ab. Hierfür gibt es ausschließlich bundesweite Daten. Von psychischer Gewalt besonders betroffen sind laut Studie die Haupt-, Real- und Gesamtschulen, in deren Kategorie auch die Gemeinschaftsschulen im Südwesten sortiert wurden. 59 Prozent der Schulleiter dieser Schularten berichten von psychischer Gewalt, 36 Prozent von Cyber-Mobbing gegen Lehrer ihres Kollegiums, zwölf Prozent von körperlichen Angriffen. „Ich möchte nicht sagen, dass Kinder an Haupt- und Werkrealschulen böser sind“, sagt Brand dazu. Vielmehr hätten sie nicht so gut wie etwa Gymnasiasten zu Hause gelernt, Konflikte durch Gespräche beizulegen.
An Gymnasien spricht jeder Dritte Schulleiter von psychischen Attacken und von Cyber-Mobbing, vier Prozent von körperlicher Gewalt. Die scheint indes stark an Grundschulen ausgeprägt zu sein, was Brand damit erklärt, dass die Kleinen häufiger mal zuschlagen – allerdings ohne größeren Schaden anzurichten. Jeder dritte Grundschulleiter berichtet von körperlicher Gewalt, fast die Hälfte von psychischer Gewalt, lediglich 13 Prozent von Cyber-Mobbing.