Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Genosse Karl
Die Trierer Ausstellung „Karl Marx 1818-1883“ist eine Pflegedienstleistung am Lebenswerk
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TRIER - Irgendwann in der langen Vorbereitungszeit zu dieser gewiss monumentalen Karl-Marx-Schau muss das Ausstellungsteam der Schlag getroffen haben. Umfragen in der Trierer Fußgängerzone kamen zu dem Ergebnis, dass die Besucher der Stadt wie die Trierer selbst rein gar nichts über Marx wissen. Der Höhepunkt war wohl ein gut situiertes Ehepaar, das, den Stadtführer unterm Arm, erstaunt reagierte, als man ihm eröffnete, Karl Marx stamme aus Trier: „Ei mir dachte immer, der is aus der DDR!“
Die Umfrage war ein Warnsignal, die Ausstellung möglichst voraussetzungslos anzulegen. Inzwischen hat das Trommeln für die große Landesschau dazu geführt, dass die Verbindung Trier und Marx ordentlich sitzt. Die Bürger, stellte der Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe bei der Pressekonferenz stolz fest, wissen jetzt: „Ja de Karl, der ist hier gebore.“Und in Marx’ Geburtshaus zeigt man sogar, wo genau: „Da, in der Eck‘.“
Pünktlich zum 200. Geburtstag wird das Geburtshaus nach seiner Umgestaltung wieder eröffnet. In der Innenstadt, aber nicht gerade in Spitzenlage, beherbergte es im Parterre einen 1-Euro-Shop. Das Museum war auf die Wohnräume darüber beschränkt, für das Jubeljahr nicht repräsentativ genug. Die Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD, die der Hausherr ist, macht nun die komplette Immobilie zum Exponat und zeigt, was Marx, auf den Punkt gebracht, ausmacht: globale Wirkungsgeschichte bei beengten Lebensverhältnissen.
Wenn man hier am Donnerstag zur Vorbesichtigung aus der Tür trat, hatte man wirklich den Eindruck, Mittelpunkt globaler Aufmerksamkeit zu sein. Reihenweise waren von der gegenüberliegenden Straßenseite aus die Kameras auf den Eingang gerichtet.
Marx hat also noch eine Fangemeinde, die über ihn besser Bescheid weiß als deutsche Touristen. Es sind Chinesen. Sie stellten unter den Fotografen den größten Tross. Besuchergruppen von ihnen, die emsigen Führern mit bunten Fähnchen folgten, zogen vorbei. Die chinesische Regierung hat der Geburtsstadt zum Jubiläum eine Marx-Statue geschenkt, vom Format einer Kurzstreckenrakete. Darüber ist ein Streit entbrannt, weswegen sie auch noch nicht aufgestellt wurde.
Die Historikerin Beatrix Bouvier hatte das Geburtshaus lange Zeit geleitet. Sie ist nun die Kuratorin der Hauptausstellung zu Marx’ 200. Geburtstag, die das Landesmuseum zeigt. Keine einfache Aufgabe, mit Marx eine Person zu präsentieren, deren Popularität ganz über ihre Schriften und deren Wirkung läuft. So versucht man es mit einer Kunstausstellung. Sie bringt den Besuchern das 19. Jahrhundert nahe, die Reformbestrebungen nach der Niederlage gegen Napoleon, die Armut auf dem Lande, die Lebensverhältnisse der Weber, die Lage der Arbeiter in der Schwerindustrie an der Ruhr, den technischen Fortschritt, die Revolutionen 1830 und 1848, Pressezensur, Flucht und Emigration: also all das, worüber Marx geschrieben hat, als Zeitungsredakteur in Köln, Paris und London. Und als Autor, der die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse seiner Zeit analysiert. Alles ist schön und abwechslungsreich inszeniert und auch an dem entlanggestrickt, was das Deutsche Historische Museum zu dieser Epoche und zur Arbeiterbewegung zeigt.
Bouviers Absicht ist es, Marx zu historisieren, ihn in den Lebensbedingungen und Diskussionen des 19. Jahrhunderts zu verorten. Das Konzept überzeugt und hat doch einen Haken. Denn das alles lässt sich leichter erzählen als zeigen.
Die schiere Menge der Schriften, die Marx hinterlassen hat, übersteigt das Maß dessen, was Menschen im Rahmen ihrer Möglichkeiten lesen. Die Vollendung der Gesamtausgabe der Werke, mit der Freund Friedrich Engels gleich nach Marx’ Tod begonnen hat, indem er mit den Kindern den Nachlass sortierte, ist für 2031 angestrebt.
Bouviers Konzept hat freilich auch die Konsequenz, dass Marx von seiner Wirkungsgeschichte entkoppelt wird. Die Marxismen des 20. Jahrhunderts sind abgehängt. So Karl Marx bleiben unangenehme Fragen außen vor. Etwa: Was haben all die eigentlich davon gelesen, die sich auf Marx beriefen? Und was konnten sie kennen? Das China der Kulturrevolution etwa war auf Übersetzungen der russischen Marx-Ausgabe angewiesen.
Aber nicht nur die Apostelschar erweist sich als naiv, auch vorschnelle Marx-Kritiker, wenn sie sich auf einzelne Marx-Schriften stürzen. Oft wird der historische Kontext, um den sich diese Ausstellung bemüht, nicht eingeholt. Marx ist ein Autor, der vom breiteren Diskurs lebt. Zu diesem Thema hilft zumindest der Katalog. Er bringt eine Reihe von Porträts jener Autoren, mit denen sich Marx auseinandersetzte. Und die er nannte. Bleiben dann noch immer solche, die er nicht nannte, weil er sich bei ihnen bedient hat.
„An allem ist zu zweifeln.“
Ohne Rezeptionsgeschichte
Marx als Ausstellungsthema ist schlicht eine Überforderung. Was geleistet werden kann, ist Anregungen zu geben. Und das tut man in Trier. Bei der sozialdemokratischen Betreuung, die Marx hier erfährt, entsteht der Eindruck, dass die Erinnerung an den Genossen Karl pfleglich bei Laune gehalten wird wie in einem gut geführten Altersheim. So ist sich auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer sicher, „dass man Marx nicht die Gräueltaten des 20. Jahrhunderts zuschreiben kann“, die Marxisten in seinem Namen angerichtet haben. Die These ist durchaus plausibel. Aber auf Basis dessen, was die Ausstellung zeigt, kann man das so nicht sagen. Die Blutspur, die Klassentheoretiker durchs 20. Jahrhundert gelegt haben, ist ähnlich breit wie die der Rassentheoretiker. Aber das ist nicht so bekannt. Um auf solche Fragen antworten zu können, muss man übers 19. Jahrhundert hinausgehen. Die Ausstellung endet vorher. In ihrem letzten Raum führt sie zumindest auf ein Marx-Zitat zu, das groß als Menetekel an der Wand steht: „An allem ist zu zweifeln.“